Anhämge zu: Rationierung im Gesundheitswesen
Gedanken nach einem Seminar zum Thema:
„Veralltäglichung der Triage“
bei
Prof. Dr. Weyma Lübbe
im
Sommersemester 1999
am
Lehrstuhl für Praktische Philosophie
Leipzig, den 11. Oktober 1999
Rationierung im Gesundheitswesen -Referat
Smith plädiert zu allererst für eine offene Debatte über Rationierung. Dies ist für ihn die einzig angemessene Möglichkeit auf die Spannung zwischen dem was medizinisch möglich ist und dem was noch bezahlbar ist zu reagieren.
Er sieht durch die frage der Bezahlbarkeit, eine Rationierung im Gesundheitswesen als unumgänglich an, stellt sich aber gegen eine Verschleierung derselben aus politischen Gründen. Smith sieht für die Entscheidung, wie rationiert werden soll die gesamte Gesellschaft in der Pflicht, nicht allein die Politik, deshalb will er eine offene Debatte. Dies scheint auch der Position Bertrams zu entsprechen, der sich primär gegen die Pflicht der Ärzte Rationierungsentscheidungen zu treffen wendet. Er vergißt dabei allerdings, das bereits jetzt die Politik, wenn auch heimlich, Rationierungsentscheidungen in einer Makroallokation mit trifft.
Smith steht auf dem Standpunkt eine öffentliche Debatte sei unvermeidbar und verweist auf unterschiedliche Entwicklungen in einzelnen Ländern. Zum Stand in Deutschland bemerkt Schnetzer in seinem Leserbrief dazu, daß wir es auch in Deutschland auch in der täglichen Praxis, wie beispielsweise der hausärztlichen, schon mit mehr oder minder offener Rationierung zu tun haben. Er spricht sich für ein weiter gelten des Solidarprinzip aus, stellt sich jedoch gegen die Legetimation der Rationierung gegenüber dem Patienten ausschließlich durch die Ärzte.
Nach Smith ist zumindest von im Gesundheitswesen tätigen erkannt, "daß nicht alles für jeden getan werden kann". Dann führt Smith ein erstes Effektivitätskriterium ein. Allerdings geschieht dies differenzierter, als man es meist gewohnt ist. Er differenziert z.B. bei der Statin-Therapie im Bereich von Alter und Geschlecht. Er führt utilitaristische Ausschlußkriterium "erwiesene Wirksamkeit bei unverhälnismäßig hohen Kosten" ein. Die Frage ist dann aber was unverhältnismäßig ist, um ein Leben zu retten. Dies erfordert es, wie Kerschreiter zu Recht anmahnt, über den Preis oder Wert des Lebens zu reden. Dieser verweist, wie ich meine zu recht, darauf, daß verbesserte Effiziens nicht wirklich kostenlos ist, sondern durchaus Menschen das Leben kostet. Aber auch er erkennt an, daß zumindest auf Dauer eine Rationierung unveremeidbar ist. Auch er mahnt - für Deutschland - einen Utilitarismus an, möchte diesen jedoch durch eine öffentliche Debatte, trotz der deutschen Vergangenheit, akzeptiert wissen.
Zurück zu Smith: Er beschäftigt sich weiter mit verschiedenen Effizienskriterien und sieht z.B. neuer Medikamente gegen Alzheimer oder AIDS als uneffizient an, da sie nicht heilen, sondern nur das Fortschreiten verzögern und so durch einen Längere "Leidenszeit" die Kosten erhöht. Die Entscheidung, auf solche teuren Medikamente zu verzichten kann aber mach meiner Meinung immer nur ex ante geschehen und wird so, da es immer Betroffene gibt, nie von allen akzeptiert werden. Das Problem ist hier die Verweigerung einer bereits bestehenden Medikamentierungsmöglichkeit.
Anders sieht dies bei der Erkennung von Darmtumoren durch Verschiedene Tests an Blut im Stuhl aus: Hier ist, wie ich meine, eine Entscheidung ex ante Möglich, da es sich nicht um ein Behandlungs-, sondern um ein diagnostisches Verfahren handelt.
Anschließend gibt Smith die Rationierungsvorschläge des US-Amerikaners David Eddy wieder. Dessen Grundannahme ist, daß das setzen von Grenzen in der Gesundheitsversorgung Rationierung bedeutet. Er führt die Unterscheidung in sinnvolle und unsinnige Rationierung ein. Sinnvoll wird eine Rationierung nach seiner Meinung dadurch, daß sie der Umverteilung der Ressourcen dorthin, wo sie den größtmöglichen Nutzen erzielen. Das läuft auf einen strikten, an Kosten und eventuell noch an Qualität als sekundäres Kriterujm orientierten Utilitarismus heraus. In der alltäglichen Praxis liegt für ihn das Problem darin, daß die Ärzte die Qualität, die Manager die Kosten im Blick haben. Dies trifft die Situation in Deutschland nicht richtig. Die Rolle des Managers tragen hier zu einem wesentlich größeren Teil die Poltiker als die Krankenhausdirektoren. Eine Lösung sieht Eddy jedenfalls durch die Abwägung von Kosten und Qualität durch eine Person oder ein Team. Das Bedeutet nach Smith in Großbritannien eine Einbeziehung der Ärzte in die entscheidung, während es in Deutschland endlich eine Zusammenarbeit von Politik und Ärzten jenseits von Maximalpositionen bedeuten würde.
