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Rationierung im Gesundheitswesen

Gedanken nach einem Seminar  zum Thema:

„Veralltäglichung der Triage“

bei

Prof. Dr. Weyma Lübbe

im

Sommersemester 1999

am

Lehrstuhl für Praktische Philosophie

 

Leipzig, den 11. Oktober 1999

 

 

 

 

 

1.     Einleitung.. 7

2.     Die Grundzüge der Gesundheitssysteme der Beispielländer   8

2.1.    Vereinigte Staaten von Amerika.. 9

2.2.    Großbritannien.. 10

2.3.    Norwegen.. 12

2.4.    Deutschland.. 13

3.     Allokationsebenen und Formen von Rationierung in den einzelnen Systemen   16

3.1.    Die Vereinigten Staaten von Amerika.. 17

3.1.1.    Die private Krankeversicherung.. 17

3.1.2.    Die Medicare Programme. 19

3.1.3.    Die Beziehungen zwischen Gesellschaft und Gesundheitssystem   19

3.2.    Großbritannien.. 20

3.2.1.    Der NHS. 20

3.2.2.    Die privaten Zusatzversicherungen.. 22

3.2.3.    Die Besonderheiten eines offenen und geschlossenen Systems  23

3.3.    Norwegen.. 24

3.3.1.    Das staatliche Gesundheitssystem.. 24

3.3.2.    Privatärzte. 27

3.3.3.    Ein Beispiel einer offenen Veralltäglichung der Triage. 27

3.4.    Deutschland.. 28

3.4.1.    Das System der gesetzlichen Krankenkassen.. 28

3.4.2.    Die private Krankenversicherung.. 32

4.     Modelle der Rationierung.. 33

4.1.    Die vier D-Methoden.. 33

4.2.    Wartelisten.. 34

4.2.1.    Wartelisten mit „first come first serve“. 34

4.2.2.    Wartelisten mit Dringlichkeitskategorien (Triage) 35

5.     Zusammenfassung.. 36

6.     Quellenverzeichnis. 37

 

1.   Einleitung

Die „Leistungen im Gesundheitswesen werden rationiert.“ Die Wahrheit dieses Satzes anzuerkennen fällt vielen, besonders Politikern, immer noch schwer. Dennoch ist Rationierung im Bereich der Gesundheit eine Tatsache und vielleicht sogar eine Notwendigkeit.

Unter anderem durch Fortschritte im Bereich der Medizintechnik und  im pharmazeutischen Bereich sowie durch neue „moderne“ Seuchen, das Wiederaufleben von längst besiegt geglaubten Krankheiten und die steigende Lebenserwartung in den Industrienationen  sind  die Kosten des Gesundheitswesens in den letzten Jahren geradezu explodiert. Durch diese Explosion verbraucht das Gesundheitswesen in den meisten Industriestaaten einen immer größer werdenden Teil des Bruttosozialprodukts. Dadurch wird nicht nur die Entwicklung anderer Wirtschaftszweige gehemmt, sondern es stehen auch für andere staatliche und soziale Aufgaben, wie z.B. Bildung, Wohnungsversorgung und Arbeitslosenunterstützung. , weniger Mittel zur Verfügung. Auch hat man erkannt, daß auch „sozioökonomische Faktoren wie Wohlstand, Ausbildungsniveau, Beschäftigungsstruktur oder Wohnungswesen“[1] einen großen Einfluß auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung haben und dieser nicht nur von den dem Gesundheitswesen zur Verfügung stehenden Mitteln abhängig ist. Da die Gesundheit ihrer Mitglieder nicht das einzige von einer Gesellschaft zu schützende und zu fördernde Gut ist, ist eine Rationierung auf Dauer unumgänglich.

Rationierung ist, auch wenn sie oft verschwiegen wird, bereits heute eine Tatsache und war es wohl auch schon immer, denn schon immer sind im Gesundheitssystem Leistungen, die von den einen für notwendig erachtet worden sind von anderen aus den unterschiedlichsten Gründen verweigert worden oder sie waren bestimmten Personengruppen nicht zugänglich. Einzig das Ausmaß der Rationierung hat sich durch die Krise der Gesundheitssysteme vergrößert und breitere davon betroffene Kreise der Bevölkerung erhalten Kenntnis darüber.

Wie geschieht diese Rationierung bzw. wie kann sie geschehen?

In Entwicklungsländern erfolgt die Verteilung des Zugangs zu medizinischer Versorgung im allgemeinen nach zwei wesentlichen Kriterien: Dies ist zum einen das des Geldes, das gelegentlich auch durch persönliche Beziehungen oder Gewalt ersetzt werden kann und das gegebenenfalls auch Reisen zu bestimmten medizinischen Einrichtungen ermöglicht, und das des Zufalls, das bestimmt ob man sich gerade in der Nähe einer durch den Staat oder NGO[2] finanzierten medizinischen Einrichtung befindet oder beispielsweise von einer Impfkampagne erreicht wird. Medizinische Versorgung ist hier ein Gut das entweder nach kommerziellen Gesichtspunkten, dem Zufalls- oder „Wo-die-Not-am-größten-ist“-Prinzip verteilt wird. Diese Verteilung wird dort mehr oder minder akzeptiert, da es oft bereits an einer einfachsten Versorgung mangelt.

Wie sieht es jedoch in den hoch entwickelten Industriestaaten aus, die ihren immer weiter expandierenden Gesundheitssystemen wegen deren explodierender Kosten Grenzen setzen müssen?

Ich werde diese Frage an Hand von vier Beispielen mit Hilfe der mir zur Verfügung stehenden Informationen erörtern. Als Beispiele möchte ich dafür Staaten mit unterschiedlichen Gesundheitssystemen, unterschiedlich weit fortgeschrittenen Rationierungsdiskussionen und unterschiedlichen Rationierungsansätzen wählen, über die ich auch über ein gewisses Minimum an Information verfüge. Ich habe mich daher für die Gesundheitssysteme folgender Staaten entschieden: Deutschland, Großbritannien, Norwegen und die Vereinigten Staaten von Amerika. Ich werde in dieser Arbeit versuchen einen Systemvergleich mit einem Schwerpunkt auf den Mechanismen der Rationierung vornehmen. Dabei werde ich besonders nach Faktoren suchen, die für eine philosophische Diskussion von Bedeutung und Interesse sein könnten. Ich tue dies jedoch nicht als Philosoph, sondern als Student der evangelischen Theologie und als an Fragen des Gesundheitswesens und der Gesundheitspolitik Interessierter.


 

 

 

2.   Die Grundzüge der Gesundheitssysteme der Beispielländer

Hier werde ich Gesundheitssysteme der einzelnen Länder kurz vorstellen und dabei bereits die Ansatzpunkte für Rationierung mehr oder weniger stark andeuten. Die Besonderheiten der Rationierung in den einzelnen Systemen möchte ich dann im nächsten Kapitel untersuchen. Der Umfang dieser Arbeit erlaubt es mir nicht, die Zuständigkeiten jedesmal bis ins einzelne aufzuschlüsseln, so daß ich versuchen werde, mich auf das Wesentliche zu beschränken.


 

2.1.        Vereinigte Staaten von Amerika

Meine Informationen zum Gesundheitssystem der Vereinigten Staaten von Amerika sind sehr unterschiedlichen Datums, da ich nicht wie im Falle von Großbritannien mit dem British Council, Norwegen mit ODIN oder Deutschland mit dem Ärzteblatt über eine Quelle zuverlässiger  und aktueller Information verfügte und mir so die Informationen teilweise über Rückschlüsse und Bemerkungen in verschiedenen Artikeln  besorgen mußte.

Sowohl die Gesellschaft als auch das Gesundheitssystem der Vereinigten Staaten basieren vor allem auf dem Prinzip der Eigenverantwortung  des Individuums für dessen persönliche Wohlfahrt. Deshalb ist in der Regel auch jeder einzelne für die Absicherung seines persönlichen Gesundheitsrisikos verantwortlich. Diese Absicherung kann durch ein hinreichend großes Vermögen oder durch eine Versicherungspolice geschehen. Ich habe hier den Begriff der Versicherungspolice an Stelle dessen der Versicherung gewählt um deutlich zu machen, das dieses Absichern durch eine Versicherung in der Regel nicht von Non-Profit-Organisationen wie unseren deutschen Krankenkassen übernommen wird, sondern fast ausschließlich durch kommerzielle Gesellschaften geschieht. Gesundheitseinrichtungen arbeiten meist gewinnorientiert oder werden zumindest kommerziell geführt. Es besteht ein starker Wettbewerb zwischen den verschiedenen Krankenversicherungen und Kliniken. Bei den Krankenkassen schließt dieser Wettbewerb aber oft weniger leistungsfähige aus. Die Versicherungen bieten innerhalb des Wettbewerbes ihren Versicherten verschiedene Policen mit unterschiedlichem Versicherungsumfang zu unterschiedlichen Preisen an und behalten sich oft auch vor, über die Gewährung verschiedener Leistungen ad hoc zu entscheiden.

Neben dieser privaten Absicherung des „Risikos Krankheit“ gibt es auch noch eine staatliche Gesundheitsversorgung, die aus Steuermitteln verschiedener staatlicher Haushalte finanziert wird. Diese beschränkt sich allerdings auf bestimmte Bevölkerungsgruppen und bestimmte Krankheiten. Dieses staatliche Gesundheitssystem dürfte man wohl eher als eine Maßnahme für die innere Sicherheit, denn als soziales Programm begreifen. Es befaßt sich in der Regel[3] mit infektiös oder psychisch Erkrankten sowie bestimmten Bevölkerungsgruppen wie Indianern, Kriegsinvaliden[4] oder in bestimmtem Umfang auch Sozialhilfeempfängern. Illegalen Einwanderern oder Menschen, denen durch die strenger werdenden Sozialhilfevorschriften der auch der Zugang zu diesem „Medicare“ genannten Programm, verwehrt wird, bleiben häufig nur noch die Gesundheitseinrichtungen von Wohlfahrtsorganisationen, die allerdings oft nicht einmal ein Minimum an Versorgung gewährleisten können. Dieses Minimum steht den über Medicare Abgesicherten meist noch zur Verfügung.

