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Wir haben die Wahl

80% der Einwohner Norwegens sind Mitglieder der  evangelisch-lutherischen Volkskirche, „Den norske kyrkja“.

Am 12. September haben sie die Wahl. Sie dürfen nicht nur ihre Vertreter für die Kommunal- und Regionalparlamente, sondern auch für die Kirchgemeinde- und Bistumsräte wählen. Die kirchlichen Wahllokale befinden sich häufig Tür an Tür mit den staatlichen.  Dies geschieht auf Anweisung des Staates, denn die Kirche ist de facto noch immer eine Staatskirche.

 

Der Staat finanziert die Gehälter der Pfarrer und der anderen Angestellten der 11 Bistümer und die Kommunen fast die gesamte lokale kirchliche Arbeit. Der Staat ernennt aber auch die Bischöfe und mischt sich in theologische Fragen ein.

Deshalb ist diese Kirchenwahl so wichtig, auch wenn es bereits die zweite innerhalb von 2 Jahren ist: Sie ist nämlich ein Demokratietest für die Kirche. Die Kirche soll das Wählen lernen, deshalb wurde 2009 gemeinsam mit den Parlamentswahlen gewählt und dann gründlich evaluiert: Während 1997 nur 3 %  und 2005 4,3% der Kirchenmitglieder zu Wahl gingen, waren es 2009 immerhin schon 13 %. Doch bei der Präsentation der Kandidaten haperte es noch. Die Menschen wussten einfach nicht, wer da zur Wahl stand. Da die Kandidatenlisten für die Wahlen zu den Bistumsräten und damit auch zum „Kyrkjemøtet” genannten  Kirchenparlament alphabetisch sortiert waren, war es für Herrn und Frau Andersen wesentlich einfacher gewählt zu werden als für  Frau Øygard oder Aartun, da viele einfach nichts an den Stimmzetteln veränderten und somit die ersten Kandidaten der Liste wählten. Æ, Ø, und AA bzw. Å  sind nun einmal die letzten Buchstaben des norwegischen Alphabetes.

Alle Parteien haben sich darauf verständigt, dass die Kirche eine Glaubensgemeinschaft und kein staatliches Religionswesen sein soll. Besteht die Kirche den Demokratietest, darf sie sich in Zukunft stärker selbst verwalten und auch ihre Bischöfe selbst wählen und der evangelisch-lutherische Glaube wird nicht mehr Staatsreligion sein. 17 % Wahlbeteiligung sind zwar keine explizite Bedingung des Staates, werden aber von der Kirche  angestrebt. Dazu werden Anzeigen geschaltet und es wird fleißig plakatiert. Mein Pfarrbüro ist schon seit Anfang August ein Sonderwahllokal, auch wenn der Kirchenwahlkampf wegen des Anschlages von Oslo und der Massakers von Utøya offiziell nicht vor dem 14. August beginnt.  Niemand kennt die genauen Bedingungen des Demokratietest, aber wir versuchen unser Bestes und hoffen, dass sich die Regierung nicht doch noch einmal anders entscheidet und doch lieber die Kontrolle behält und sei es für den Krisenfall. Außerdem ist es nun einmal typisch norwegisch „gut“ zu sein.

Man bezahlt in Norwegen keine Kirchensteuer als Aufschlag zur Lohn- und Einkommenssteuer. Die Volkskirche wird durch den Staatshaushalt, die kommunalen Haushalte finanziert. Alle anderen Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften erhalten sowohl auf staatlicher als auch auf kommunaler Ebene einen Zuschuss, der dem entspricht, was die Volkskirche pro Mitglied vom Staat erhält. Niemand verlässt die Kirche also aus Finanziellen Gründen und die absolute Mitgliederzahl  geht nur leicht zurück. Die Prozentuale Mitgliederzahl nimmt allerdings kontinuierlich ab, den die Volkskirche ist vor allem eine norwegische Kirche, man muss getauft sein und entweder norwegischer Staatsbürger oder in Norwegen wohnhaft sein, um Mitglied sein zu können. Ist man nicht in der Kirche in Norwegen getauft muss man aktiv eintreten.  Den meisten Einwanderern ist dies nicht bekannt. Deshalb gelten zum Beispiel die meisten deutschen Einwanderer laut Statistik als konfessionslos, auch wenn sie evangelisch oder katholisch sind. Doch auch dann kann noch einiges schiefgehen:  Als  ich nach Norwegen zog trat ich als Student ordnungsgemäß in die Kirche ein, auch wenn es einige Zeit dauerte bis man das entsprechende Formular gefunden hatte. Ich erhielt eine Eintrittsbestätigung und konnte später ordiniert werden. Als ich dann als Gemeindepfarrer nach zwei Jahren im Amt bei meiner ersten Kirchenwahl das Mitgliedsregister überprüfen wollte musste ich feststellen, dass ich dort nicht als Mitglied geführt wurde …  Nach einem Anruf war ich dann endlich Mitglied der Kirche für die ich arbeite.

Eine Weltanschauung zu haben ist nach norwegischer Sicht ein Grundbedürfnis des Menschen und wichtig für eine funktionierende Gesellschaft. Deshalb betreibt der Staat hier eine aktiv stützende Religionspolitik. Die Menschen erwarten, dass die Kirche für sie da ist: zur Taufe, Konfirmation und auf jeden Fall zur Beerdigung. Doch auch in persönlichen, lokalen und nationalen Krisen ist es wichtig dass die Kirche da ist. Es gibt häufig einen engagierten Gemeindekern, darüber hinaus ist es allerdings oft schwierig die Menschen zu engagieren. Ob es uns gelingt sie zur Wahl zu mobilisieren? Wie hoch war eigentlich die Wahlbeteiligung in den deutschen Landeskirchen, die schon bald 100 Jahre vom Staat unabhängig sind?

Aus dem wieder friedlichen Norwegen

Michael Hoffmann

 

(Gemeindepfarrer in den Gemeinden Haram undFjørtoft)

Veröffentlicht in den Mitteldeutschen Kirchenzeitungen: http://www.mitteldeutsche-kirchenzeitungen.de