Inselnachrichten Nr. 17

Haramsøy, 25. Januar 2008

Alle Jahre wieder ... Doch halt! Weihnachten ist ja schon über einen Monat her, auch wenn der Weihnachtsbaum noch bis vor zwei Wochen bei uns in der Wohnstube stand. Weihnachten war dieses Jahr auch durchaus nicht wie alle Jahre: Kurz vor Weihnachten geschah hier draußen eine schlimme Familientragödie. Ein Vater von 2 kleinen Kindern hat erst seine Frau und dann sich umgebracht. Beide kamen aus Litauen und die Kinder waren zu dem Zeitpunkt bei der Oma in Litauen. Vor 6 Jahren, kurz bevor wir hierher gezogen sind, ist hier schon einmal so etwas passiert: da hat der Vater, ein Chilene, seine ganze Familien mit in den Tod genommen. Dadurch sind viele Erinnerungen wachgerufen und die Inseln diesmal umso mehr bis ins Mark erschüttert worden. Die Kirchgemeinde war in dieser Situation gefordert, denn für die Behörden sind die Wege auf die Inseln immer wesentlich länger, als wenn wir von den Inseln auf's Festland sollen um etwas zu erledigen. Wir öffneten jedenfalls die Kirche, hielten die Medien davon ab, den Leuten zu dicht auf den Pelz zu rücken und sprachen mit den Freunden, Kollegen und Nachbarn der Toten um sie zu trösten. Viele fühlten sich gerade in dieser Situation in Kirche geborgen. In Krisensituationen ist es besonders wichtig und schön helfen zu können und gebraucht zu werden.

Das letzte viertel Jahr 2008 war dann doch recht heftig mit 4 Todesfällen in unserem Alter in 3 Monaten: Zuerst der Krebstod einer jungen Mutter von 2 Kindern, dann die beiden Litauer und dann zwischen Weihnachten und Neujahr noch der Herzinfarkt eines jungen Mannes auf Fjørtoft.

Schnee gab`s auch keinen, für den gewöhnlichen Erzgebirgler ja leider fast unverzichtbar für die Weihnachtsstimmung... außen war es ziemlich grau und innendrin wohl auch. Mit Hilfe unserer Kinder als auch Christian, Annegret und Jakob gelang es uns aber doch ein schönen Heilig Abend zu feiern– aber es fehlte etwas oder besser jemand.

 

Die Adventszeit ist eine Vorbereitungs- und Wartezeit, die uns daran erinnern soll, daß unser Herr Jesus Christus wiederkommen wird. Wir wissen nicht wann er kommen wird, aber wir sollen darauf vorbereitet sein, wenn er kommt. Spätestens seit Michael sich für seine Diplomarbeit vor 6 Jahren (Ja, so lange ist das schon her.) mit der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten beschäftigte, ist uns dies doch recht bewußt. Trotzdem, dieses Jahr bekamen wir den den Kopf einfach nicht richtig frei dafür, es wurde alles zu viel und nicht ohne Grund wurde Michael nach Neujahr zwei Wochen krankgeschrieben. Wir bereiteten uns auf eine Ankunft vor, die einfach nicht geschehen wollte. Besonders im Dezember und Anfang Januar spitzte sich die Situation immer mehr zu und wurde lebensgefährlich – nicht für uns sondern für unsere Freunde Abed und Fatima Dalloul in Gaza.

Doch nun ist es geschafft! Nach drei Jahren, drei Monaten und zwei Tagen betrat unser Trauzeuge Abed am 10. Januar wieder europäischen Boden, den er nicht ganz freiwillig verlassen hatte: Nach dramatischen Wochen und Monaten konnten wir Abed und seine hochschwangere Frau Fatima endlich bei uns auf der Insel begrüßen.

