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8.2.5. Kappenfest / Blick zurück in verlorene Heimat /

Reise zum 51. Pfingsttreffen wird vorbereitet

Jessen/MZ/gn. Die Gespräche im Saal des Jessener "Bergschlösschens" drehten sich am Sonntagnachmittag zum traditionellen Kappenfest der Sudetendeutschen Landsmannschaft vornehmlich um Erinnerungen an Kindheit und Jugend in der Heimat. Kaum einer im Raum, der noch nicht die Rente erreicht hat. Kein Wunder, denn seit fast fünfzig Jahren sind die Leute bereits hier im Jessener Land zu Hause. Einmal im Vierteljahr treffen sie sich, um im geselligen Beisammensein ihr Brauchtum zu pflegen oder um einfach die Gemeinschaft zu spüren.

Ein Höhepunkt im Gemeinschaftsleben der Jessener Gruppe ist zweifelsohne die jährliche Fahrt dahin, wo man einst zu Hause war. Inzwischen gibt es vielfältige Kontakte zwischen den Menschen hier und dort. Im Juli geht nun die nächste Tour ins Böhmische Mittelgebirge nach Dux. Neben dem Schloss sollen das Kloster von Osseg, das Granatmuseum in Trebnice und die Wallfahrtskirche Mariaschein bei Teplice besichtigt werden. Nicht ohne hintergründiges Lächeln verkündet Erich Hohler, dass die Reisegesellschaft im Hotel "Casanova" wohnen wird. Ein Wermutstropfen vergällte jedoch ein wenig die allgemeine Freude, denn Erich Hohler musste verkünden, dass die Unterstützung für die Organisation immer geringer ausfällt und kaum noch Förderungen möglich sind. "Mit jedem Jahr werden wir weniger, aber die biologische Uhr kann eben keiner von uns zurückdrehen. Unser ältestes Mitglied, Rudolf Neuhauser, zählt bereits 95 Lenze und die meisten sind schon weit über sechzig", berichtete Franz Schöbel, der sich mit seinen 66 Jahren noch längst nicht zu alt fühlt und jeden Spaß mitmacht. Eine Jugendarbeit, wie in den alten Bundesländern, gebe es hier kaum. Noch seien sie rund einhundert Leute im Jessener Raum, die sich regelmäßig treffen. Eine Melone auf dem Kopf sorgte Schöbel auch an diesem Nachmittag zum Kappenfest für Stimmung und gute Laune, ebenso wie die Groß-Naundorfer Domspatzen mit ihrem karnevalsmäßigen Juxprogramm viel Beifall einheimsten. Die hintergründigen Sketche kamen bestens bei den Senioren an, und als das Double von Erich Honecker unter der DDR-Fahne hervorlugte und sich dann gewohnheitsgemäß an das Rednerpult schwang und die altbekannten Sprüche klopfte, hielten sich viele, ob dieser gelungenen Parodie, die Bäuche.

Als die lustige Truppe mit viel Applaus verabschiedet wurde und der Spaß ein Ende hatte, hörte man aber auch nachdenkliche Stimmen, die daran erinnerten, dass es zu DDR-Zeiten drastische Strafen dafür gab, wenn man seinem Heimatgefühl in der Oeffentlichkeit, so wie es heute ganz normal ist, Ausdruck verlieh. "Wir haben immer noch mit dem Vorurteil zu kämpfen, dass man uns in die rechte Ecke verbannt. Dabei hat die sudetendeutsche Landsmannschaft doch nichts mit dem Neonazismus zu tun", meinte dann Kreisvorsitzender Horst Pusch. Nur dürfe man es ihnen doch nicht verdenken, dass sie ebenso wie die Sorben ihre Kultur pflegen und bewahren wollen, auch wenn sie fern der Heimat sind. Er wolle deshalb, auch zum besseren Verständnis für Außenstehende, noch in diesem Frühjahr in Wittenberg ein Zusammentreffen der Generationen organisieren, "wo wir unseren Kindern, Enkeln und Urenkeln das sudetendeutsche Brauchtum näher bringen wollen". Der Chor übe schon fleißig, und die Frauen stellen Rezepte zusammen, um auch typische Speisen aus der heimatlichen Küche anbieten zu können. Um den Zusammenhalt der immerhin noch über 400 Mitglieder zählenden Kreisorganisation zu fördern, erscheint ab März im Vierteljahresrhythmus ein Informationsblatt, das über alle Aktivitäten berichten werde, erläuterte der Kreisvorsitzende Horst Pusch sein Anliegen. Bevor der 64-Jährige wenige Minuten später, mit Schnauzbart, Brille und Knollennase verkleidet, im Schwarzen Gehrock und Melone zur allgemeinen Freude in die Bütt stieg, informierte er noch in aller Ernsthaftigkeit über den Programmablauf zum 51. Sudetendeutschen Tag, der in diesem Jahr zum letzten Mal zu Pfingsten in Nürnberg stattfindet. Ab 2001 wird Augsburg die neue Feststadt sein. Einen oder vier Tage kann man dorthin fahren.

Mit einer Mischung aus Heimatmelodien und faschingsmäßigem Rucki-Zucki sorgte Klaus Müller von den Kolibris für Stimmung bis in den frühen Abend hinein.

Quelle: Mitteldeutsche Zeitung , vom 15.02.2000; Datenbank MZ.