Dennoch: Die meisten US-Amerikaner sind krankenversichert und geben pro Kopf sogar mehr für ihre Gesundheit aus als wir Deutschen. Teilweise wird die Bezahlung der Krankenversicherungspolicen auch durch die Arbeitgeber übernommen. Problematisch sind jedoch Personen ohne Krankenversicherung oder mit Krankenversicherungen mit ungenügendem Leistungsumfang oder ungenügender Leistungsbereitschaft.


 

 

 

2.2.        Großbritannien[5]

Das in Großbritannien nach dem zweiten Weltkrieg errichtete Gesundheitssystem ist ein klassisches „Public Health System“, ein staatliches Gesundheitssystem, das durch den Staatshaushalt und damit indirekt aus Steuern finanziert wird. 1948 war ursprünglich ein für die Patienten gänzlich kostenloses Gesundheitswesen vorgesehen, dies konnte jedoch nicht durchgehalten werden, und so sind heute beispielsweise Rezeptgebühren oder Zuzahlungen etwas Selbstverständliches. Durch die Abhängigkeit vom Staatshaushalt der Londoner Regierung und die explodierenden Kosten  des Gesundheitswesens, die nicht auf ihre „Verursacher“, die Versicherten, umgelegt werden konnten, begann man in Großbritannien bereits relativ zeitig bestimmte Leistungen  nicht in den staatlichen Gesundheitsdienst „National Health Service” (NHS) einzubeziehen. Dies geschahüber lange Zeit beispielsweise mit der Dialyse für ältere Menschen. Altersrationierung hat also im britischen Gesundheitswesen eine gewisse Tradition.

Grundsätzlich wird auch heute noch durch den NHS kostenlose ärztliche, zahnärztliche und augenärztliche Versorgung für im Vereinigten Königreich ansässige Personen gewährleistet. Aber es werden für zahnärztliche und augenärztliche Behandlungen sowie für Verschreibungen Gebühren erhoben, von denen allerdings größere Bevölkerungsgruppen ausgenommen sind. Der NHS gewährleistet auch kostenlose Sofortbehandlungen für Personen, die sich nur kurzfristig oder zu Besuchszwecken in Großbritannien aufhalten.

Die Gesundheitsversorgung  des NHS ist durch eine strikte Hausarztbindung und Wartelisten in Krankenhäusern gekennzeichnet, deswegen haben mehr als 6,5 Millionen Menschen in Großbritannien eine private Zusatzkrankenversicherung, die meist vom Arbeitgeber bezahlt wird. So werden beispielsweise 20 Prozent aller Operationen von privat (meist durch  private KV) bezahlt.

Der NHS basiert auf einer fast rigorosen Bindung an den Hausarzt, den sogenannten General Practitioner (GP), ohne den eine Facharzt- oder Krankenhausbehandlung nur im Notfall möglich ist. Ein GP hat dabei mit den Gesundheitsbehörden einen Vertrag über die Versorgung einer bestimmten Anzahl[6] von Menschen in einem bestimmten Gebiet. Will man sich auf Kosten des NHS behandeln lassen, muß man sich bei einem GP registrieren. An diesen GP ist man dann, auch über diese Behandlung hinaus, gebunden. Arztwechsel innerhalb des NHS sind nahezu unmöglich. Der GP kann sich übrigens weigern neue Patienten in seine Liste aufzunehmen, wenn die mit den Gesundheitsbehörden vereinbarte Zahl erreicht ist. Findet man selbst keinen GP der bereit ist, einen in seine Liste aufzunehmen, muß man sich an die Gesundheitsbehörden wenden, die dann einen GP zuweisen. Daneben sind die GP nur zu Notfallbehandlungen verpflichtet und können die Patienten auf deren eigene Kosten behandeln.

Facharzt- und Krankenhausbehandlungen, die durch den NHS getragen werden, sind nur auf Überweisung eines GP hin möglich.

Seit 1991 gibt es unter den GP ein Zwei-Klassen-System, das der sogenannten fundholding GP, die das Gesundheitsbudget für ihre Patienten selbst verwalten. Etwa 40 Prozent der GP sind mittlerweile fundholding GP, die mit ihrem Budget Leistungen von Krankenhäusern und Fachärzten (Spezialisten) für ihre Patienten einkaufen. Sie können so beispielsweise ihre Patienten an die Krankenhäuser oder Fachärzte mit den kürzesten Wartezeiten oder nach dem Wunsch der Patienten überweisen, haben aber auch weniger Zeit für ihre Patienten, da die Verwaltung des Budgets nicht wenig Zeit in Anspruch nimmt. Non-funholdig GPs müssen sich bei Überweisungen hingegen auf ihre Gesundheitsbehörden verlassen und können nicht an einen bestimmten Spezialisten oder ein bestimmtes Krankenhaus überweisen.


 

2.3.        Norwegen

Auch das Norwegische Gesundheitssystem ist grundsätzlich als „Public Health System“ zu verstehen. Es weist jedoch einige Unterschiede zum britischen auf. Die Finanzierung erfolgt beispielsweise nicht allein durch den Staatshaushalt, der auch hier Zuschüsse leistet, sondern hauptsächlich durch eine spezielle Steuer, durch die auch eine Grundrente finanziert wird. Die Höhe dieser zusätzlichen Einkommenssteuer, die teilweise vom Arbeitgeber gezahlt wird, differiert von Landesteil zu Landesteil. Dies geschieht als  Subvention um das ganze Land besiedelt zu halten. Diese Subventionierung Nord-Norwegens  ist neben den von der „Sozialen Sicherheit“[7] gezahlten Sozialleistungen wie Erziehungsurlaub die Begründung für die Staatszuschüsse. Der Umfang der durch das Gesundheitssystem Abgesicherten entspricht etwa dem in Großbritannien. Die Behandlung ist jedoch nicht grundsätzlich kostenlos, sondern es muß je Arztbesuch eine Konsultationsgebühr von ca. 25 DM bezahlt werden und auch verordnete Medikamente müssen bis zu einem bestimmten Betrag ganz selbst bezahlt werden. Allerdings muß niemand mehr als ca. 320 DM[8] jährlich bezahlen, danach erhält man eine Freistellung und alle Kosten werden durch das System getragen.

Norwegische (Allgemein-)Ärzte[9] sind entweder direkt bei  den Gesundheitsbehörden angestellt oder haben einen Vertrag, der in etwa dem ihrer britischen Kollegen[10] entspricht. Bei Fachärzten verhält es sich ähnlich. Das Norwegische System kennt das Prinzip der freien Arztwahl, das jedoch durch die dünne Besiedlung praktisch oft sehr eingeschränkt ist. Im Moment ist man dabei auch das Recht der freien Krankenhauswahl einzuführen. Auch in Norwegen gilt das Hausarztprinzip, wonach  Behandlungen bei Fachärzten und in Krankenhäusern nur auf Anordnung des Hausarztes hin erfolgen sollen.

Da in Norwegen über Jahre hinweg die Ausbildungsmöglichkeiten für Ärzte hinter den Erfordernissen zurückblieben und auch die Einkommen für Ärzte und Krankenschwestern als Beschäftigte des öffentlichen Dienstes hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung zurückblieben, herrscht heute ein Mangel an Pflegepersonal und Ärzten, so daß heute im Gesundheitswesen sehr viele Ausländer arbeiten und einige Krankenhäuser in Nordnorwegen nahezu gänzlich in schwedischer Hand sind. Durch den Personalmangel gibt es besonders bei Operationen in Krankenhäusern aber auch bei Fachärzten Wartelisten, die jedoch durch verschiedene Gesetzte reglementiert werden, so daß es beispielsweise eine Bevorzugung nach Dringlichkeit gibt. Durch die Wartelisten gibt es in neuester Zeit auch in Norwegen Privatärzte, allerdings in geringerem Maße als im Vereinigten Königreich.

Insgesamt befindet sich das norwegische Gesundheitssystem durch die großen Öl- und Gasvorräte des Landes in einem besseren Zustand als das britische. Doch auch wenn der Staat durch die Einnahmen daraus und die gleichfalls daraus resultierende geringe Arbeitslosigkeit mehr Möglichkeiten zur Bezuschußung hat, ist der Rationierungsdruck durch den Personalmangel dennoch größer als in beispielsweise in Deutschland.


 

 

 

2.4.        Deutschland

Das deutsche Gesundheitssystem, das in seinen Wurzeln auf Fürst Otto von Bismarck[11] zurückgeht, läßt sich weder dem amerikanischen Prinzip der persönlichen Verantwortung zuordnen noch als Public Health bezeichnen. Seit den letzten Gesundheitsreformen finden wir statt der früheren Dreiteilung in Allgemeine Orts-, Angestellten- und Privatkrankenkassen eine Zweiteilung in gesetzliche und private Krankenkassen. Die gesetzlichen Krankenkassen finanzieren sich in der Regel durch einen für jede Kasse individuellen, steuerähnlichen Anteil des Arbeitseinkommens, der zur Hälfte vom Arbeitgeber und zur Hälfte vom Arbeitnehmer getragen wird. Die Beiträge für Arbeitslose  werden durch die Arbeitslosenversicherung bezahlt. Der Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen sowie Zuzahlungen beispielsweise zu Krankenhausaufenthalten oder Rezeptgebüren bei ärztlichen Verordnungen werden gesetzlich geregelt. Der Leistungsumfang der einzelnen gesetzlichen Krankenkassen ist nahezu identisch, auch wenn durch das Gesundheitsstrukturgesetz die Möglichkeit besteht, bestimmte sogenannte Wahlleistungen[12] nicht mehr zu bezahlen, ist davon bisher kaum Gebrauch gemacht worden.

Die Versorgung ihrer Versicherten bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen im Bereich der frei praktizierenden Ärzte stark vereinfacht nach diesem Modell:

1.      Die Krankenkassen zahlen den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVs) bestimmte ausgehandelte Kopfpauschalen pro zu versorgendem Mitglied in einem bestimmten Gebiet.

2.      Die KVs wiederum honorieren ihren Vertragsärzten die von Ihnen erbrachten Leistungen.

3.      Der Arzt erhält seine Leistungen nur bis einem sich an seiner Patientenzahl bemessenden Leistungsbudget honoriert.