Wir kennen Abed seit dessen Maschinenbaustudium in Freiberg vor über 15 Jahren. Damals war Michael Abiturient in Brand-Erbisdorf, das nach norwegischen Maßstäben nur eine Meile von Freiberg entfernt ist. Mit den arabischen Studenten spielte Michael freitags regelmäßig Fußball. Abed zeichnete sich gegenüber einigen anderen arabischen Studenten durch seine offene, freundliche und zuvorkommende Art aus. Die Freundschaft hielt auch als Jana in Michaels Leben trat und er selbst in Jena, Prag und Leipzig studierte. Nach einem Besuch in Jena gelang es Abed trotz Bürokratie Michael auch in Prag zu besuchen.

1999 war Abed dann Trauzeuge bei unserer Hochzeit. Damals hatte er sein Ingenieurstudium bereits innerhalb der Regelstudienzeit abgeschlossen, was bei weitem nicht allen deutschen Studenten gelingt.

 

Nach seiner Zeit in Freiberg hatte er sich in Ludwigshafen bei Mannheim für ein Wirtschaftsstudium eingeschrieben und gleichzeitig im Berufsleben zuerst dort und später in Heidenheim Fuß gefasst. Abed fühlte sich inzwischen in Deutschland heimisch, wo er fast sein gesamtes erwachsenes Leben verbracht hatte. Seine Aufenthaltsgenehmigung war jedoch auf das Studieren begrenzt. Auch wenn Abed seinen Lebensunterhalt anfangs durch Unterstützung seines Vaters und später durch Studentenjobs selbst bestritten hat, so hatte Deutschland durch die kostenlose Ausbildung doch nicht wenig in ihn investiert. Abed wollte gern in Deutschland bleiben und dort weiter Steuern und Sozialabgaben bezahlen und so Deutschland etwas zurückgeben. Seit dem 1.1.2005 sollte dies für ausländische Absolventen von deutschen Universitäten auch möglich sein, wenn sie innerhalb eines Jahres eine Stelle finden. Für Abed kam das Inkrafttreten dieses Gesetzes leider 3 Monate zu spät. Im September 2004 mußte er Deutschland verlassen und in die Arbeits- und Aussichtslosigkeit von Gaza zurückkehren. Entschieden wurde dies übrigens von den Behörden des Bundeslandes, das heute am lautesten nach Ingenieuren schreit: Baden-Württemberg.

Etwas Gutes hatten die Zwangsferien in Gaza aber doch: Im Mai 2005 heiratete er Fatima.

Damals besuchte ihn dort auch Michael. Anfang 2006 scheiterte ein Visum für Norwegen in der Zielgeraden an der unfreiwilligen Ausreise aus Deutschland 2 Jahre zuvor. Doch fast jeder Ort der Welt ist sicherer als Gaza und so gelang es mit vereinten Kräften trotz Grenzschließungen wegen der Entführung des jungen israelischen Soldaten Gilad Shalit für Abed und Fatima im Spätsommer 2006 eine Stelle in Dubai und die Ausreise nach Dubai zu organisieren. Dort besuchten wir sie im Februar 2007. Nach über einem halben Jahr als Arbeitssklaven war die Firma in Dubai allerdings dem Konkurs nahe, damit verfiel auch das Visum und Abed und Fatima mußten wieder nach Gaza zurück. Dort putsche im Juni die islamistische Hamas gegen die korrupte Fatah und seitdem waren bis vor einigen Tagen die Grenzen von und nach Gaza für „Normalsterbliche“ dicht. Im September erhielten wir dann die Nachricht, daß die Norwegischen Behörden Abed und Fatima eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung erteilen. Nun dauerte es alleine einen Monat, bis die Pässe die Norwegische Botschaft in Tel Aviv erreichten und mit Visum versehen wieder in Gaza waren. Ständig fehlte irgendein andres, neues Stück Papier oder ein Stempel, jeder Stempel kostete Wochen. Inzwischen waren die norwegische Presse und das Norwegische Vertretungsbüro in Al Ram mobilisiert. Wenn sich schon nichts bewegt, macht man eben selber ein bißchen Wind... Von Haramsøy aus wurde telefoniert: Mit norwegischen Auslandsvertretungen, mit jordanischen Botschaften und Ministerien, palästinensischen Generalsekretären und Vizeministern, der Presse, Reisebüros und Fluggesellschaften. Etwas hat es gebracht: Mitte Oktober wurden 20 andere „norwegische Palestinenser“ rausgelassen, aber unsere 2 standen leider nicht auf der Liste. Es ist unglaublich wie die norwegische Botschaft sich für Ausländer einsetzt, die doch gar nicht die Staatsbürgerschaft haben sondern nur irgendwie hier hoch gehören, durch Visum, Familienanschluß, etc. Wir sind den norwegischen Behörden in Oslo und im Heiligen Land sehr sehr dankbar für alle ihre Hilfe und ihr Engagement.

