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3.2. Die Wallfahrtskirche in Mariaschein – von der hölzernen Kapelle zur Wallfahrtskirche

Die anfängliche Errichtung einer Holzkapelle gemäß der Legende ist als zutreffend anzunehmen, da sie Zeugnis einer anzunehmenden kontinuierlichen Entwicklung wäre, die schließlich zu einer Steinkapelle und 1515 zu einer ersten Wallfahrtskirche führte. Auch gibt es sonst weder faktische noch logische Gründe, die gegen eine solche Holzkapelle sprechen. Auch Kröss geht davon aus, daß mit dem Wiederaufbau Krupkas und der Rückkehr der Bergleute nach der Niederlage der radikalen Hussiten, der Taboriten, 1434 eine Kapelle entstand. Da man, wie anzunehmen ist, anfangs die Steine für den Wiederaufbau der  1429 verwüsteten Stadt brauchte, würde auch dies die These einer Holzkapelle stützen.

Im Jahre 1500[32] muß es eine Steinkapelle gegeben haben, die später als Chor für eine erste Wallfahrtskirche diente. Wann diese allerdings die ursprüngliche Holzkapelle ersetzte, läßt sich nicht exakt herausfinden. Möglich wäre ein Zusammenhang zwischen einem ersten belegten Votivgeschenk 1443 und der Errichtung einer Steinkapelle. Dieses Votivbild, ein Triptychon, muß, wie Kröss[33] schreibt, bereits Ende des 19. Jh. in einem schlechteren Zustand gewesen sein. Sowohl Kröss als auch Miller[34] haben es jedenfalls ausführlich beschrieben. Für einen Zusammenhang zum Bau einer steinernen Kapelle könnte dabei sowohl die Form eines Triptychons als auch die Vermerkung der Jahreszahl auf dem Bild sowie die Motivfindung nach dem Gnadenbild und der Legende[35] sprechen. Dagegen läßt sich allerdings einwenden, daß sich kein Verweis auf eine mögliche Einweihung einer neuen Kapelle in den Beschreibungen des Bildes findet. Der zeitliche Abstand zu der von Kröss angegebenen Jahreszahl 1434 könnte jedoch für einen solchen Zusammenhang sprechen, da die gröbsten Folgen der Verwüstung nach neun Jahren überwunden worden sein dürften.

Sicher ist jedoch, daß der oberste Kanzler des Königreiches Böhmen Albrecht Liebensteinsky von Kolowrat, nachdem er 1506 die Herrschaft Krupka erhalten hatte, 1507 mit der Erweiterung einer steinernen Kapelle zu einer ersten Wallfahrtskirche begann[36]. In gleichen Jahr  wurde durch eine Versammlung von 23 Kardinälen erstmals ein Ablaß von hundert Tagen für die Wallfahrt nach Mariaschein zu bestimmten Festtagen gewährt. Dies geschah auf Betreiben des Krupkaer Bürgers  Wolfgang Knobloch, der seine dafür unternommene Romreise jedoch nur um wenige Monate überlebte. 1515 wurde die erste Wallfahrtskirche in Mariaschein schließlich vollendet und am 14. Oktober[37] durch Martin von Nicopolis, Generalvikar des Erzbischofs von Olomouc mit Bewilligung Dr. Johann Zaks, Administrator der Erzdiözese Prag eingeweiht. Diese in Wallfahrtsbüchern als gotisch bezeichnete Kirche stand bis zur Errichtung der heutigen Barockkirche am Anfang des 18. Jahrhunderts. Miller beschrieb sie in seinem ersten, mir nicht zugänglichen Buch zur Geschichte Mariascheins[38].