Dies entstand wie folgt:

Da politisch die Stabilität der Krankenkassenbeiträge sehr hohe Priorität genießt, können die KVs die Kopfpauschalen nicht mehr frei aushandeln und diese bleiben somit hinter dem durch medizinischen Fortschritt bedingten Anstieg  der Leistungen zurück. Deshalb haben die KVs die ihren Vertragsärzten honorierten Leistungen budgetiert[13], das heißt ein Arzt kann für seine gesetzlich versicherten Patienten insgesamt nur eine gewisse Menge von Leistungen erbringen die er honoriert erhält. Die Höhe seines Budgets dafür ergibt sich aus der Anzahl der von ihm behandelten Patienten in jedem Vierteljahr.

Daraus ergibt sich folgende direkte Auswirkung:

Hat der Arzt sein Budget überschritten, ist er verpflichtet, weiterhin alle Leistungen zu erbringen, erhält diese jedoch nicht honoriert.

4.      Gleichzeitig haben die Vertragsärzte die Verantwortung für die von ihnen  verordneten Medikamente sowie Heil- und Hilfsmittel, wird das Budget dafür überschritten, so werden die Kopfpauschalen der Krankenkassen an die KVs entsprechend gekürzt[14]. Um dies zu verringern, wurde die Zahl der verordnungsfähigen Medikamente bereits stark eingeschränkt.

 

Mit Krankenhäusern rechnen die gesetzlichen Krankenkassen derzeit direkt über Fallpauschalen und Tagessätze ab. Nicht zuletzt da mehr und mehr Krankenhäuser privat geführt werden, hat sich herausgestellt, daß gerade mit Patienten deren Erkrankungen über Fallpauschalen bezahlt werden, durchaus Gewinne erzielt werden können. Da diese Pauschalen sich an durchschnittlichen Behandlungszeiten orientieren, führen (teilweise zu) frühzeitige Entlassungen zu Gewinnen, während längere Liegezeiten Verlust bedeuten. Bei den Erkrankungen, die über Tagessätze abgerechnet werden, zeigen sich im Alltag teilweise erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen gesetzlichen Krankenkassen. Während einige Krankenkassen beispielsweise bereit sind den Tagessatz für ältere alleinstehende Patienten länger zu bezahlen, um die Zeit bis zur Aufnahme in eine Rehabilitationseinrichtung zu überbrücken, bestehen andere gegen den Wunsch des Patienten auf einer frühzeitigen Entlassung um ihn oft für wenige Tage zurück in seinen Alltag zu schicken, in dem er sich nach längerem Krankenhausaufenthalt jedoch vor dem Aufenthalt in einer Rehabilitationseinrichtung gar nicht wieder zurechtfinden kann. Auch in anderen Ermessensfragen, wie der Gewährung von Kuren oder z.B. orthopädischen Heil- und Hilfsmitteln gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen gesetzlichen Krankenkassen.

Für gesetzlich Versicherte besteht freie Haus- und Facharztwahl. Die Behandlung durch einen Facharzt ist auch ohne Überweisung durch einen Hausarzt möglich. Die Behandlung in einem Krankenhaus geschieht jedoch nur auf eine Überweisung eines Haus- oder Facharztes oder einer Notfallambulanz hin. Alle Arbeiter und Angestellten sind grundsätzlich verpflichtet sich in einer gesetzlichen Krankenkasse zu versichern, Angestellte ab einem bestimmten Einkommen können sich von der Versicherungspflicht befreien lassen und sich dann wie Beamte und Selbständige privat krankenversichern.  Diese Berufsgruppen haben jedoch auch die Möglichkeit sich zu speziellen Tarifen in den gesetzlichen Krankenkassen zu versichern. Eine einmal vorgenommene Befreiung von der Versicherungspflicht  im System der gesetzlichen Krankenversicherung ist in der Regel nicht rückgängig zu machen. Im Bereich der privaten Krankenversicherung gibt es verschiedenste Tarife mit unterschiedlich großem Leistungsumfang, der in der Regel jedoch größer ist, als der der gesetzlichen Krankenkassen. Da die privaten Krankenversicherungen gewinn- und risikoorientiert arbeiten, sind die Beiträge für Frauen meist höher als für Männer und für beide steigen sie mit zunehmendem Alter. Um sehr hohen  Beiträgen im Alter vorzubeugen, ist den privaten Krankenversicherungen jedoch gesetzlich vorgeschrieben worden für Rentner einen Tarif anzubieten, dessen Leistungen und Kosten sich an denen der gesetzlichen Krankenversicherungen orientieren. Mit privat Versicherten rechnen Ärzte, Apotheken und Krankenhäuser direkt ab. Die Versicherten lassen sich dann die Rechnung von ihrem Versicherer erstatten.

Das deutsche Gesundheitssystem ist nach meiner Einschätzung mit seinen verschiedenen Krankenversicherungssystemen, verschiedenen Krankenversicherungen und eigenen, hier nicht erwähnten, Unfallversicherungssystemen eines der kompliziertesten und undurchsichtigsten überhaupt. Ich persönlich würde es als schlichtweg chaotisch bezeichnen.


 

3.     Allokationsebenen und Formen von Rationierung in den einzelnen Systemen

Die Entscheidungen über das daß, wann und wie von Rationierung werden in den verschiedenen Ländern systembedingt an verschiedenen Stellen getroffen. Dabei dürften den unterschiedlichen Instanzen unterschiedliche Kompetenzen zufallen, die ich, so gut als möglich, untersuchen möchte. Zuvor werde ich jedoch in jedem Fall die unterschiedlichen Allokationsebenen feststellen müssen, denn grundsätzlich wird immer zwischen  Makroallokationen, den Entscheidungen im allgemeinen, und Mikroallokationen, den Entscheidungen im speziellen, zu unterscheiden sein. Ich möchte in den einzelnen Systemen jeweils zumindest eine Mikro- und Makroallokationsebene finden und diese in Bezug auf ihre Entscheidungsmöglichkeiten und Prinzipien hin etwas beleuchten. Schließlich möchte ich versuchen, grundsätzliche Rationierungsmodelle herauszuschälen, von denen ich dann einige im nächsten Kapitel untersuchen möchte. Ich sehe bei allen diesen Untersuchungen die Entscheidung des Einzelnen, wieviel Geld er für seine persönliche Absicherung des „Risikos Krankheit“ aufwendet, so er diese Entscheidungsmöglichkeit hat, als einen Teil der Makroallokation an, da sie sich nicht auf eine konkrete Entscheidung, eine konkrete Erkrankung betreffend, zu einem konkreten Zeitpunkt bezieht. Desweiteren wird z.B. durch die Wahl einer bestimmten Police einer bestimmten privaten Krankenversicherung durch den Umfang der Police und die Versicherung auch mitbestimmt wohin und wofür Mittel im Gesundheitssystem fließen, auch ohne daß man akut betroffen ist.


 

 

 

3.1.        Die Vereinigten Staaten von Amerika

Will man das Gesundheits- und Krankenversicherungssystem der USA untersuchen, muß man schon allein der unterschiedlichen Finanzierung wegen zwischen dem allgemeinen privaten Krankenversicherungssystem und den Medicare Programmen unterscheiden.

3.1.1.   Die private Krankenversicherung

Wer trifft die Entscheidungen auf der Ebene der Makroallokation?

Private Krankenversicherungspolicen werden durch Verträge erlangt. Wir haben es deshalb mit einem Vertragsmodell zu tun. Dies ist jedoch nicht ideal, da nicht alle Partner die gleichen Präferenzen mitbringen. Die Versicherungen achten in der Regel sehr genau darauf, sich nicht hinter dem Vorhang der Unwissenheit zu befinden. Sie möchten über sämtliche Risiken genauestens informiert sein, setzen oft genaue Verhaltensverpflichtungen für ihre Versicherten und schließen bestimmte Risiken von vorn herein vertraglich aus, geht der Vertragspartner nicht darauf ein, verschweigt Vorerkrankungen oder verletzt die Verhaltensregeln, verweigern sie die Leistung,  die Versicherung des Risikos[15] oder versichern es nur gegen erhöhte Prämien.

Aber auch der Versicherte oder Versicherungswillige befindet sich nicht hinter eben diesem Vorhang, er kennt in verschiedenem Maße seine Vorerkrankungen, seine Risikofaktoren, seinen sozialen Stand und seine finanziellen Möglichkeiten aber auch die Tarife, Aufnahmebedingungen und den Ruf verschiedener Versicherungen.

So wirken an der Entscheidung auf der allgemeinen Ebene in der Regel zwei Partner mit: Der Versicherer, der Policen mit unterschiedlichem Leistungsumfang und unterschiedlichen Tarifen anbietet, und der zu Versichernte, der die Auswahl zwischen unterschiedlichen Policen unterschiedlicher Versicherungen hat, teilweise tritt zu diesen beiden noch der Arbeitgeber des zu Versichernten hinzu, der sowohl auf die Angebote der Versicherungen und die Auswahlmöglichkeiten seines Mitarbeiters Einfluß nehmen kann, besonders dann, wenn er die Versicherungsprämien ganz oder teilweise bezahlt. Alle Vertragspartner handeln  dabei utilitaristisch, sie wollen den jeweils größten Nutzen für sich selbst erreichen, dieser ist zumindest in zweiter Linie oft ein finanzieller.

Wer trifft die Entscheidungen auf der Ebene des einzelnen Patienten und der einzelnen Erkrankung bzw. der einzelnen Behandlung?

Grundsätzlich werden Entscheidungen über die Notwendigkeit von Behandlungen von Ärzten getroffen, dies ist grundsätzlich in allen Krankenversicherungen der Fall. In privaten Krankenversicherungen können Patienten bei bestimmten Policen Behandlungen jedoch auch gegen ärztlichen Rat verlangen. Im US-amerikanischen Gesundheitssystem ist zu beobachten, daß Versicherungen die Notwendigkeit einer aus ärztlicher Sicht notwendigen und sinnvollen Behandlung verneinen, zugunsten einer preiswerteren aber oft für den Patienten weniger effektiven Therapie. Dies hat zur Folge, daß sich die Entscheidungskompetenz über die Erbringung medizinischer Leistungen mehr und mehr weg von Ärzten hin zu den Versicherungen verschiebt.