Doch es sind nicht sie die alles entscheiden und der Entbindungstermin für Fatima rückte näher und näher.

 

Wir wollten Paules und Janas Geburtstag gemeinsam feiern, aber Abed und Fatma saßen fest. Der Advent kam und unsere Verzweiflung wuchs, im Hinterkopf immer der Gedanke, daß die ganze Papiermühle von vorn beginnt falls das Kind da unten geboren wird...

 

Kurz vor Weihnachten am 21.12. schrieb Abed in der ersten SMS dieses Tages daß sein Vater plötzlich an Herzinfarkt gestorben sei und und noch am gleichen Tag beerdigt werde. Er war froh bis zum letzten Tag bei seinem Vater gewesen zu sei, der bereits über 80 war und Herzprobleme hatte. Doch Isa war im Kopf klar, unumstrittenes Oberhaupt der Familie und darüber hinaus in der ganzen Gegend geachtet. Wir haben großen Respekt vor ihm. Er hat sich nie auf die Seite einer Partei geschlagen, sondern es trotz der Situation in Gaza geschafft seine Kinder ohne Hass und mit der Bereitschaft zur Versöhnung zu erziehen. „Wir sollten uns gegenseitig in Frieden leben lassen.“ „Die Vertreibung vor 60 Jahren war Unrecht, aber es hilft nicht altes Unrecht durch neues zu ersetzen. Israel ist eine Realität.“ Michael erinnert sich gut an ihn und Isa erinnerte sich wohl auch oft an seinen Besuch in Gaza 2005. Abed war darauf eingestellt am Tag nach dem Tod und der Beerdigung seines Vaters zu reisen und auch wir dachten: Vielleicht hat Gott Abed und Fatima so lange in Gaza festgehalten, damit sie noch bis zu seinem Tod bei Isa sein konnten. Doch nun könnten sie ja dann reisen und vielleicht würde es ja doch noch ein gemeinsames Weihnachts- oder zumindest Neujahrsfest geben. Doch daraus wurde wieder nichts.

Die Zeit zwischen den Jahren nutzten wir um uns abzulenken und um die Sehnsucht der Kinder nach „Neee“ (Marianne für „Schnee“) zu stillen, für einen Ausflug in die Berge nach Ørskog. Endlich Schlittenfahren und Schneemannbauen.

Silvester gabs so wenig wie möglich Aufregung, Familienspaziergang, DEFA- Märchenfilm und Kinderbowle für alle.

 