Einen detalliertenern Lösungsversuch für das öffentliche Gesundheitswesen sieht Smith durch den Briten Ronald Dworkin:
Er nennt sein Modell "Klugheit des Versicherungsprinzip". Es denkt wesentlich egalitaristischer. Das Isolierungsmodell, das er beschreibt, ist nach meinem Wissen auch in Deutschland Praxis. Es basiert auf 3 Thesen: 1. Die Gesundheitsversorgung unterscheidet sich grundsätzlich von der Versorgung mit anderen Gütern. 2. Die Gleichheit des Zugangs zu Gesundheitsleistungen ist essentiell. 3. Wenn etwas den Tod verhindern kann, sollte dies auch getan werden ("Rettungsprinzip").
Dworkin verwirft diese Modell unter Verweis auf einige "Auswüchse". Er favorisiert ein Vertragsmodell für das Versicherungssystem: Die Vorraussetzungen für dieses Modell sind, daß sich jedes Individuum zu einem ex ante Zeitpunkt in einer Gesellschaft mit folgenden Eigenschaften befindet:
· Der Wohlstand ist gleichmäßig verteilt.
· Aktuelle Informationen über Stand und Nutzen der Medizin stehen allen zur Verfügung.
· Die Menschen entscheiden rational.
· Eltern betrachten die Interessen ihrer Kinder gleichrangig mit den eigenen.
· Niemand weiß etwas über die genetische, kulturelle oder soziale Prädisposition für Krankheiten.
In dieser Situation muß das Individuum dann entscheiden, wogegen es sich absichert und wogegen nicht.
Ich halte dieses Modell einer persönlichen Rationierung ex ante für egalitaristisch, jedoch so nicht realisierbar, aber es könnte ein guter Ausgangspunkt sein, der Krise zu entkommen.
Die Konsequenz dieses Modell liegt für Smith in der Entstehung von 3 Versicherungskategorien. Leistungen, die nahezu jeder für erforderlich hält; Leistungen, die nahezu jeder für nicht erforderlich hält; und Leistungen, bei denen sich die Menschen unterschiedlich entscheiden. In Staaten mit einem Public Health System würde dies bedeuten, das dieses nur noch die Grundversorgung bereitstellt. Um den egalitaristischen Aspekt beizubehalten müßten sich die Beiträge für die anderen beiden Kategorien am Einkommen des Individuums orientieren und jedes Ausscheren z.B. durch Privatversicherungen ausgeschlossen sein.
Eine Veränderung muß geschehen und ich halte das Dworkinsche Modell für einen guten Ansatz, denn die Rationierung, wie sie aktuell praktiziert und von Smith beschrieben wird ist so nicht lange trag- und realisierbar.
Sie basiert auf denial- Verweigerung , delay - Hinhalten, dilution - Ausdünnung und deterence -Abschrekung. Dies sind alles in ihrer Realisierung sehr willkürliche Kriterien. Nach diesem System wird auch in Deutschland rationiert.
Im Anschluß plädiert Smith wiederum für eine offene Debatte und versucht dabei aktuelle Rationierungskriterien zu entkräften bzw. zu relativieren:
· Medikamente ohne Wirkungsnachweis werden von Versicherungen nicht gezahlt, jedoch ist das Fehlen eines Wirkungsnachweises nicht gleichbedeutend mit der Wirkungslosigkeit.
· Auch eine akzeptierte Rationierung befreit die Kostenträger nicht von der Pflicht die Mittel für die Gesundheitsversorgung aufzustocken, da die Rationierungskriterien ständig auf dem Prüfstand stehen.
· Es muß akzeptiert und einbezogen werden, daß der gesundheitszustand nicht nur vom gesundheitssystem abhängt.
· Kennt der Patient die Rationierungskriterien des arztes genau und kann sie evt. selbst beinflußen, so verbessert dies das Verhältnis von Arzt und Patient gegenüber der jetzigen verborgenen rationierung.
· Rationierungen die jetzt, wie z.B. bei der 2. Knochenmarkstransplantation des Leukemiekranken Mädchens kaum akzeptiert werden, könnten verständlich und akzeptabel werden.
· Wir leben in einer Demokratie, Rationierung ist ein "schmutziges Geschäft", und gerade deshalb darf die Öffentlichkeit nicht getäuscht werden. (ethisches Argument)
· Klare Prinzipien der Rationierung kodifizieren nicht das Verhalten, sondern setzen ihm nur im Einzelfall (?) moralische Grenzen.
Auf den letzten Punkt bezieht sich meinem Empfinden auch Stöhr, der die Grenzen mindestens bei „überflüssigen und gar unsinnigen Leistungen“ sieht. Er möchte Rationierung entabuisieren. In diesem Zusammenhang verweist er auf den inflationären Gebrauch bildgebender Verfahren. (Anm. zur Pathologie)
Smith begründet zum Schluß sein Eintrete für eine offene Rationierung noch einmal mit 2 Beispielen:
Der Verweigerung von Organtransplantation für Medicarepatienten zugunsten einer Ausweitung des Programs in Oregon und den Prioritätenlisten für bestimmte Patientengruppen in Neuseeland.
Am Ende resümiert er:
Medizinische Leistungen werden in allen Gesundheitssystemen rationiert. Steigende Effizienz und Effektivität werden daran ebenso wenig ändern wie steigende Gesundheitsausgaben. Es sollte jedoch offen rationiert werden, um die Verantwortlichkeit zu gewährleisten und das öffentliche Vertrauen zu erhalten. Einfache Lösungen gibt es nicht. Oregon und Neuseeland sind vorangegangen, andere Länder müssen folgen.
Kajdi fordert in seinem Leserbrief in sehr polemischer Art „Freier Markt für freie Bürger“. Er polemisiert nur gegen das momentane System bringt aber keine brauchbaren Vorschläge Er vernachlässigt, das gesundheit und Leben eben nicht Güter wie andere sind.