Nach welchen Prinzipien treffen Versicherungen und Ärzte ihre Entscheidungen? Das Ziel der Versicherungen ist immer zumindest indirekt Gewinnmaximierung, sie denken als utilitaristisch z.B.: „Übernehme ich die Kosten für die teurere Behandlung, so kostet dies Geld und Gewinn, verweigere ich die Behandlung, so ist dies zwar billiger, aber ich verliere möglicherweise mehrere prämienzahlende Versicherte und  riskire eventuell einen Gerichtsprozeß, was kommt mich am Ende teurer?“ Der Arzt gewinnt dabei die Rolle des Anwaltes des Patienten, er muß dessen Interesse an einer für den Patienten gesundheitlich und auf die Lebensqualität bezogen möglichst gewinnbringenden Behandlung durchsetzten. Sein Prinzip ist also im Grunde das eines stellvertretenden Utillitarismus, denn er maximiert ja nicht für sich, sondern für seinen Patienten, und dieses Interesse des Patienten gegen seine Versicherung und eventuell auch gegen das ihn beschäftigende Krankenhaus durchsetzten, wenn beispielsweise die Finanzierung einer Behandlung nicht ausreichend gesichert ist. Setzt sich der Arzt hier auch begründet nicht voll für seinen Patienten ein, so verliert dieser seinen einzigen medizinischen Anwalt, das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wird nachhaltig gestört.


 

3.1.2.   Die Medicare Programme

Da die Medicare Programme aus Staatsmitteln finanziert werden, liegt die Entscheidungsebene dafür,  welche Leistungen dadurch abgedeckt werden, wie bei allen steuer- bzw. staatsfinanzierten Gesundheitsversorgungssystemen auf der Ebene, die ich hier, um nicht auszuufern, nur als „Politik“ bezeichnen möchte. Auf diese Ebene wiederum haben die Betroffenen  wiederum durch Wahlen einen gewissen Einfluß. Die Frage von welchem Prinzip die Politik dabei geleitet wird, kann ich hier nicht beantworten, wirft dies doch die Frage nach der Motivation von Politkern an sich auf. Idealisiert und vereinfacht man etwas, so ist es vorstellbar, daß die Einbeziehung oder der Ausschluß von Behandlungen und Erkrankungen in die Programme oft nach dem Prinzip geschieht: „So vielen wie möglich nutzen und so wenigen wie möglich schaden bzw. so wenige wie möglich verärgern.“

Die Entscheidung in Bezug auf den einzelnen Patienten obliegt hier in wesentlich stärkerem Maße dem Arzt, dem allerdings durch die Makroallokation oft enge Grenzen gesetzt sind. Hier muß er seine Rolle als Anwalt des Patienten vor allem gegenüber dem Krankenhaus wahrnehmen, wenn eine notwendige Behandlung beispilseweise durch Medicare nicht oder nur schlecht bezahlt wird. Die Motivation des Entscheidungsträgers soll auch hier ein stellvertretender Utillitarismus für seinen Patienten sein.


 

 

 

3.1.3.   Die Beziehungen zwischen Gesellschaft und Gesundheitssystem

Die USA sind eine sehr auf individuelle Freiheiten und Rechte ausgerichtete Gesellschaft, nicht zuletzt deshalb werden sie ja auch als das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ gerühmt. Dies Individualität spiegelt sich auch im Gesundheitssystem, der individuellen, privaten Absicherung des individuellen, persönlichen „Risikos Krankheit“ wieder, die in der Regel privat erfolgt. Ausnahmen davon erfolgen wohl eher als Einsicht in die Notwendigkeit denn als Element einer allgemeinen Wohlfahrt. Für grundsätzlich problematisch halte ich, daß in der Mikro- und Makroallokation im Rahmen der privaten Krankenversicherung durch die Verschiebung der Entscheidungskompetenz auf der Mikroallokationsebene hin zu den Versicherungen einer Instanz zu hohe Entscheidungskompetenzen zufallen, die noch dazu auf beiden Ebenen grundsätzlich die gleichen Interessen hat nämlich ihre eigenen finanziellen.[16]


 

3.2.        Großbritannien

3.2.1.  Der NHS

Das britische Gesundheitssystem weist zumindest im Bereich des NHS Parallelen zu den Medicare Programmen in den USA auf. Es unterscheidet sich jedoch grundsätzlich darin, daß es ein geschlossenes System ist, das heißt ihm steht von vornherein nur ein bestimmtes Budget zur Verfügung, durch das seine Leistungsmöglichkeiten bestimmt werden. Die Medicare Programme hingegen gewährleisten in der Regel bestimmte Leistungen für bestimmte Personengruppen. Abhängig von der Inanspruchnahme der Leistungen verbrauchen die Programme in mehr oder minder großen Umfang Mittel der staatlichen Haushalte.

Die Makroallokationsebene ist aber in beiden Fällen die Politik, die in Großbritannien das Budget des NHS und in den USA die durch die Medicare Programme abgedeckten Leistungen und gesicherten Personengruppen bestimmt. Die britische Politik kann dabei bestimmen, welche Leistungen durch den NHS innerhalb seines Budgets gewährt werden können und welche von vorn herein ausgeschlossen sind. Patienten als die Betroffenen können im vereinigten Königreich wie in den USA nur durch Wahlen einen sehr begrenzten Einfluß auf diese Entscheidungen ausüben. Das Ziel das die Politik dabei zumindest im Bereich der Gesundheitspolitik in Großbritannien nach Richard Smith[17] verfolgt ist utilitaristisch die Maximierung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung. Da dieser Gesundheitszustand aber auch von „sozioökonomischen Faktoren wie Wohlstand, Ausbildungsniveau, Beschäftigungsstruktur  oder Wohnungswesen“[18] abhängig ist, dürfte es, Erkenntnis  darüber vorausgesetzt, das Ziel sein mit den vorhandenen begrenzten Mitteln einen durch die Verteilung zwischen diesen Faktoren einen für den Gesundheitszustand paretooptimalen Zustand zu erreichen, da sich die Bedingungen jedoch fortwährend ändern, dürfte dieser unerreichbar sein.

Auf der Mikroallokationsebene muß nach meiner Meinung bei den GP, auf deren Ebene die Verteilung der Mittel im wesentlichen geschieht, zwischen fundholding und non-fundholding  GPs unterschieden werden, da diese einen unterschiedlichen Zugang zu den Ressourcen haben.

Grundsätzlich wird auch hier über die Therapie durch den Arzt, durch den jeweiligen fundholding oder non-fundholding GP, entschieden, dem aber durch den NHS dabei oft sehr enge Grenzen gesetzt sind. Wir  haben im britischen NHS den Zustand, das zwar im Rahmen des NHS immer noch eine große Menge von Leistungen möglich sind, diese jedoch nicht in jedem Fall, in dem sie sinnvoll sein könnten, gewährt werden. Der Grund dafür ist das begrenzte Budget, durch das es einfach nicht möglich ist, jedem Patienten für ihn möglicherweise sinnvolle Leistung aus dem Leistungskatalog des NHS zu gewähren. Da wir es somit mit einem geschlossenen System zu tun haben und damit jede Gewährung einer Leistung für einen Patienten die Verweigerung einer Leistung für einen anderen bedeuten kann, haben wir es hier mit einem paretooptimalen Zustand zu tun. Um innerhalb dieses Systems umzuverteilen und einen gerechten[19] Verteilungszustand zu erreichen bedient man sich des Kriteriums der Effektivität[20]. Dieses Enscheidungskriterium, das sowohl für GPs als auch für Fach- und Klinikärzte, gilt läuft nach meiner Einschätzung auf ebenfalls auf einen Utillitarismus mit dem Ziel der Maximierung der Effektivität des Systems und damit des Gesundheitszustandes der Bevölkerung unter der Voraussetzung der begrenzten Mittel hinaus.

Non-fundholding GPs  haben in diesem System nur eine allgemeine Verantwortung für eine große Anzahl von Patienten für die Leistungen aus dem zum Teil auch noch regionalisierten Budget erhalten und eine spezielle Verantwortung ihrem jeweiligen Patienten gegenüber. Diese Entscheidungsproblematik stellt sich für Fach- und Klinikärzte ähnlich. Non-fundholding GPs haben als zusätzliche Rationierungsinstanz und Allokationsebene noch die jeweils zuständigen Gesundheitsbehörden, die beispielsweise über den Spezialisten oder das Krankenhaus entscheiden, in dem ein Patient behandelt wird. Diese zusätzliche Ebene entfällt für fundholding GPs. Sie haben in erster Linie eine Verantwortung für die bei ihnen registierten Patienten und den jeweiligen Patienten im einzelnen, die Verantwortung für andere als ihre Patienten ist dabei wesentlich geringer.

Obwohl die Ärzte selbst weder ökonomische Vor- noch Nachteile aus der Verweigerung von Leistungen haben[21], bleibt dieses Modell problematisch[22]: Selbst wenn der Arzt die Garantie hat, daß die Mittel sinnvoll oder sinnvoller verwendet werden bedeutet die bewußte Verweigerung von Leistungen einen Vertrauensverlust zwischen Arzt und Patient: Der Patient kann sich nicht darauf verlassen, daß der Arzt alles ihm Mögliche für ihn tun wird.

Ein typisches Element von Rationierung in Public Health Systemen sind Wartelisten für die Behandlung in Krankenhäusern und bei Fachärzten. Durch den Drang nach Effektivität ist man auf  eine hohe Auslastung angewiesen, die maximale Auslastung erreicht man, indem man einen Mangel erzeugt, denn dadurch ist stets eine hundertprozentige Auslastung gewährleistet. Dadurch entstehen jedoch Wartelisten, die immer länger werden und auch Belastungsspitzen können nicht mehr abgefangen werden. Ob auf den britischen Wartelisten das Prinzip „Wer zuerst kommt mahlt zuerst“ oder andere gelten, darüber habe ich im Gegensatz zu Norwegen leider keine Informationen.


 

 

 

3.2.2.  Die privaten Zusatzversicherungen

Die privaten Zusatzversicherungen sind im Vereinigten Königreich als Folge der Beschränkungen und Wartelisten im NHS entstanden. Allein die strikte Hausarztbindung kann ja bereits als Rationierung verstanden werden, da damit das Einholen einer zweiten Meinung verweigert wird. Etwa 10% der Briten verfügen über eine solche Zusatzversicherung, die teilweise vom Arbeitgeber getragen wird. Bei der Frage der Makroallokationsebene glaube ich auf die privaten Krankenversicherungen in den USA verweisen zu können, da die Interessen Bedingungen ähnlich gelagert sind. Allein der Umfang und damit die Auswahl unter den Versicherungspolicen dürfte sich durch die Grundsicherung durch den NHS wesentlich unterscheiden.