Nach seiner Krankschreibung betrieb Michael „Hardcore-Aktiv-Ablenkung“ und las in zehn Tagen alle sieben Harry Potter Bücher auf Norwegisch durch. Auf zauberhafte Weise kam in dieser Zeit auch wieder Bewegung in die Mediensache „ 'Norwegische' Leben in Gaza in Gefahr!“.: Schließlich konnte der stellvertretende israelische Botschafter Aviad Ivri per SMS an Michael vermelden „We've done what we could.“ und Guri Solberg vom norwegischen Repräsentationsbüro in Al-Ram konnte vermelden, daß die israelischen Behörde einer Ausreise über Jordanien zugestimmt haben, wenn Abed und Fatima in einem Diplomatenauto von norwegischen Diplomaten eskortiert von Erez an die jordanische Grenze gefahren werden. Nobel, nobel... Nach drei unendlich langen Tagen, die die Vorbereitungen benötigten, meldete sich Abed vom Checkpoint Erez per Sms, daß sie bereits eine Stunde auf der palästinensischen Seite warteten und nichts geschah. Gleichzeitig waren zwei Raketeneinschläge in unmittelbarer Nähe zu beobachten. Doch schon wenige Minuten später konnte er sich von der israelischen Seite melden und wir konnten die Flugbuchung bei Travel-Overland bestätigen (Danke Katja!). Am späten Nachmittag trafen sie in der jordanischen Hauptstadt Amman ein. Für die Zeit bis zu ihrem Flug um 3 Uhr in der Nacht stellte ihnen eine mitleidige Seele im Flughafenhotel kostenlos ein Zimmer zur Verfügung. Etwa 12 Stunden später landeten sie müde, glücklich und mit beschädigtem Koffer in Ålesund. Vielen Dank an alle die geholfen, mitgehofft und gebetet haben. Ein großes Dankeschön nach Holzhau für alle medizinische und moralische Unterstützung.

 

Nach einem Vorstellungsgespräch und einem Behördenmarathon hatte Abed einen Arbeitsplatz in der Tasche und begann zu arbeiten. Für Fatima standen nun Arzt- und Hebammentermine auf dem Programm. In der freien Zeit versuchen wir nach Kräften die beiden mit europäischer und norwegischer Kultur und Sprache und ihrer neuen Heimat vertraut zu machen. Zwei Abende jede Woche versucht sich Michael als Sprachlehrer (ich finde mit gutem Erfolg und erstaunlicher Geduld!).

Wir sind dankbar die beiden hier zu haben und auch für viele Ablenkungen in der Zeit des schier ewigen Wartens. So wollen wir nicht verschweigen, daß Jana im Oktober gemeinsam mit ihrem Damenclub KKK (für Kvinneleg Kvelds Konferanse – Weibliche Abend Konferenz grins!) auf die lange zusammengesparte Spa- und Wellnes-Tour in die lettische Hauptstadt Tallin fuhr.

 

Die Stadt eignet sich wunderbar für kurze Stadtferien, Hochzeitsreisen und ähnliches, ist aber weniger geeignet für kleine Kinder und Männer, die nicht gerne einkaufen. Aber damit hatten wir ja kein Problem... Die Innenstadt ist wie aus Paules Buch über die „Ritterburg“ entnommen- eine Mittelalterstadt mit schön renoviertem Stadtkern, fast komplett erhaltener Stadtmauer, Markgeschehen und Händlern in Mittelalterkostümen. Es gibt viele dunkle, geheimnisvolle Gassen, Türme und Kirchen und überall riecht es nach gebrannten Mandeln, dunklem Bier und deftigen Braten. Es gibt 2 Restaurants in der Innenstadt die sich vom der Einrichtung, den Kleidern, bis über das Essen und die Musik dem Mittelalter verschrieben haben. Keine Kartoffeln (gab's noch nicht), keine Cola (Krise für die Norweger!), nur Löffel und Dolch zum Essen und original Plumsklo inklusive... Ansonsten ließen wir uns verwöhnen- man glaubt ja gar nicht, wie anstrengend Massage sein kann!

 

Dieses Wochenende hat es doch endlich geschneit und die Kinder haben die meisten hellen Stunden des Tages draußen verbracht, das sind mittlerweile schon recht viele! Es geht uns wieder besser, die Sonne kommt wieder hervor und „Inschallah“ - so Gott will, wird bald auch die Homepage wieder aktualisiert.

Es sieht so aus als habe das Ressort Außenpolitik diesmal gänzlich die Oberhand bei den Inselnachrichten gewonnen.

 

 

 

 

So grüßen euch 4 ½ Hoffmann plus 2 ½ Dalloul aus dem Pfarrhaus auf Haramsøy.

 

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