Inselnachrichten Nr. 9
Haramsøy, 23. August 2005
Na so eine Überraschung! Gibt´s die auch noch? Ja klar! Und wie es uns gibt!
Aber es ist doch so leicht „Papierkram“ immer wieder vor sich herzuschieben. Fotos zum Beispiel oder Briefe, die auf Beantwortung warten, nicht zu reden von noch zu beantworteten E-mails. Die ja nur im PC auf uns warten und deswegen auch nicht monatelang im Weg herumliegen können… Ganz frech gehen wir mal davon aus, daß uns keiner böse ist. Denn erstens seid ihr es wohl schon gar nicht mehr anders gewöhnt von uns und zweitens sind die meisten von Euch auch nicht besser ;-)
Aber immerhin: Unser Holzhaufen für nächsten Winter steht!!!!
Wobei… ich trau’s mir fast nicht zu sagen… den Hauptanteil daran haben Micha und Familie Tews , die uns im Juli besuchten und in einem Anfall von Arbeitswut den ganzen Haufen gestapelt haben. Helden der sozialistischen Arbeit! Super, Leute! Und Micha ist dabei mit seinem Versuch eine dritte Hand durch Spaltung einer der beiden vorhandenen zu erhalten, kläglich gescheitert. Aber die Wunde ist genäht und fast verheilt und das Holz hat begonnen zu trocknen…Gemütlichen Winterabenden am Kamin steht also nichts mehr entgegen.
Ende Juli war Schluß mit unserem „Studentenleben“, einem recht spät gestarteten Versuch Jana eine Ahnung von WG-Leben zu geben. Unsere Mitbewohner für 4 Monate haben uns verlassen. Jetzt sind wir wieder allein, auf uns gestellt, verlassen…Annegret, Christian und Arras sind nämlich Ende Juli in Deutschland gewesen und haben ihr Umzugsgut geholt.
Christian, einer der drei Studenten mit denen Micha in Jena studiert hat, entschied sich gemeinsam mit seiner Frau Annegret und dem Hund Arras unseren Spuren zu folgen und das Glück hier im Hohen Norden zu suchen. Wer die Inselnachrichten von vor 2 Jahren noch findet, kann dort lesen, dass sie auch hier auf Haramsøy geheiratet haben. Annegret fand als Landschaftsarchitekt oder genauer Diplomingenieur für Landschaftsarchitektur jahrelang in Deutschland keine Arbeit, und auch wenn einem hier die Arbeitsstellen auch nicht gerade zufliegen, so ist die Situation hier doch eine andere.
Die Kirchgemeinde Haram ist im Laufe des Frühjahrs ausgewählt worden als eine von wenigen Gemeinden in einem Versuch ein Modell eines eigenen kirchlichen Unterrichts auszuprobieren. Das Projekt für die Kirchgemeinde heißt „Von dreien zu einem“ und soll versuchen die drei Inseln und die ehrenamtlichen Organisationen auf den Inseln näher zusammenzuführen und das Angebot für Kinder und Jugendliche auszubauen. Nun kann dies natürlich nicht allein mit dem vorhandenen Personal und Mitteln erfolgen, weshalb wir einige zusätzlich aus Oslo erhalten haben. Kurz vor Christians Ankunft erhielten wir die Zusage für diese Mittel und kurz nach seiner Ankunft wurde entschieden, daß wir von diesen Mitteln eine 80% Stelle errichten. Im Laufe des Frühsommers vertraute die Gemeinde Christian dann als neuem Jugendpfarrer die wichtige Aufgabe an, das Unterrichtsprojekt zu leiten. Seit dem 1. August stürzt sich Christian nun mit Eifer darauf.
Zuvor jedoch sind er und Anngret samt Arras auf Lepsøy gezogen und Paulchen freut sich einen seiner Paten jetzt ganz in seiner Nähe zu haben. Annegret hat inzwischen ein erstes Engagement in der Kommune Haram.
Ein anderer Pate von Paulchen ist leider für immer von dieser Erde gegangen. Am 3. Juni starb plötzlich und unerwartet unser lieber Freund Daniel Neval, nur 35 Jahre alt.