Durch den Charakter der Zusatzabsicherung zu einer bereits rationierten Grundsicherung dürfte die Entscheidung über die Gewährung von Leistungen auf  Mikroallokationsebene nur von allein von der ärztlich bestimmten medizinische Notwendigkeit und natürlich dem gewählten Leistungsumfang abhängig sein. Eine Verschiebung der Entscheidungskompetenz zu Gunsten der Versicherungen erwarte ich nicht, da sich die Zusatzversicherungen ja bewußt als eine Alternative und Ergänzung zum NHS verstehen.


 

3.2.3.  Die Besonderheiten eines offenen und geschlossenen Systems[23]

Das US-amerikanische Gesundheitssystem ist ein offenes System, das heißt es gibt keine von vorn herein festgelegten Budgets, die Vergütung erfolgt allein leistungsbezogen und über die Gewährung bzw. Nichtgewährung nach ärztlicher Sicht notwendigen Leistungen entscheidet im Einzelfall oft der Kostenträger. Der Arzt gewinnt in diesem System die Funktion eines Anwaltes der Patienten, dessen Aufgabe es ist, die Interessen des Patienten gegen  alle anderen Interessen gegebenenfalls auch seine eigenen persönlichen durchzusetzten. Durch die Offenheit bleibt das amerikanische Gesundheitswesen ein nicht paretooptimales System, deshalb sind hier die von Kühn genannten Erwartungen der „positiven Moral“ noch erwartbar. „Hiernach haben Ärzte:

·         uneingeschränkt loyal gegenüber dem Patienten zu sein,

·         allein in des Patienten Interesse zu handeln,

·         drittens das Wohlergehen des Patienten über das eigene finanzielle Wohlergehen zu stellen und

·         das Arztgeheimnis zu wahren.“[24]

Die daraus von Hans Jonas herausgearbeitete Ethik des Agenten[25] des Patienten ist nur in einem offenen, nicht paretooptimalen System wie dem der USA überhaupt realisierbar. Der GP des britischen NHS hat diese Möglichkeit nicht, da er in seinem geschlossenen, bugetierten, paretooptimalen System stets nicht nur einem Patienten zur Loyalität verpflichtet ist, sondern auch einer größeren Gruppe[26]  oder Ganzheit[27] der durch den NHS gesicherten Patienten. Das Problem der britischen GPs ist diese doppelte Loyalität, die immer das besondere Arzt-Patient-Verhältnis beeinträchtigen. Durch diese immerhin öffentlich bekannten Fakten ist die uneingeschränkte Loyalität  fordernde Anwaltsfunktion des Arztes für seinen Patienten so nicht mehr aufrechterhaltbar. Dies ermöglicht es dem britischen Arzt aber auch erst nein zu sagen, was seinem amerikanischen Kollegen so nicht möglich ist, denn das Nein des US-Amerikaners wäre mehr oder minder Willkür, während das Nein im Vereinigten Königreich durch das System und seine Sicherheit der zweckgemäßen Verwendung durch Verweigerung nicht in Anspruch genommener Mittel gerechtfertigt ist.


 

 

 

3.3.        Norwegen

Das norwegische Public Health System befindet sich durch die Ölreserven des Landes in einem wesentlich besseren Zustand als das britische. Aber auch hier gibt es Rationierung, die vor allem durch Personalmangel bedingt ist. Dieser hat wiederum seine Ursache darin, daß zum einen durch Generationswechsel und die gewachsene Nachfrage nach Gesundheitsleistungen ein Mangel an Ausbildungmöglichkeiten besteht, und zum anderen darin, daß durch Globalisierung und Marktöffnung die Löhne[28] in der Privatwirtschaft wesentlich stärker gestiegen sind als dies im öffentlichen Sektor möglich war. Durch den zweiten Faktor haben wir es heute in Großstädten wie Oslo mit dem Problem der Privatärzte zu tun, die außerhalb des staatlichen Gesundheitssystem Patienten behandeln, denen die Wartelisten zu lang sind. Tatsachen sind in auch, daß in Norwegen im Gesundheitssystem überdurchschnittlich viele Ausländer arbeiten und einige Krankenhäuser bereits nahezu vollständig beispielsweise in schwedischer Hand sind sowie allein in Oslo, einer Stadt von der Größe Leipzigs, über 380 Krankenschwestern fehlen, so daß bereits erste Stationen wegen Personalmangels geschlossen werden mußten.


 

3.3.1.   Das staatliche Gesundheitssystem

Die Makroallokationsebene liegt wie für Public Health Systeme charakteristisch auf der Ebene der Politik. Das Ziel dürfte dabei zum einen wie in Großbritannien eine utilitaristische Maximierung des Gesundheitszustandes sein. Zum anderen spielt jedoch in der trotz allem nach wie vor egalitaristisch orientierten norwegischen Gesellschaft der Egalitarismus im Zugang und der Verfügbarkeit von  medizinischen Leistungen eine wichtige Rolle. Vor diesem Hintergrund spielen ethische und Gerechtigkeitsdiskussionen eine wesentlich größere Rolle, besitzen nach meinem Eindruck auch teilweise noch die Macht, sich gegen ökonomische Zwänge durchzusetzten. Dies ist aber sicher auch durch die größeren finanziellen Spielräume Norwegens möglich, so werden beispielsweise Ausbildungsplätze für Ärzte im Ausland[29] gekauft. Auch auf die Mikroallokation nimmt die Politik mit Hilfe von Vorgaben für Kategorien für Wartelisten Einfluß.

Durch den Personalmangel und die geringe Bevölkerungsdichte findet Rationierung aber auch bereits auf der Ebene der Hausärzte statt. Diese befinden sich zwar nicht in einem solch krassen Loyalitätskonflikt wie ihre britischen Kollegen, können aber auch nicht immer voll Anwälte ihrer Patienten sein, da dies bei ihnen oft mit dem Interesse eines Feierabends und damit auch ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit kollidiert. Deshalb müssen Hausbesuche, die allgemein sehr zeitaufwendig sind, beispielsweise oft abgelehnt werden, auch wenn sie für den Patienten beispielsweise angenehmer und eventuell für dessen Gesundheit auch förderlicher wären als ein Besuch der Sprechstunde. Dennoch der Rationierungsgrad ist auf Ebene der Hausärzte nach meinem Wissen sehr gering, weshalb es dafür nach meiner Meinung kaum feststellbare Prinzipien gibt. Als einziges Prinzip kann ich eine größtmögliche relative[30] Chancengleichheit der Patienten auf die für sie bestmögliche Behandlung sehen. Die Entscheidungskompetenz trägt hier der Arzt selbst oder sein Personal.

Auch für Facharztbehandlungen, aber besonders für Krankenhausaufenthalte gibt es Wartelisten. Um hier gewisse Mindeststandarts und eine gewisse Gleichheit zwischen den Patienten zu erreichen, wurden mit der „Forskrift om Ventetidsgaranti“[31] vom 1.7.1997 Garantien zur Behandlung bestimmter Patientengruppen, die ebenfalls durch die Vorschrift bestimmt werden, eingeführt. Dies wurde möglich, da man dabei ist, die freie Krankenhauswahl einzuführen. Diese Vorschrift besagt in §7 daß jeder Patient[32] der an ein Krankenhaus oder ein Facharztzentrum[33] überwiesen wird, innerhalb von 30 Tagen dort die Möglichkeit einer Eingangsuntersuchung erhalten muß. Innerhalb von drei Monaten nach der Überweisung muß der Patient eingehend untersucht und behandelt werden „wenn folgende drei Kriterien erfüllt sind:

1.      Der Patient muß einen klar voraussehbaren und deutlichen Verlust von Lebensdauer oder Lebensqualität haben, wenn die Behandlung ausgesetzt wird, das heißt

·      eine wesentlich verkürzte Lebenszeit

·      wesentliche Schmerzen oder Leiden  große Teile des Tages oder

·      wesentliche Probleme in Verbindung mit vitalen Lebensfunktionen, wie Nahrungsaufnahme oder Toilettenbesuch

2.      Es liegt eine gute Dokumentation dafür vor, daß Lebenslänge oder Lebensqualität

·      durch aktive medizinische Behandlung wesentlich verbessert werden können

·      sich ohne Behandlung wesentlich verschlechtern kann

·      oder daß wesentliche Behandlungsmöglichkeiten durch eine Verzögerung verspielt werden.

3.      Die erwarteten Resultate in einem akzeptablen Verhältnis zu den Koste stehen.“[34]

Die Akzeptanzgrenze beim dritten Kriterium ist allerdings sehr hoch und mir ist bei meinen Recherchen kein Fall bekanntgeworden in dem eine Aufnahme in die Behandlungsgarantie wegen dieses Kriteriums abgelehnt worden ist. Die ersten beiden Kriterien werden auch in der Begründung der Vorschrift gegenüber dem dritten als Hauptkriterien bezeichnet. Die Wartezeitgarantie ist Teil des Systems von Wartelisten, die an jedem Krankenhaus geführt werden. Bei der Aufnahme in die Wartelisten gilt dabei ein Dringlichkeitsprinzip, daß besagt: Erste Priorität haben Patienten, die unmittelbar Behandlung brauchen, die Notfälle. Zweite Priorität mit der Garantie einer Behandlung innerhalb von 3 Monaten haben Patienten, die die oben genannten Kriterien erfüllen. Es wird allerdings diskutiert, ob diese Wartezeit zumindest vorübergehend auf 6 Monate erhöht werden soll. Die dritte Gruppe von Patienten kommt auf „offene Warteliste“, dabei wird allerdings angestrebt daß sie innerhalb von einem Jahr behandelt werden sollen, was in ca. 90% der Fälle auch möglich ist. Dieses System basiert auf der Triage, die damit als Alltag angesehen werden kann. Es wird in verschiedene Dringlichkeitskategorien eingeteilt, die Entscheidungskompetenz für diese Einstufung in Dringlichkeitskategorien kommt dabei dem aufnehmenden Arzt zu, der hier meiner Meinung nach trotz Rationierung durch die ihm vorgegebenen Kriterien für die Einstufung Anwalt des Patienten sein kann. Und nicht ständig andere Patienten im Hinterkopf haben muß. Es wird von ihm einzig erwartet, sich an die ihm vorgegebenen Regeln zu halten.


