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2.3.3. Die ökumenische Bewegung

Die größte Bedeutung für das Kirchenverständnis in der Gegenwart besitzt nach Joest in unserem Jahrhundert die ökumenische Bewegung. Sie führte nicht nur für Theologen und Amtsträger sondern auch für die Gemeinden zu einer Öffnung. Man erkennt die Gemeinsamkeiten und akzeptiert die Trennung und Spaltung in Konfessionen nicht mehr als unüberwindbare und unveränderliche Hindernisse für eine Zusammenarbeit. Es setzt sich ein Verständnis von Kirche Christi durch, das im Sinne eines weiteren Verständnisse von ecclesia vera über die eigene Kirche, eigene Konfession,  hinausgeht. Man nimmt vielfach Abschied von einer Absolutheit eigener Lehren und ist insgesamt toleranter.

Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang auch den überseeischen "jungen Kirchen"[38] zu. Diese als Missionskirchen entstandenen Kirchen stehen mit ihrem Glauben jenseits des abendländischen Kulturkreises. Dabei stellt sich allerdings nach Joest die Frage, was im christlichen Glauben wirklich Grundlagen sind, wie zum Beispiel die Schriften und Bekenntnisse der Kirchenväter, und was wirklich Einfluß der Kultur ist und deshalb durch anderes ersetzt werden kann.

Ein anderer Aspekt sind für Wilfried Joest die politischen und sozialen Probleme. Er nimmt hier Bezug auf die "Dritte Welt " - Bewegung. Gleichzeitig gibt es nach seiner Darstellung eine Bewegung in Europa, deren Ziel die Öffnung der Kirche und eine Veränderung ihrer "autoritär und patriarchalisch wirkenden Strukturen" ist, um die Kirche wieder attraktiver zu machen. Dies sei wiederum eine Gegenbewegung auf die vorhergehende Rückbesinnung.

Eines der größten Probleme besteht daher heute in der Frage, ob und wie weit sich die Kirche der Zeit anpassen muß, oder ob sie nicht wegen ihrer Botschaft gerade gegen den Strom der Zeit schwimmen muß?

In einem sich anschließenden Abschnitt wird über die Zukunft der Ökumene nachgedacht: Joest sieht eine Annäherung der reformatorischen Kirchen an die römisch-katholische und  eine Auflockerung römisch-katholischer Positionen, stellt  aber gleichzeitig die Frage ob eine Einigung in der "Mitte" möglich ist und warnt in diesem Zusammenhang vor einer Vertiefung innerevangelischer Gräben.

Die Kernfragen eines Kirchenverständnisses besonders im Gegensatz römisch-katholisch und reformatorisch sind für Joest  die nach Wesen und Auftrag der Kirche und die "geistliche Realität und institutionelle Ordnung" sowie die Frage des kirchlichen Amtes. Diesem will Joest sich im nächsten Paragraphen widmen.

 

Die Hauptfrage ist für mich in diesem Abschnitt: Muß Kirche gegen den Strom schwimmen?

Kirche steht wie bereits geschrieben in ihrer Zeit und ist in jedem Fall an die notae ecclesiae gebunden. Doch wie verhält es sich mit ihren Bekenntnissen, die sie doch bestimmen sollen? Kirche ist in der Zeit und an sie gebunden, aber sie besitzt auch eine Bindung an ihre notae  und Bekenntnisse, das heißt Kirche darf sich der Zeit anpassen und muß sich ihr nicht grundsätzlich verweigern, aber sie darf den Boden ihrer Kennzeichen nicht verlassen und muß sich, wie ich meine, in einem begrenzten Interpretationsrahmen ihrer Bekenntnisse bewegen. Sollte dies in einer Zeit nicht möglich sein, so muß sie sich gegen diese stellen. Den Interpretationsrahmen sehe ich übrigens unter anderem dadurch begrenzt, daß bestimmte Artikel nicht einfach historisch-kritisch außer Kraft gesetzt werden können. Andererseits sind Bekenntnisse aber auch iure humano, das verändert werden kann. Doch das darf weder beliebig noch schnell geschehen. Bei allem muß das Wort Gottes in der  Bibel, die Norm aller Normen bleiben.

Durch die ökumenische Bewegung gab es einen Aufbruch, der das Verständnis von dem, was Kirche sei, nicht nur über die Grenzen von Konfessionen hinaus erweiterte, sondern auch den Blick für die weltweite

Gemeinschaft der Kirchen öffnete. So geht bis heute auf der Gemeindeebene die Ökumene häufig wesentlich weiter als auf der offiziellen. Allerdings ist die Euphorie dieses Aufbruchs inzwischen einer gewissen Ernüchterung gewichen, so daß der Slogan für die letze Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen in Harrare  nur noch "Laßt uns beieinander bleiben!" war. In der Begeisterung des Prozesses hatte man wohl einige Gräben und Hindernisse übersehen, die sich jetzt wieder bemerkbar machen: Nicht nur die Probleme zwischen "jungen Kirchen"  und abendländischen Kirchen, sondern auch ein Konflikt besonders zwischen den westlichen protestantischen Kirchen und den Kirchen der Orthodoxie ist aufgebrochen. Die Tendenz zur Auflockerung römisch-katholischer  Positionen scheint an einigen Stellen einem erneuten Fundamentalismus gewichen zu sein, und auch Protestanten haben Angst um die Erkennbarkeit ihrer eigenen Kirchen[39].  Dennoch: die Zukunft der Kirchen liegt in ihrer Gemeinschaft, denn die Trennung ist sowohl für die meisten Christen, wie auch für Außenstehende unverständlich, da sich doch alle zu dem einen Gott und dem einen Herrn Jesus Christus bekennen und unter dem einen Geist leben wollen. Auch der "Blick über den eigenen Tellerrand", den eigenen Kulturkreis hinaus wird in einer Zeit der Globaliserung und des Medienzeitalter unumgänglich sein.

Bei der Frage nach den Kirchenstrukturen dürfte sich aber auch hier die Frage nach der Anpassung an die Zeit oder dem "Schwimmen gegen den Strom" stellen. Dabei sind Reformen selbst in relativ demokratischen Kirchen wie den reformatorischen Westeuropas sicher notwendig. Doch muß auch bei solchen Reformen besonders in anderen Teilen der Welt auf die dortigen kulturellen Besonderheiten und Traditionen Rücksicht genommen werden und gerade Menschen wie Europäer und Nordamerikaner dürfen nicht als Lehrmeister auftreten.

Bei aller notwendiger Annäherung an die römisch-katholische Kirche, die ja im ökumenischen Prozeß eine Sonderrolle spielt, muß, und da gebe ich Joest recht, darauf geachtet werden, innerevangelische Probleme nicht zu verschärfen. Dies trifft besonders auf den lutherischen Bereich zu. Mit seinen abschließenden Gedanken, die schon zum nächsten Paragraphen überleiten, hat Joest die Problempunkte im Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche genannt.

 

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