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Nr. 31
Haramsøy, 30.06.2012
Nun haben wir den Widerstand aufgegeben. Seit Mitte Juni sind wir nun doch auf Facebook. Wer uns sucht, der muss sich nur auf www.hoffmannfamilie.net verirren. Doch bis es dazu kam musste einiges passieren. Wir haben eine wirklich anstrengende aber auch spannende Zeit hinter uns. Dies ist auch der Grund weshalb über ein halbes Jahr seit den letzten Inselnachrichten vergangen ist.
Wir haben immer warten wollen bis sich alles geklärt ist. Aber wie das so ist im Leben: es lässt sich nicht alles planen und abklären.
Im Dezember 2011 saßen wir zusammen, ließen die letzten Monate Revue passieren und stellten fest, dass wir ins 10. Jahr unseres Insellebens gingen. Da ist es natürlich zurückzuschauen auf die Jahre und auf das was war,  das was man hoffte das sein würde und auf das was nicht geworden ist und auch nicht werden wird. War unsere Zeit hier zu Ende? Ein Gedanke kam auf: „Wie wäre es sich auf ein paar Stellen zu bewerben die aufgetaucht waren und Michael reizvoll erschienen?“  Bisher haben wir diesen Schritt immer weit von uns geschoben, der Kinder wegen und auch weil es uns hier gut gefiel.  Auch der Gedanke den Dachboden leerräumen zu müssen, war einfach ein abschreckender :-)
Doch nun mehrten sich die Probleme mit Michas Arbeitgeber, manches deutete darauf hin,  dass  sich unser Weg auf den Inseln dem Ende nähern könnte.
Was ist der richtige Weg für diese Familie? Was will Gott mit uns und unserem Leben jetzt? Werden wir den richtigen Weg von einem falschen unterscheiden können?
Also bewerben. Anfangs dachten wir es ist nur eine Art Test, aber wie das so ist: wenn sich so ein Gedanke erst mal festigt, kann man irgendwann nicht mehr zurück und will dass ETWAS- irgendetwas geschieht.  Die Wartezeit auf Antworten war zermürbend und wir wurden immer sicherer dass ein Umzug der richtige Weg ist.
Glücklicherweise hat sich nach und nach alles geordnet. Und im August werden wir Richtung „Süden“ ziehen,  nach Auli, 30 min vom Oslo-Flughafen Gardermoen. Ein kinderfreundlicher und kinderreicher Ort in einer übersichtlichen Kommune in richtiger Stadtnähe und -ferne. Immerhin sind es 40 Kilometer bis Oslo. Die Kinder können zur Schule laufen. Jana wird wieder in der Hauskrankenpflege arbeiten und Michael im Team der Gehörlosenseelsorge .
Während sich für Jana  alles recht zügig ordnete, gab es für Micha schon einige Enttäuschungen unterwegs. Er hing noch sehr lange in der Luft und zitierte schon aus Reinhard Meys „Unterwegs“ (Jahrezeiten 1980) „Menschenskind, hätt' ich doch bloß was Anständ'ges gelernt“, bevor man am Ende doch seine Fähigkeiten zu schätzen wusste.
Ein Haus haben wir auch - in Norwegen ist kaufen üblich - und freuen uns, jetzt bald zum ersten Mal ins eigene Haus einzuziehen.
Und so sind wir jetzt  bei Facebook, denn – so haben uns die Insulaner versichert - jetzt MÜSSEN wir, um  Kontakt halten zu können und das wollen wir natürlich gerne.  Der Abschied ist nach so vielen Jahren wehmütig, schließlich kennen wir mittlerweile jeden Winkel, jedes Gesicht und  sind selbst  „Øyingar“ geworden. Jana hat grob geschätzt und festgestellt, dass sie in jedem 2. Haus  hier gewesen ist.