 

 

 

3.3.2.   Privatärzte

Ein System privater Zusatzversicherungen wie in Großbritannien ist mir aus Norwegen nicht bekannt. Pivatärzte finden sich in der Regel nur in größeren Städten und werden von Patienten, die keine Einstufung in eine der beiden erste Dringlichkeitsstufen erhielten und denen die Wartezeit zu lange ist, konsultiert. Sie werden oft für Eingriffe im Bereich der kosmetischen Chirurgie herangezogen, wenn die Wartezeiten im staatlichen Gesundheitssystem zu lang sind oder der zu erwartende Rechnungsbetrag die Konsultationsgebühr des staatlichen Gesundheitssystems nicht wesentlich übersteigt.


 

3.3.3.   Ein Beispiel einer offenen Veralltäglichung der Triage

Im norwegischen System der Wartelisten mit Dringlichkeitskategorien begegnet uns das System der Auslese nach Dringlichkeit als eine gesetzliche Norm außerhalb der Kriegs- und Katastrophenmedizin. An welcher Logik orientiert sich diese alltägliche Triage nun?  Ich denke eine utilitaristische Logik der Maximierung der Überlebendenzahlen, wie sie in der klassischen Triage[35] vorherrscht, kann schon allein deshalb ausgeschlossen werden, weil akute Notfälle eine eigene erste Dringlichkeitskategorie bilden. Aus der Vorschrift über eine Wartezeitgarantie[36] kann abgeleitet werden, das zwei zu maximierende Größen von Bedeutung sind: die Lebensdauer und die Lebensqualität. Diese Maximierung ist eindeutig utilitaristisch, dennoch enthält diese alltägliche Triage nach meiner Meinung auch egalitaristische Elemente.  Dies wird besonders an der Motivation der Einführung der Wartezeitgarantie deutlich. In der Vorschriftsbegründung heißt es „Die Kriterien sind streng und betreffen ein Thema, wo die Solidarität im Verhältnis zu den Allerkrankesten und meist Behandlungsbedürftigen das Zentrale ist“. Es geht also darum allen einen möglichst gleichen Zugang zu einem Minimum an Lebensqualität zu verschaffen.  In der Diskussion um das Wartelistensystem wurde die Einführung der zweiten Kategorie der Patienten mit Wartezeitgarantie auch damit begründet, Patienten in allen Landesteilen eine möglichst gleichen Zugang zu drängenden medizinischen Behandlungen zu sichern, dies sollte durch die Wartezeitgarantie, die von der Überweisung an ein erstes Krankenhaus an läuft und die freie Krankenhauswahl geschehen. Das Argument eines möglichst gleichen Zugangs zu einem Minimum an Lebensqualität ist für mich ein egalitaristisches dem allerdings das strikt utilitaristische der Maximierung gegenüber steht. Ich denke um das Gewicht des Utilitarismus in dieser Triage nicht zu stark werden zu lassen, ist das dritte Kriterium der akzeptablen Kosten eingeführt worden, es soll verhindern, daß durch einen einzelnen Patienten eine übergroße Menge an Kapazitäten beansprucht wird und dadurch vielen anderen dringende Behandlungen verweigert werden müssen. Durch den Bezug auf die Kosten soll ein Abwägen zwischen einzelnen Patienten vermieden werden, dennoch bleibt die Frage bestehen, welche Kosten sind akzeptabel um ein Leben zu verlängern oder seine Qualität zu verbessern? Diese Frage werden sich Ärzte und Gesellschaft sicher immer und immer wieder stellen müssen. Ziel dieser offen veralltäglichten Triage ist es, wie ich denke, jedenfalls allen Menschen einen möglichst gleichen Zugang zu einem möglichst langen Leben mit einer möglichst hohen Lebensqualität zu sichern und deshalb enthält dieses System einer alltäglichen Triage sowohl egalitaristische als auch utilitaristische Elemente. Die besondere Betonung der egalitaristischen Elemente entspricht dabei dem Selbstverständnis der Norweger als einer egalitaristischen Gesellschaft.


 

 

 

3.4.   Deutschland

Im deutschen Krankenversicherungssystem ist grundsätzlich zwischen zwei Bereichen zu unterscheiden, dem der Privaten Krankenversicherung und dem der Public Health Systemen verwandten gesetzlichen Krankenversicherung. Während im privaten Sektor Rationierung zumindest auf der Mikroallokationsebene praktisch kaum vorkommt, da hier der Arzt bzw. das Krankenhaus den Patienten direkt als Vertragspartner hat, ist im System der gesetzlichen Krankenkassen zumindest Rationierung an der Tagesordnung.


 

3.4.1.  Das System der gesetzlichen Krankenkassen

Der Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen wird im wesentlichen durch die Politik bestimmt. Den einzelnen Krankenkassen kommt nur bei den sogenannten Wahlleistungen eine eng begrenzte Entscheidungskomptenz zu. Auf dieser Ebene der Makroallokation gilt im Moment als oberstes Prinzip das der Kostenbegrenzung und Beitragsstabilität, das heißt die Ausgaben können nur in dem Maße steigen, in dem die Beitragseinnahmen steigen. Da die Beiträge aber stabil bleiben müssen, können die Einnahmen und Ausgaben nur in dem Maße steigen, wie die Durchschnitts Löhne- und Gehälter steigen. Da aber dann auch die Löhne und Gehälter im Gesundheitswesen als einem relativ personalintensiven Wirtschaftssektor steigen, bleibt kaum Spielraum um auf den medizinischen Fortschritt und die „Vergreisung der Gesellschaft“ zu reagieren. Die Folge davon ist Rationierung, die allerdings immer noch verschleiert und verschwiegen wird. Die Pflichtversicherten in den gesetzlichen Krankenkassen haben trotz der Vielzahl der Krankenkassen außer über Wahlen so gut wie keinen Einfluß auf Entscheidungen in der Ebene der Makroallokation, da die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung fast vollständig durch Gesetz von der Politik bestimmte werden. Freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte haben hingegen die Möglichkeit in den privaten Versicherungssektor zu wechseln und damit einen größeren Einfluß  auf die Makroallokation zu nehmen. Durch die Wahl zwischen verschiedenen gesetzlichen Krankenversicherungen hat der Einzelne lediglich die Möglichkeit zu bestimmen, wieviel Geld er persönlich und sein Arbeitgeber  für die Krankenversicherung aufwenden und wieviel Wahlleistungen[37] und Service der Verwaltung  sie dafür erhalten. Rationierungsentscheidungen der Politik werden kaum jemals als solche und nie konkret benannt und meist so formuliert, daß die Verantwortung dafür auf die Ebene Mikroallokation verlagert wird. Die Entscheidungsträger dieser Ebene[38] werden allerdings so unter Druck gesetzt, daß für sie Rationierung unvermeidbar ist.

Die Mikroallokation gestaltet sich im Deutschen System der gesetzlichen Krankenkassen relativ kompliziert. Da durch die Maßgabe der Beitragsstabilität ein festes Budget vorgegeben ist, ist einerseits Rationierung notwendig, die andererseits jedoch wiederum durch den Entscheidungsträger der Makroallokation, die Politik, untersagt wird. Die Kassenärzte einerseits und die Krankenhausärzte und Krankenkassen andererseits als die Entscheidungsträger der Mikroallokation befinden sich also in einem Dilemma: Sie sind auf der einen Seite verpflichtet alles medizinisch Notwendige und Sinnvolle zu tun und zu veranlassen und haben auf der anderen Seite nicht die nötigen Mittel dazu. Wie geht man nun mit diesem Dilemma um, das meiner Meinung nach ohne ein offenes Bekenntnis zur Rationierung mit klaren Regeln nicht zu lösen ist?

Zuerst die Kassenärzte: Sie haben für ihre Praxis in jedem Vierteljahr ein bestimmtes Leistungsbudget zur Verfügung das sich aus der Anzahl ihrer in diesem Quartal behandelten Patienten ergibt. Ist dieses Budget verbraucht, was in der Regel 2 bis 4 Wochen vor Quartalsende der Fall ist, so erhalten sie erbrachte Leistungen nicht mehr  vergütet , sind aber verpflichtet wie bisher weiterzuarbeiten und dürfen auch ihr Personal nicht nach Hause schicken. Welche Folgen hat das? Da das deutschen System der privaten Arztpraxen grundsätzlich darauf basiert, daß die Ärzte durch leistungsabhängige Entlohnung motiviert[39] werden, fehlt ihnen in den letzten 2-4 Wochen die Motivation, die bestenfalls eine Zeit lang durch einen gewissen Idealismus aufrecht erhalten werden kann. Der Arzt wird deshalb dazu übergehen, Behandlungen in ein neues Quartal zu verschieben, Kosten verursachende irgend vermeidbare Behandlungen zu vermeiden und seine Arbeitszeit zu reduzieren. Dabei befindet er sich in einem Konflikt, einerseits wird von ihm gefordert weiterhin Anwalt des Patienten zu sein, andererseits kollidiert dies mit einem grundlegendem Interesse, das jeder  einer Erwerbsarbeit nachgehende Mensch hat, dem Erwerb von Mitteln zum Lebensunterhalt. Die geforderte Anwaltsfunktion des Arztes ist deshalb aber nicht nur in den Wochen der fehlenden Budgetdeckung unmöglich geworden, da der Arzt so motiviert sein muß so lange als möglich mit dem Budget auszukommen, er wird als ständig rationieren. Da ihm das allerdings untersagt ist, kann er es nicht offen und nach klaren Kriterien tun, sondern ist gezwungen dies im Verborgenen nach seinen persönlichen teilweise unreflektierten Maßstäben und dem Prinzip der Unbeweisbarkeit zu tun. Dies kann zu Willkür führen. Im Bereich der Arzneimittelverordnungen in dem die Ärzte ebenfalls durch monetäre Sanktionen zu Einsparungen gezwungen werden, verhält sich die Sache ähnlich, nur treffen hier die Auswirkungen nicht einen einzelnen Arzt, sondern die gesamte Kassenärzteschaft. Dadurch wird die Situation unübersichtlich, da kein Arzt weiß wieviel er nun verordnen darf. Durch kommt es zu willkürlicher Rationierung, denn die Ärzte werden, um den Sanktionen zu entgehen, versuchen so wenig wie möglich zu verschreiben, auch wenn sie weiterhin verpflichtet sind alles Notwendige zu verschreiben. Nur die Einschätzung was notwendig ist eine Entscheidung, die zu einem gewissen Maße eine Ermessensentscheidung des Arztes und die Maßstäbe hierfür sind interpretierbar...  Um die Willkür im Bereich der Mikroallokationsentscheidung über die Verordnung von Medikamenten zu begrenzen, ist vor kurzem eine neue Medikamentenliste eingeführt wurden, mit der ein deutlicher Schritt hin zu mehr Rationierung gegangen wurde, statt einer Liste von der Verordnung ausgeschlossener Medikamente hat man es nun mit einer Liste verordenbarer Medikamente zu tun. Dies ist eigentlich eine klare Rationierung, die nur nicht als solche offen benannt wird. Von der Verordnung ausgenommen sind nämlich Medikamente für sogenannte Bagatellerkrankungen, wie Erkältungen, viele Medikamente mit Wirkstoffkombinationen oder Medikamente deren Wirksamkeit nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist. Nun ist aber ein Medikament nicht wirkungslos, nur weil seine Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist. Wir  haben es also mit einer Rationierung zu tun. Sie wird unter den Begriffen der Beitragsstabilisierung und Effizienzverbesserung, die eigentlich immer auch Rationierung bedeutet[40], verschleiert, was zu mehr oder minder willkürlicher Rationierung führt.