I. Exkurs: Wallfahrten aus der Lausitz oder die „Wendschen“ in Mariaschein

In den Erzählungen Henriette Plötners über die Wallfahrten in den 30er Jahren kam die Sprache immer wieder auf die sogenannten „Wendschen“, die zu Wallfahrten aus der Lausitz anreisten. Dabei erwähnte sie, daß es sich allerdings keineswegs nur um Sorben und Wenden gehandelt haben wird, sondern mit diesem volkstümlichen Ausdruck vielmehr alle Wallfahrer aus der Lausitz bezeichnet wurden. Die Verbindungen aus der Lausitz ins böhmische Mariaschein haben ihre Wurzeln in der zeitweisen Zugehörigkeit der Lausitz zur böhmischen Krone. So bezeichnet Frind[39] den böhmischen König als mutmaßlichen Gründer der Stadt Zittau. Nach dem die Lausitz zumindest teilweise wohl schon früher zu Böhmen gehört hatte, wurde sie 1368 vom Habsburger Karl IV. erworben und 1370 als Kronland der böhmischen Krone eingegliedert. Dort verblieb sie von diversen Verpfändungen abgesehen bis zum Westfälischen Frieden 1624, als sie Sachsen zugesprochen wurde. In diesen Zeitraum fällt auch der belegte Beginn von Wallfahrten nach Mariaschein 1515. Kröss berichtet[40], daß damals die Bruderschaften Zittaus beschlossen jährlich eine Prozession „zur  Elenden Maria beim Graupen“ zu unternehmen. Dies ist zugleich ein erstes Zeichen für eine Entwicklung Mariascheins zu einem überregionalen Wallfahrtsort. Auch wenn diese Wallfahrten nach 1521 wohl kurzzeitig abrissen[41], scheinen sie insgesamt die Zeit bis heute überdauert zu haben. Auch durch den westfälischen Frieden, als die Lausitz vom katholischen Böhmen zum protestantischen Sachsen kam, scheint die Wallfahrtstradition keinen Schaden genommen zu haben, denn Kröss berichtet[42] , daß um 1720 für gewöhnlich am Sonntag vor Mariä Geburt „eine Abtheilung der Wendischen Procession“ kam. Ausschlaggebend für das Fortbestehen der Tradition auch nach 1648 kann das Fortbestehen des katholischen Glaubens in der Lausitz gewesen sein, denn der Westfälische Friede forderte im Gegensatz zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 keine generelle Konversion ganzer Landstriche mehr. So scheint sich der katholische Glaube mit seinen Traditionen und Bräuchen wie der Wallfahrt teilweise zu etwas wie einem identitätsstiftenden Merkmal der Menschen in der Lausitz und besonders der dort lebenden Sorben entwickelt zu haben.

Kröss schreibt jedenfalls[43], daß 1798 auch die zahlreichen Wallfahrten aus der Lausitz zur Erhebung Mariascheins zur Probstei beitrugen. Auch in seinem Verzeichnis der Prozessionen des Jahres 1750[44] findet sich eine Prozession von „Wenden aus Sachsen“ unter Führung des Dekans von Aussig[45] für den „Samstag vor dem Feste Mariä Geburt“, dem 31. August[46]. Auch für die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts berichtete mir Henriette Plötner, die damals im östlich von Mariaschein gelegenen Velke Chvojno, Böhmisch-Kahn, lebte und selbst an Wallfahrten teilnahm, von „Wendschen“ Wallfahrern, auch wenn sie sich des Datums jener Wallfahrten nicht mehr sicher ist.

Wenn auch nicht der genaue Tag, so scheint sich doch zumindest die Jahreszeit in den Lausitzer Wallfahrten erhalten zu haben, denn einer von zwei Zeitungsartikeln über eine Bustour nach 1945 Vertriebener vom 25-27. Juli 2000 erwähnt kurz eine Wallfahrt von Gläubigen aus der Lausitz. Das Fortdauern der Lausitzer Wallfahrtstradition wurde mir des Weiteren auch von Pater Cukr bestätigt.

So scheinen, den Berichten Pater Cukrs zufolge, die Lausitzer Wallfahrten in ihrem Umfang heute die böhmischen zu übertreffen, sicher deshalb, weil dort die Tradition durch Krieg und Vertreibung nicht so abreißen konnte. Es bleibt zu hoffen, das zumindest diese Tradition auch in unserer Zeit erhalten bleibt und vielleicht sogar wieder ins Böhmische ausstrahlen kann.

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