Wir werden den Zusammenhalt, den rauen Küstenton und die wetterfesten Leute vermissen.  Und doch konnte es für Michael so nicht weitergehen: 
In den letzten Jahren ist Michael Pfarrer auf vier Inseln an der norwegischen Küste gewesen. Die Kirchgemeinde Haram besteht dabei aus den Inseln Lepsøy, Haramsøy und Longva (offiziell Flemsøy/Skuløy). Die Gemeinde Fjørtoft dagegen besteht nur aus der Insel Fjørtoft und etwa 112 ihrer etwa 123 Einwohner.  Doch irgendwann kam jemand in der Bistumsverwaltung in Molde auf den Gedanken, dass der Gemeindepfarrer in Haram nicht mehr Gemeindepfarrer auf Fjørtoft sein sollte. Die Gemeinde sollte in Zukunft vom Nachbarpfarrer eines anderen Kirchenbezirkes mitverwaltet werden. Im Prinzip kein Problem, nur dass die Gemeinde dort wiederum ihren Pfarrer nicht „teilen“ wollte.  Fährverbindungen und alte Inselverbundenheiten standen dem entgegen.  Die Gemeinden wollten ein Mitspracherecht welches ihnen aber von der Bistumsleitung nicht eingeräumt wurde. So entwickelte sich ein Konflikt der durch ein offenes Gespräch mit Gemeinden und Mitarbeitern hätte geklärt werden können. Dazu war aber die Bistumsverwaltung nicht bereit und es wurde lieber am grünen Tisch entschieden.
Zum Jahreswechsel musste Michael die Gemeinde abgeben.  Anfangs wollte er loyal zu seiner Kirche und seinem Bistum sein, auch wenn dieses ihn tief enttäuscht hatte. Bereits gegen Ende 2011 erkannten wir jedoch, dass ihn dieser Zustand zu viele Kräfte kostet und in den letzten Jahren bereits gekostet hatte. Der Gedanke nahm Gestalt an. Mit fast 10 Jahren sind wir die Pfarrfamilie, die am längsten von allen auf Haramsøy gewohnt hat. Seit 1900 sind nur zwei Pfarrer länger hier gewesen: Einer heiratete eine seiner Konfirmandinnen von Haramsøy und der andere war hier Pfarrer kurz nach dem Krieg. Noch haben wir keinen Teenager im Haus, was einen Umzug enorm erschweren würde.
Also haben wir einen Zirkel genommen und einen Kreis von etwa  einer Stunde Fahrzeit um Oslo gezogen, dort wo wir gute Freunde haben und der Reiseweg Richtung Familie „kurz“ ist. Wo es richtige Winter gibt und ab und zu einen richtigen Sommertag  und keine Fähren, die man benutzen muss.
Nun ging es ans Schreiben der Bewerbungen.  Nach langer Wartezeit wurde Michael zu einem  Vorstellungsgespräch Anfang Mai eingeladen, doch bis über die Stelle entschieden werden sollte sollten noch fast 2 Monate vergehen.  Doch für die Familie wurde die Zeit inzwischen knapp und auch Michas Gemütszustand wurde nicht besser. Entscheidungen mussten her.  Ein Schulwechsel mitten im Schuljahr sollte vermieden werden und wollten wir noch einen Kindergartenplatz für Karli bekommen, mussten wir handeln. Also nahmen wir unser gesamtes Gottvertrauen zusammen. Am Ende würde sich schon alles irgendwie zusammenfügen. Wir studierten Landkarten und Zugfahrpläne. Wir studierten die Anzeigen von Immobilienmaklern. Wir riefen bei Kommunalverwaltungen an und am Ende standen drei Häuser in einem Wohngebiet etwa 40 Kilometer von Oslo und zwei Stellen als Krankenschwester in der örtlichen Kommune. Eine Woche nach verging nach Michas Vorstellungsgespräch, bisher hatte nach einem solchen noch immer die Stelle angeboten bekommen. Nun flog Jana eines Morgens nach Oslo, sah sich die Häuser und die potentiellen Arbeitsplätze an. 2  Tage später hatten wir ein Haus gekauft, für das wir zum ersten Mal in unserem Leben  einen ordentlichen Kredit aufnehmen müssen. Am 1. Juni  war Janas Kündigung ein Faktum und wir unterschrieben den Vertrag für unser neues Haus. Bei einer weiteren Tour konnten unsere  Kinder bereits die Nachbarskinder, ihre neuen Klassen und Karli seinen neuen Kindergarten kennenlernen.