Auch in Krankenhäusern gibt es einen Effizienzdruck, der sich in Zukunft durch die Einführung von Krankenhausbudgets noch verstärken wird. Bereits heute wird dadurch rationiert, daß das medizinisch Sinnvolle und Notwendige enger ausgelegt wird. Da dabei viele Entscheidungen über den Sinn von Behandlungen nicht nur von Ärzten getroffen werden, sondern auch die Krankenkassen einen Ermessenspielraum haben, besteht die Gefahr daß sich die Verhältnisse den Amerikanischen annähern. Dies ist in einem faktisch[41] geschlossenen System fatal, da der Patient nicht den Arzt als Anwalt haben kann, da dieser ja durch das Budget ja auch anderen Patienten und in unserer Situation des Ärzteüberschusses auch in starkem Maße seinem Arbeitgeber verpflichtet ist.

Ich halte den jetzigen Zustand der verborgenen Rationierung für sowohl das Gesundheitssystem als auch das Vertrauen in die Politik schädlich. Eine offene Rationierung, die wohl unvermeidbar ist, würde nicht nur die Ärzte aus ihrem Dilemma befreien, sie würde ihnen klare verbindliche Kriterien an die Hand geben, die sie aus der Halblegalität ihrer erzwungenen Rationierung erlöst,  durch diese Kriterien und eine offene Diskussion würden auch die Entscheidungen der Ärzte für die Patienten  wieder verständlicher, zu Deutsch: Es würden wieder klare Verhältnisse einziehen.


 

 

 

3.4.2.   Die private Krankenversicherung

Da im System der System der privaten Krankenversicherung der Patient dem Arzt oder Krankenhaus direkt als Vertragspartner gegenübersteht und nicht wie im System der gesetzlichen Krankenversicherung die Krankenkasse, findet hier Rationierung wenn, dann nur in wesentlich geringerem Maße statt. Der Patient hat wie in den USA die Möglichkeit auf der Ebene der Makroallokation zwischen verschiedenen Versicherungen und verschieden Policen zu wählen. Der Patient kann sich so beispielsweise für einen Tarif  entscheiden, der Arzneimittelkosten  nicht abdeckt. Auf der Ebene der Mikroallokation bestimmt der jeweilige Arzt die Notwendigkeit von Leistungen, die der Patient sich höchstens selbst rationieren kann, um beispielsweise zusätzliche Kosten durch eine Selbstbeteiligung zu umgehen. In diesem Fall maximiert er utilitaristisch sein „finanzielles Wohlbefinden“ die jedoch möglicherweise auf Kosten seines körperlichen Wohlbefindens.

Da sich die privaten Krankenkassen auch bewußt als Alternative zum solidarischen, verschleiert-rationierten System der gesetzlichen Krankenkassen verstehen, ist mir von über die auf der makroallokativen Ebene der Versicherungs- und Policenwahl stattfindenden Rationierung keine weitere bekannt.

Die Privaten Krankenkassen bieten in diesem Sinne auch Zusatzversicherungen zur gesetzlichen Krankenversicherung an, die aber auf Grund des anderen Systems bei weitem nicht so verbreitet sind wie in Großbritannien.


 

4.   Modelle der Rationierung

In den verschiedenen Gesundheitssystemen lassen sich unterschiedliche Modelle der Rationierung ausmachen, die sich zum Teil aus den bestehenden Zwängen heraus auf einer Art Markt der Interessen entwickelt haben. In anderen Staaten sind die Systeme hingegen von staatlicher Seite bewußt installiert worden. Je mehr man in einem System bewußt und offen rationiert hat, desto klarer und plausibler sind oft ihre Mechanismen zu verstehen. Dies wird für mich am norwegischen System von Dringlichkeitskategorien deutlich und ich halte es für eine Folge von statt gefundener bzw. findender öffentlicher Diskussion. Somit sind wohl plausible und relativ gerechte Modelle, auch wenn sie durch ihre Plausibilität einfacher erscheinen, durch die Diskussionen und die Aufklärungsarbeit vor ihre Einführung die eigentlich komplizierteren Modelle. Die Probleme der Einführung solcher Rationierungsmodelle, scheinen aber die Verantwortlichen deshalb wohl meist zu scheuen.


 

 

 

4.1.    Die vier D-Methoden

Ein typisches „Wildwuchs“-Modell stellt Richard Smith in seinem „Plädoyer für eine offene Rationierungsdebatte“[42] vor.  Nach seiner aussage wird in der Praxis heute oft nach folgenden Methoden rationiert:

·         denial (Verweigerung),

·         deflection (Umlenkung),

·         dilution (Ausdünnung) und

·         deterrence (Abschreckung).

Diese Methoden entstanden aus der dringenden Notwendigkeit heraus, rationieren zu müssen. Sie sind nach meinem Wissen auch in Deutschland gängige Praxis. Ihr Problem ist allerdings, daß sie keinen einheitlichen Regeln und Maßstäbe gibt. Der Patient ist somit in gewisser Weise der Willkür  der Ärzte und Krankenkassen ausgesetzt ist. Dies ist für mich unter ethischen Gesichtspunkten ein unhaltbarer Zustand.

Das System der 4 D-Methoden bringt aber auch wirtschaftliche Probleme mit sich: Da gemeinsame Maßstäbe fehlen, wird ein Arzt einem Patienten eine Leistung verweigern, die ein anderer Arzt dem Patienten gewährt. Dies führt wiederum zum sogenannten „Doctor-Hoping“, d.h. ein Patient dem ein Arzt eine Leistung verweigert, wird, wenn er die Möglichkeit hat, zum nächsten Arzt gehen, der ihm diese eventuell gewährt. Dabei entstehen nicht nur durch die eventuell doch gewährte Leistung, sondern auch durch die wiederholten ärztlichen Untersuchungen, neue, sich summierende Kosten. Das System der 4 D-Methoden ist daher nicht nur nicht öffentlich akzeptiert, sondern auch nicht dazu geeignet die Kosten und damit den Rationierungsdruck zu senken.


 

4.2.     Wartelisten

Nach dem relativen Chaos des Systems der 4 D-Methoden kommt mit einer breiteren Akzeptanz der Notwendigkeit von Rationierung in der Regel das Prinzip der Warteschlangen. Warteschlangen werden in der Regel für konkrete Leistungen bzw. Behandlungsmethoden gebildet. Diese Wartelisten können je nach

Gesundheitssystem, Art der Krankenversicherung und Leistung bzw. Behandlung auf verschiedenen Ebenen bestehen. So gibt es lokale Wartelisten auf Krankenhausebene, lokale, nationale und auch internationale Wartelisten. Daneben kann unterschieden werden, nach welchen Kriterien die Wartelisten angelegt werden. Ein verbreitetes System ist dabei das des „first come first serve“[43]-Prinzips. Daneben gibt es aber auch Wartelisten, auf denen die Patienten ihre Plätze nach Dringlichkeits-, Wirtschaftlichkeits-, Lebensqualitäts- oder auch „social worth“[44]-Kriterien erhalten. Am häufigsten sind jedoch „first come first serve“ und die Kombination verschiedener Kriterien zu beobachten.


 

 

 

4.2.1.  Wartelisten mit „first come first serve“

Wartelisten die nach dem „first come first serve“-Prinzip sind im Gesundheitswesen wohl die ältesten Wartelisten überhaupt, finden wir sie doch bis heute in den Wartezimmern der meisten Ärzte: Die Patienten werden in der Regel in der Reihenfolge ihres Kommens aufgerufen. Während es dem Hausarzt jedoch in aller Regel gelingt, täglich seine „Warteliste“ abzuarbeiten, ist die bei Fachärzten und bestimmten Behandlungen in Krankenhäusern oft nicht der fall, daß Wartelisten abgearbeitet werden. Allerdings sind viele Wartelisten, die nach dem „first come first serve“-Prinzip oder „Wer zu erst kommt, mahlt zu erst“ arbeiten, ursprünglich entstanden, um einen akuten Engpaß in der medizinischen Versorgung kontrollieren zu können. Aufgrund der allgemeinen Entwicklung im Gesundheitswesen wurde aus dem akuten jedoch oft ein chronischer Engpaß und somit geht es meist nicht mehr darum, eine Warteliste abzuarbeiten, sondern darum sie in einem vertretbaren Ausmaß und in einer vertretbaren Länge zu halten.