Michael erinnert sich noch gut daran, wie er nur ein paar Tage vorher mit ihm sprach:
Am Mittwoch noch hatten wir miteinander telefoniert. Daniel war müde aber voller Ideen und glücklich. Er war so glücklich. Er war so froh seine Eva bei sich zu haben und im August wollte er sie auf Haramsøy vor den Traualtar führen. Er machte sich Gedanken darüber wie es wohl für Eva am schönsten werden könne, was man auf Deutsch und was auf Tschechisch sagen sollte. Die Flugtickets hatte er schon vor einigen Monaten gekauft. Er erzählte, dass es gut voranging mit seiner Habilitation und die Vorbereitung des Treffens des Vereins der Freunde der Prager Fakultät im Herbst gute Fortschritte machte. Er freute sich schon so sehr auf die Zeit danach, auf das Leben als Pfarrfamilie in Waldenburg mit Eva und eigenen Kindern. Wir wollten versuchen uns so bald wie möglich in Prag zu treffen.
Am Samstag erhielt ich dann einen Anruf von Eva. Die Worte waren gut zu verstehen, aber sie sind nicht zu begreifen: "Daniel ist gestern abend gestorben".
Er war wie üblich zu seinem abendlichen Jogging aufgebrochen. Als er sich mehr und mehr verspätete rief Eva die Polizei an, die bereits einen unbekannten Toten gefunden hatte. Nach allem was wir wissen ist Daniel während des Laufens zusammengebrochen und auf der Stelle tot gewesen.
Mit Daniels Tod wird Eva zur Witwe, ohne Braut gewesen zu sein, die Eltern und seine einzige Schwester Nicole müssen Abschied nehmen von ihrem Sohn und Bruder und viele können den Verlust eines herzlichen, lieben und guten Freundes einfach nicht begreifen.
Es ist ein Trost, wenn auch nur ein kleiner, Daniel als unseren Bruder in der Hand Gottes unseres Vaters zu wissen.
Ein Thema über das Daniel mich in Prag gründlich ausfragen wollte, war mein Besuch in Gaza und Jerusalem. Vom 18. bis 27. Mai hatte ich mich in das ach so unfriedliche Heilige Land gewagt. Der Anlass für diese Reise war die Hochzeit unseres Trauzeugen Abed, der seit September 2004 nicht ganz freiwillig wieder in Gaza lebt. Schon die Vorbereitung war ein Kapitel für sich: Zuerst einige Konsultationen mit Kevin, einem in Jerusalem mit einer Israeli zusammenlebenden Studienfreund, und dem Auslandsbeauftragten der Norwegischen Kirche, Olav Fykse Tveidt, dann ein Anruf bei der Israelischen Botschaft in Oslo. Diese empfahl mir freundlich mich als deutscher Staatsbürger an die Deutsche Botschaft in Tel Aviv zu wenden. Eventuell sei es auch sinnvoll die norwegische Botschaft von meiner Reise zu informieren. Der Anruf bei der deutschen Botschaft namentlich einer Frau „Helfer“ war wenig hilfreich. Mit einer „innerisraelischen“ Angelegenheit haben man nicht das geringste zu tun. Hilfe war keine zu bekommen. Die norwegische Botschaft sah dies glücklicherweise anders. Obwohl ihnen bekannt war, dass ich kein norwegischer Staatsbürger bin, meinten sie ich solle ihnen die Daten meiner Reise und meine Passnummer schicken und sie würden dann versuchen alles mit den israelischen Behörden zu ordnen. Etwa eine Woche später dann bekam ich eine Mail der norwegischen Botschaft: Alles sei geordnet und meiner Ein- und besonders wichtig Ausreise aus dem Gaza-Streifen über den Checkpoint Erez stünde nichts mehr im Wege. Mit vielen guten Ratschlägen von Kevin und Olav, der auch einer meiner Amtsvorgänger hier in Haram ist, machte ich mich mit einem Zwischenstopp bei Paulchens Patentante Gertraud in Lillestrøm auf den Weg nach Tel Aviv. Dort kam ich auch sicher an, nur leider mein Gepäck nicht. Aber was soll es? Ich verhandle also mit der Fluggesellschaft (Austrian wen’s interessiert), die mir verspricht die Tasche am nächsten Tag nach Erez nachzuliefern. Tatsächlich kam er 2 Tage später nachdem ich einen halben Tag auf dem Checkpoint zugebracht hatte. Aber naja, ich machte mich auf den Weg: Zuerst ein Bus aus dem Flughafengelände heraus, dann ein Bus nach Tel Aviv, von dort mit Hilfe eines freundlichen Israelis ein Bus bis nach Ashkelon und von dort ein Taxi nach Erez. Unterwegs versuchte