Kaum zwei  Wochen später hatte Jana eine neue Stelle in der Hauskrankenpflege, nur Micha hing immer noch in der Luft. Dies änderte sich erst am 21. Juni 21.40 Uhr ( !) mit einem Anruf der Verwaltungsleiterin des Bistums Oslo. Nun kann er ab etwa 1.10. als Berater des norwegischen Døveprost, des Leiters der norwegischen Gehörlosenseelsorge, arbeiten. Doch wer ohne wirkliche Sprachbegabung schon so viele Sprachen erlernt hat, dem wird dies mit der norwegischen Gebärdensprache sicher auch noch gelingen. Einem Umzug steht jetzt also nichts mehr im Wege, abgesehen vom Dachbodengerümpel  natürlich…
Doch inzwischen stand das Leben nicht still. So ganz nebenbei waren wir Ende Mai in Armenien. Eine lang geplante Reise, gerade rechtzeitig um uns auf andre Gedanken zu bringen. Am 16. Mai trafen Oma Barbara und Opa Norbert auf Haramsøy ein. Zwei Tage später brachen wir beide zu der bereits seit einem Jahr geplanten Studienreise nach Armenien auf.
Armenien ist das älteste christliche Land der Welt. Bereits  im Jahre 301 erklärte der von Gregor dem Erleuchter bekehrte König Trdat III. das Christentum zur Staatsreligion. Der christliche Glaube und die armenisch-apostolische Kirche haben dem Volk  in den Irrungen und Wirrungen der Geschichte eine Identität gegeben.
Im Jahre 406 schuf der Mönch Mesrop Maschtoz ein eigenes Alphabet für das Armenische, das ein eigener Zweig der Indogermanischen Sprachen ist, auch wenn es weder so klingt noch so aussieht. Seitdem sind die Armenier ein Volk der Bücher. Eine Legende erzählt, dass als mal wieder neue Eroberer in Armenien wüteten, versteckten die Bewohner eines Dorfes ihr Gold und Silber. Der Feldherr jedoch machte sich daran alle Bücher des Dorfes einzusammeln und zu verbrennen. Da gaben die Dorfbewohner ihr Gold und Silber freiwillig ab, um die Bücher zu retten. Das Matenadaran- eine Art Reisebibliothek und Archiv in Jerewan ist mit seinen 17.000 Handschriften eine der größten Handschriftensammlungen der Welt und gehört zum Weltkulturerbe.
Seit dem 7. Jahrhundert sind die meisten armenischen Kirchen Kreuzkuppelkirchen. In den 3 Jahrhunderten zuvor waren es meist Langschiffbasiliken, die sich jedoch nicht als widerstandsfähig genug gegen die regelmäßigen Erdbeben erwiesen. Während unserer Reise stand die Erde still, doch das große Erdbeben von Nikolaustag 1988 ist unvergessen. In einer Kirche zu stehen die nur 600 Jahre nach Christus Tod gebaut worden ist ganz schön beeindruckend.
Die Republik Armenien ist nur ein kümmerlicher Rest des armenischen Siedlungsgebietes, das sich einst weit bis ans Mittelmeer erstreckte. Noch heute gibt es ein armenisches Viertel in Jerusalem, armenische Minderheiten in Indien, dem Iran, Syrien und dem Libanon. Nur von der armenischen Minderheit in der Türkei haben nur wenige den Völkermord der Jahre 1915-1917 überlebt, dem Franz Werfel in seinem Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ eine Seele gegeben hat. Heute leben über die Hälfte der Armenier außerhalb der Grenzen der Republik Armenien;  etwa eine halbe Million allein in Frankreich. Charles Aznavour dürfte dabei vielen ein Begriff sein.
Viele können sich sicher auch noch an den Krieg um Berg Karabach zwischen 1991 und 1994 erinnern. Damals lehnten sich die armenischen Bewohner des von ihnen Arzach genannten Gebietes in Aserbaidschan gegen die dortige Regierung auf und erklärten sich zu einer eigenen Republik, die bis heute jedoch nicht einmal von der Republik Armenien anerkannt wird. Wir haben uns vorsorglich stets wenigstens 30 Kilometer  von der Grenze entfernt gehalten.  Es ist lange her, aber trotzdem ist jede Menge Militär unterwegs, gruselig sind die „Geisterdörfer“ nahe den Grenzregionen in denen mal Armenier und mal Aserbaisdschaner gelebt haben, je nachdem wie die Mächtigen einst  gerade mal die Grenzen zogen.