Das „first come first serve“-Prinzip ist für Wartelisten ein relativ einfaches und simples Prinzip, da es nur ein Kriterium kennt, das des Zeitpunkts des Eintritts in die Reihe der Wartenden, und dieses Kriterium sehr einfach und absolut festgestellt werden kann. Wegen seiner Einfachheit wurde es wohl so gern  für die anfangs akuten Engpässe gewählt, denn man wolle sich wohl Zeit und Aufwand für aufwendigere Kriterienkataloge sparen. Daneben spricht jedoch noch ein weiteres Kriterium für es, das der Egalität. Jeder Patienten kommt ohne Ansehen seiner Person an die Reihe und hat somit die gleiche Chance auf Behandlung, zudem ist das Kriterium der Wartezeit sehr objektiv und somit jede Willkür ausgeschlossen. Diese Blindheit gegenüber dem einzelnen Patienten ist jedoch auch die große Schwäche dieses Systems: Es läßt keinen Raum für beispielsweise für die unterschiedliche Dringlichkeit einer Behandlung, so daß Patienten beispielsweise auf der Warteliste versterben können.


 

4.2.2.  Wartelisten mit Dringlichkeitskategorien (Triage)

Eine Möglichkeit der Radikalität der „first come first serve“-Wartelisten zu entkommen ist der in Norwegen gegangene Weg der Einführung von Dringlichkeitskategorien. Dieser Weg, der sich mit der Bevorzugung von akuten Notfällen auch in anderen Systemen mit offener Rationierung findet, wird Triage genannt und hat seinen Ursprung und bis heute sein Hauptnutzungsgebiet in der Kriegs- und Katastrophenmedizin. Im norwegischen System begegnet mir das Prinzip zu ersten Mal ausformuliert mit genauen Kriterien als eine Methode für den medizinischen Alltag. Allerdings haben wir es bei Wartelisten mit Dringlichkeitskategorien genaugenommen schon mit einer ersten Kombination von zwei Kriterien zu tun, denn nach der Einteilung in Dringlichkeitskategorien setzt zumindest in der 2. und 3. Dringlichkeitskategorie innerhalb der jeweiligen Kategorie das Wartelistenkategorien grundsätzlich eigene „first come first serve“-Prinzip ein. Wir haben es also mit einem nach Dringlichkeitsgesichtspunkten segmentierten „first come first serve“-Prinzip zu tun.

Was wird nun durch die Einführung von Dringlichkeitskategorien erreicht? Triage hat von ihrer Idee her einen Zweck, die Maximierung der Überlebendenzahlen[45]. Damit geht der Egalitarismus des „first come first serve“-Prinzips verloren und das System maximiert utilitaristisch die Anzahl  der Überlebenden. In der alltäglichen Triage  wird, wie am Beispiel des norwegischen Kriterienkatalogs erkennbar ist , allerdings nicht nur das „nackte“ Überleben maximiert, sondern es werden auch Lebensqualitäts- und sogar Wirtschaftlichkeitskriterien mit einbezogen.

Trotz dieser Maximierungen kann ich in der Triage auch egalitäre Aspekte erkennen, nämlich die Angleichung der Chancen auf Leben, bzw. auf ein Minimum an Lebensqualität.

Jede Einbeziehung von subjektiven bzw. relativen Kriterien bringt jedoch in gewisser weiser eine Gefahr von Willkür und Ungerechtigkeit mit sich, den alle, die Patienten nach vorgegebenen Kriterien einschätzen sind Menschen, denkende Subjekte, die demnach subjektiv urteilen und sich stets nur um Objektivität bemühen können. Und: Unterschiedliche Menschen urteilen demnach unterschiedlich....


 

 

 

5.   Zusammenfassung

Rationierung im Gesundheitswesen ist im Angesicht der weltweiten Entwicklungen unumgänglich. In den verschiedenen Gesundheitssystemen verschiedener Staaten setzt die Rationierung dabei an verschiedenen Stellen an und deshalb gibt es auch keine Patentrezepte, die ohne weiteres übertragbar wären. Einen sehr guten und interessanten Ansatz findet man jedoch im norwegischen System von Wartelisten mit Dringlichkeitkategorien. (Triage). Diese Einteilung in Dringlickeitskategorien, die Triage genannt wird, im Bereich der alltäglichen ärztlichen Praxis mit Hilfe von Verordnungstexten festmachen zu können, ist für mich das wichtigste Ergebnis meiner Arbeit. Dennoch muß diese Rationierungsmethode auch vor dem Hintergrund des stärkeren Rationierungsdrucks und der Spezifik des Systems gesehen werden, für das es entwickelt wurde. Das norwegische System befindet sich beispielsweise bereits jetzt an einem Punkt, der dem deutschen wegen des geringeren Rationierungsdrucks erst noch bevor steht. Und auch dieser Druck entsteht unterschiedlich: In Norwegen entsteht er hauptsächlich durch Personalmangel, während der Hauptverursacher in anderen Staaten meist finanzielle Probleme sind.

Auch im amerikanischen Modell liegen durch die Funktion des Arztes als Anwalt des Patienten und den Markt der Versicherungspolicen Chancen, während ich als wichtigste Innovation des britischen Systems die privaten Zusatzversicherungen sehe.

Aber um ein Triage- oder anderes System einzuführen, das auch ethisch zu rechtfertigen ist, bedarf es immer einer öffentlichen Diskussion, die noch zu sehr gescheut wird. Auch Erfahrungsaustausch auf internationaler Ebene könnte durchaus hilfreich sein, da die Ursachen des Problems ja nicht nur nationaler Natur sind. Das Problem der Rationierung im Gesundheitswesen ist übernational und noch längst nicht gelöst, so daß es uns sicher weiter beschäftigen wird.

Wirkliche Lösungen, die über erste Ansätze hinausgehen, konnte ich auch mit meiner Arbeit nicht finden, sondern sie kann nur zur weiteren Diskussion anregen.


 

6.   Quellenverzeichnis

Daniels (1986), Norman, Why saying no to patients in the United States is so hard: Cost Containment, Justice an Provider Autonomy, in: The New England Journal of Medicine Vol.314, No. 21, S. 1382-1383.

Kühn (1996), Hagen, Ethische Probleme einer ökonomisch rationalisierten Medizin, WZB discussion paper P96-207 (Arebitsgruppe Public Health).

Schmidt (1996), Volker H., Veralltäglichung der Triage, in: Zeitschrift für Soziologie 25, S. 419-437.

Seydewitz/Zeller (1972), Horst und Frank (Hrsg.), Länder der Erde: Politisch-ökonomisches Handbuch, Berlin (Ost) 19725.

Smith (1998), Richard, Plädoyer für eine offene Rationierungsdebatte, in: Dt. Ärzteblatt 1998; 95; S. A-2453-2458.



[1] Smith 1998.

[2] Anm.: engl. Abkürzung für Nicht-Regierungs-Organisationen, d.h. von den Regierungen der Staaten unabhängigen Organisationen z.B. Nothilfe- und Entwicklungshilfeorganisationen.

[3] Anm.: Durch die förderale Struktur der Vereinigten Staaten sind absolute, verallgemeinernde Aussagen eigentlich unmöglich.

[4] vgl. Seydewitz/Zeller, Länder der Erde S. 785.

[5] vgl. dazu auch: Seydewitz/Zeller, Länder der Erde S. 260.

[6] Anm.: durchschnittlich etwa 2000.

[7] Anm.: sinngemäße Übersetzung der Bezeichnung dieser nationalen Sozialkasse.

[8] Anm.: Stand 1998.

[9] Anm.: entsprechend den britischen GPs.

[10] Anm.: non-fundholding GPs

[11] Anm.: Einführung der Krankenversicherung 1883

[12] Anm.: z.B. bei der Gewährung von Kuraufenthalten und Zuschüssen bzw. Eigenbeteiligungen dazu

[13] Anm.: und damit rationiert.

[14] Anm.: Umgekehrt geschieht jedoch bei Nichtausschöpfng nichts.

[15] Anm.: Krankheit.

[16] vgl.:  Daniels S. 1382, 2.Spalte.

[17] vgl. Smith

[18] Smith

[19] vgl. Daniels

[20] vgl. Smith

[21] vgl. Daniels

[22] Anm.: Hier sehe ich mich etwas im Widerspruch zu Daniels.

[23] vgl. dazu auch Daniels.

[24] Kühn, S. 3.

[25] Anm.: Ich selbst benutzte sonst anstelle des Begriffes Agent den Begriff Anwalt.

[26] Anm.: Besonders fundholding GPs.

[27] Anm.: besonders non-fundholdinge GPs und Fach- und Klinikärzte.

[28] Anm.: Man sollte sich nicht von Umrechnungen von Löhnen des öffentlichen Dienstes irritieren lassen, denn die Lebenshaltungskosten sind in Norwegen etwa doppelt so hoch wie in Deutschland. Und durch das Problem der Landflucht explodieren die Mieten in vielen Städten, so daß viele Familien sich nur als Doppelverdiener einen Deutschland entsprechenden Wohlstand leisten können.

[29] Anm.: z.B. Medizinstudienplätze in Leipzig.

[30] Anm.: in besonderer Abhängigkeit von der Dringlichkeit.

[31] Übersetzung: „Vorschrift über eine Wartezeitgarantie“.

[32] Anm.: Notfälle ausgenommen.

[33] Anm.: wörtl.: „spesialistpoliklinikk“.

[34] Anm.: genaue Übersetzung des Verordnungstextes.

[35] vgl. Schmidt, S. 419.

[36] Anm.: Übersetzung siehe oben.

[37] Anm. Minimale Unterschiede.

[38] Anm. Gemeint sind Politik und Verwaltung.

[39] Anm.: Im Gegensatz dazu basiert das britische System auf Versorgungspauschalen. Zum Problem der monetären Motivation siehe auch Kühn.

[40] vgl. Smith

[41] Anm.: Theoretisch sind auch Beitragssteigerungen bei den Krankenkassen möglich, die allerdings von der Entscheidungsinstanz in der Ebene der Makroallokation, der Politik, nicht gewollt und deshalb sanktioniert werden.

[42] Smith

[43] Anm.: wörtl.: „Zu erst kommen, zu erst sichern.“, entspricht dem deutschen: „Wer zu erst kommt, mahlt zu erst.“

[44] Anm.: gesellschaftlicher Wert.

[45] Anm.: auch wenn dies im militärischen Bereich teilweise von dem Ziel der Wiederherstellung maximaler Kampfkraft überdeckt wird oder heute auch Lebensqualtätsgesichtspunkte eine Rolle spielen

 

 

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