ich Abed zu erreichen, der mich dann auf der palästinensischen Seite abholen wollte, aber zum einen hatte die palästinensische Telefongesellschaft kurzfristig ihre Nummern geändert und zum anderen kann man zwischen israelischen und palästinensischen Handynetzen praktisch nur über SMS kommunizieren, aber auch dann nur in eine Richtung: Von Israel nach Palästina. Ich kam also in meinen Reisekleidern, einem schwarzen Anzug und meinem Pfarrhemd nach Erez. Die Soldaten verwiesen mich an den VIP-Schalter, sie hatten mich erwartet und die Norweger tatsächlich alles vorbereitet. Nach etwa einer Viertelstunde ( wo manche Tage warten!) machte ich mich also auf den Weg auf die andere Seite des dunklen ca. 1 km langen Tunnels. Da Abed nicht wusste, wann ich ankam, wartete er dort nach 20 Uhr im dunkeln auch nicht auf mich. Ich nahm also das Angebot eines Taxifahrers an und machte mich wieder auf den Weg. In El Zeithon einem alten Viertel von Gaza-Stadt, in dem Abeds Familie lebt, fanden wir dann Abeds Schwager, der uns zu Abeds Familie lotste. Dort wurde ich wie ein Bruder empfangen. Am Abend noch beichtete mir Abed, er habe schon geheiratet, da sein Bruder auch habe heiraten wollen und man aufgrund der Situation in Gaza keine viertägige sondern nur eine vierstündige Doppelhochzeit habe feiern können. Er habe sich deshalb den anderen fügen müssen und mit der Hochzeit nicht auf mich warten können. Auch hatte er etwas Angst es mir vor meiner Abreise zu sagen, aus Angst ich könne die Reise absagen. Es gelang ihm aber mir zumindest mir ein Video der Hochzeit zu organisieren. So hatten wir jedenfalls reichlich Zeit uns Gaza anzusehen. Neben Abeds Familie und Freunden lernte ich dabei viele christliche Kirchen, Organisationen und Institutionen kennen. Gaza ist ein Ghetto für 1,6 Millionen Menschen, von denen 80% keine Arbeit haben. Die Männer sind zuviel zu Hause und da es keine Verhütungsmittel gibt, gibt es wie man mir sagte viel zu viele Kinder. Die Bevölkerung wächst jedenfalls rasant. Fährt man durch die Straßen von Gaza fällt etwas auf: die grünen, schwarzen und gelben Fahnen in den Straßen. Grün steht für die Hamas, schwarz für den Dshihad und gelb für die Fatah. Abeds Viertel wird wie ganz Gaza von grünen Fahnen dominiert. Abends patrouillieren vermummte Kämpfer durch die Straßen und israelische Aufklärungsdrohnen (unbemannte Flugzeuge) am Himmel. Man wendet sich mehr und mehr der islamischen Tradition zu. Abed gelang es erst an den letzten Tagen seine Frau Fatima zu überzeugen, dass ich wie ein Bruder sei und sie ruhig mit mir rede könne. Auch taute sie mehr und mehr auf und verließ das Haus auch schon mal ohne den hohen Schleier (nur Augen sichtbar), worum er sie immer wieder gebeten hatte. Aber so ist das Leben in Gaza. Abed jedenfalls möchte bald wieder zurück nach Europa, da er mit all’ den Traditionen nicht mehr klarkommt.
Nach 5 Tagen hieß es Abschiednehmen von der Familie Dalloul. In Jerusalem erwartete mich Kevin am Busbahnhof. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl wenn in einem israelischen Bus ein Soldat mit Gewehr hinter einem sitzt und man jeden Zusteigenden ganz genau mustert. Ich kann beide Israelis und Palästinenser in vielem was sie denken verstehen: in ihrer Angst und ihrer Ohnmacht. Viele haben genug vom Krieg, Israelis sind bereit Siedlungen und Palästinenser das Kernland Israel aufzugeben, aber sie dürfen und können es nicht öffentlich sagen.
In Jerusalem pilgerten Kevin und ich gemeinsam durch die Altstadt, wobei ich neben den historischen Stätten am Ende des Tages auch die Sonnenfestigkeit meiner Haut bewundern durfte. Beeindruckend war auch die Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem und das Museum zum ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts an den Armeniern. Kultureller Höhepunkt war das Konzert der palästinensischen Sängerin Amal Murkus im Westen Jerusalems mit Blick auf die Altstadt zu dem Kevins Freundin Shulamit für uns drei die Karten organisiert hatte.