Anfrage an Radio Jerewan: Ist Armenien eine Reise wert? Antwort: im Prinzip ja und außerhalb des Prinzips auch.  Besonders gilt das wenn man etwas für alte Kirchen und atemberaubende Berglandschaften übrig hat. Beeindruckend, auch wenn das für Norweger schon einiges heißen  will. Wir haben uns in Armenien weit sicherer gefühlt als im Zentrum von Oslo. Man sieht regelmäßig Polizei, die jedoch vor allem „Du! Du!“ macht.
Die Armenier sind ohne Zweifel ein europäisches Volk  mit europäischer Kultur und Lebensart und kein orientalisches auch wenn Armenien in Asien liegt.
Nie wurden die Händler oder die wenigen Bettler aufdringlich und auch im größten Gedränge wurde stets ein angenehmer Abstand eingehalten.
Unsere Reisegesellschaft war eher klein und daher sehr flexibel. Sie bestand aus einem Opel mit Jana und Reiseleiterin Liana auf der Rückbank, Micha auf dem Beifahrersitz  und Fahrer Ara am Steuer, der gekonnt die meisten der reichlich gesäten  Schlaglöcher umfuhr.  Liana war eine Musikerin, junge Mutter und kompetente Reiseleiterin, mit der Micha auch theologische Fragen diskutieren konnte.
Während Europa den Grand Prix in Baku, der Hauptstadt des Nachbarlandes, erlebte,  durften wir 10 spannende Tage erleben, in denen wir unsere Kinder in den sicheren Händen der Oma auf Haramsøy  wussten und die Unsicherheit um die Zukunft vergessen konnten. Doch wir haben in den vielen Kirchen auch viel gebetet.
Inzwischen jagt hier ein Abschiedsfest das andere; die Kinder mussten eins haben, jeweils auf Arbeit, beide Gemeinden, diverse Kreise und Vereine.
Abschied mussten wir auch von unseren 9 Mitbewohnern  nehmen - 4 Monate haben sie in einem Eimer im Keller gewohnt, als anschauliches Biologieprojekt der Kinder sozusagen. Kaulquappen waren es,  die irgendwann im März noch als

Froscheier auf dem Schulweg mit zu uns nach Hause kommen durften. Seit dem haben sie sich mit Brotkrümeln und Katzentrockenfutter prima entwickelt und - endlich!-  konnten die „Kaulies“ ins Freie entlassen werden. Ein Glück - noch ein paar Tage und sie wären aus dem Eimer gehüpft und hätten wahrscheinlich jeder einen eigenen Namen bekommen…
Noch ein paar Bilder von der Mitternachtssonne an 23.6.2012, Midtsummarnatt, die Sonne geht kurz nach Mitternacht unter um dann um ca. 3 Uhr schon wieder aufzugehen. Sie geht hier bei uns also nicht rund um den Horizont wie weiter oben im Norden. Aber das Licht reicht um kaum Lampen zu benutzen zu müssen und um die Vögel zu wecken, die dann schon nachts um eins ihre Morgenmelodien singen. Sehr irritierend - besonders wenn man es noch nicht ins Bett geschafft hat!




Dies sind die 31. und letzten Inselnachrichten. Aber ihr werdet auch in Zukunft weiter von uns hören, wenn der Umzug überstanden ist …

Für Rückmeldungen sind wir wie immer sehr dankbar.
Ein letztes Mal von der Insel
 
Marianne, Paul, Karl, Jana und Michael Hoffmann

Hallo,
hier kommen die neuesten Inselnachrichten. Wer die PDF-Datei nicht öffnen kann bediene sich wie immer beim
Foxit-Reader
www.etf.cuni.cz/spolek/content/FoxitReader.exe oder
begebe sich auf unsere Homepage www.hoffmannfamilie.net.
Dort gibt es auch noch mehr Bilder. Diese sind jedoch erst nach einer
Registrierung zugänglich, die aber gänzlich ungefährlich ist ;) und
nur ungebetene Gäste fernhalten soll.


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Mit freundlichen Grüßen
Familie Jana und Michael Hoffmann
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