Der Rückflug verlief unproblematisch und am Ben Gourion Flughafen auch erstaunlich unkompliziert. Lang es an meiner Kleidung als Pfarrer oder daran dass ich Fragen zu meinem Besuch in Gaza kurz direkt und offen beantwortete? Ich werde es wohl nie erfahren…
In den letzten Inselnachrichten hatte ich etwas von einer geheimnisvollen Dienstreise angedeutet, dieses Geheimnis soll nun gelüftet werden. Es war die Planungstour für einen Jugendaustausch zwischen Jugendlichen aus Fjørtoft (meiner kleinsten Gemeinde) und dem Kirchenbezirk Dippoldiswalde. Der Planungstour folgte eine Reise mit 12 Jugendlichen von Fjørtoft von der ich nun seit etwa einer Woche wieder zurück bin. Eine Woche lang haben wir in Tharandt intensiv an dem Thema „Tourismus, Musik und Kultur – Starke Wegzugsgebiete“ gearbeitet. Dass die Kommunikation, die anfangs etwas Zeit brauchte, dann immer besser funktionierte, können alle die beim offenen Abend in Dippoldiswalde oder jeder der 160 vom Jugendgottesdienst in Tharandt bestätigen. Mein Standardspruch war immer: Bis hierher ging’s ganz gut. Und da Bericht und Gegenbesuch nächstes Jahr noch ausstehen, kann ich nun wirklich nur sagen: Bis hierher ging’s sehr gut.
Einen weiteren Besuch in Deutschland hätten wir beinahe verschwiegen: Am 11. Juni gaben sich Michaels Klassenkamerad Niko und seine Janine in der Rechenberger Kirche ihr Ja-Wort und Micha lies es sich natürlich nicht nehmen, noch zwei Gottesdienste am nächsten Tag mit dranzuhängen. Doch für die Gemeinden Rechenberg, Clausnitz und Cämmerswalde scheint sich die Situation langsam wieder zu verbessern: Im September soll Michael Fischer, der mit unserm Micha in Leipzig Examen gemacht hat, die Pfarrstelle übernehmen.
Auch einen Urlaub haben wir uns dieses Jahr wieder genehmigt und zwar in Frankreich. In Euronat bei Bordeaux an der französischen Atlantikküste hatten wir für 2 Wochen einen Bungalow gemietet. Durch Vermittlung und Fürsorge von Michaels Vater erwartete uns mit Stabsfeldwebel a.D. Christian und seiner Frau auch bereits ein Empfangskomitee, so dass uns auch die Verspätungen und Flugstreichungen der Air France nichts anhaben konnten. Nach einer Woche ritt dann auch noch der stolze Großvater ein um eine Woche Ferien mit seinem Enkel zu genießen. Die zwei Wochen im Land des Weines waren bisher unser einziger Sommer, da dieser hier zu Hause wegen schlechtem Wetter ausfiel.
Im Moment schläft Paulchen schon und das Einschlafen gleich nach Sandmann klappt auch wunderbar, leider scheint er von seinem Vater das Talent zum Frühaufsteher in jungen Jahren geerbt zu haben und hat sein Aufwachen von um 7 in letzter Zeit auf zwischen um 5 und halb 7 verlegt. Aber wir hoffen dass sich dies in der dunklen Jahreszeit wieder etwas beruhigt. Das wird auch bitter nötig sein, denn der Termin für Kind Nummer 2 ist der 9. Dezember. Praktisch rechnen wir nach den Erfahrungen mit Paulchen also mit Ende November. Wie zu erwarten ist der Kult um Bauch und Baby diesmal wesentlich geringer. Aber besonders für Paulchen scheint dieses ominöse Baby in Mamas Bauch etwas ganz spannendes zu sein. Er versucht immermal wieder es auszupacken, deckt es aber dann ganz lieb wieder zu und verordnet:“ Heia!“. Wir hoffen nur dass er nicht wie einer seiner Kindergartenkollegen nach schon 6 Wochen das kleine Geschwisterchen auf den Boden schaffen möchte, denn nun sei es genug. Aber auch wenn wir ihn manchmal etwas gestresst und mit schlaftrüben Augen sehen unser Paulchen ist einfach ein süßer Spatz und ein Sonnenschein der ein wunderbares Gemisch aus 3 Sprachen vor sich her plappert: Deutsch, Norwegisch und Paulinisch.
In diesem Sinne grüßen euch 3 ½ x Hoffmann, Paul, Jana mit Babybauch und Michael.