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Politik - Aktuell

 

Clade, Harald

Sachverständigenrat/Konzertierte Aktion: Rationierungen vermeiden

in: Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 45 (08.11.1996), Seite A-2918
POLITIK: Aktuell

Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat in seinem Jahresgutachten unter dem Titel "Gesundheitswesen in Deutschland: Kostenfaktor und Zukunftsbranche" empfohlen, noch vorhandene Spar- und Rationalisierungsreserven im Gesundheitswesen zu mobilisieren. Andererseits sei der dynamisch wachsende Gesundheitssektor ein beschäftigungsrelevanter Wirtschafts- und Wachstumsfaktor der Volkswirtschaft.


Die Sozialabgabenquote (Anteil der Sozialabgaben am BIP) nahm im Gegensatz zur Steuerquote, also dem Anteil der Steuern, bezogen auf das Brutto-Inlandsprodukt (BIP), in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich zu. Das stellt der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion in seinem neuen Gutachten fest. Seit 1974 ist dies in erster Linie eine Folge der stark gestiegenen Pflichtbeiträge zur Arbeitslosenversicherung, aber auch teilweise der seit 1970 um vier Prozentpunkte gestiegenen Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Umgerechnet als Relation zum Brutto-Inlandsprodukt stiegen diese von knapp fünf Prozent im Jahr 1974 über knapp sechs Prozent im Jahr 1990 auf heute über sieben Prozent.
Die "Gesundheitsquote" (also die Gesamtausgaben für die Funktion "Gesundheit", gemessen am Bruttosozialprodukt) lag in Deutschland im vergangenen Jahr bei rund 9,5 Prozent, wohingegen die vergleichbare Gesundheitsquote in den USA bei 14,3 Prozent lag. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in Deutschland rund 98 Prozent der Bevölkerung gesetzlich und privat gegen das Krankheitsrisiko versichert sind, wohingegen in den USA nur 30 Prozent der Bevölkerung Versicherungsschutz genießen und viele ältere und sozial Schwache sowie junge US-Bürger gegen das Krankheitsrisiko überhaupt nicht Vorsorge getroffen haben.
Die Abgabenquote betrug 1993 rund 39 Prozent, lag mithin zwei Prozentpunkte unter dem EU-Niveau (41 Prozent) und geringfügig über dem Niveau der OECD-Staaten (38,5 Prozent), aber deutlich über der Quote in den USA und in Japan. Diese Länder weisen eine im Vergleich zu Deutschland um 10 Prozentpunkte niedrigere Abgabenquote aus. Die gestiegene Abgaben- und Sozialleistungsquote ist auch ein Reflex auf die geänderten Rahmenbedingungen und die verschlechterte demographische Entwicklung, den medizinischen Fortschritt, die Inanspruchnahme durch die Anspruchsberechtigten, das veränderte Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko und die größeren Behandlungsmöglichkeiten bei wachsender Lebenserwartung. Nachfrageinduzierend wirkt sich die Senkung der Sterblichkeitshäufigkeit in allen Altersgruppen seit Anfang des Jahrhunderts aus. Andererseits ist die Lebenserwartung von 1950 bis 1990 im Durchschnitt zwischen 3,5 und 4 Jahren gestiegen, bei Frauen überdurchschnittlich. Der demographisch bedingte Morbiditätswandel führt zwar zu einer Abnahme des Interventionsbedarfs kurativer Leistungen in den höchsten Altersgruppen, allerdings steigt die Nachfrage an pflegerischen Leistungen überdurchschnittlich.
Der Rat erwartet einen Zusatzversorgungsbedarf insbesondere bei obstruktiven Lungenerkrankungen, bei HerzKreislauf-Erkrankungen vor allem im operativen und rehabilitativen Bereich ebenso wie bei Erkrankungen des Urogenitaltraktes, bei Krebserkrankungen, im Bereich der Erkrankungen des Bewegungsapparates, bei Erkrankungen des Seh- und Hörsinns sowohl im ärztlichen als auch im nichtärztlichen Bereich und vor allem bei der geriatrischen und gerontopsychiatrischen Versorgung der Bevölkerung. Unausgeschöpft sei das Präventivpotential insbesondere zur Verhinderung der Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, der Erkrankungen der Atemwege (insbesondere Allergien) und bei Unfällen.
Rationalisierungsreserven müßten insbesondere auch in folgenden Bereichen mobilisiert werden: l wesentliche Verringerung der routinemäßig vorgenommenen Röntgenuntersuchungen und von präoperativen Diagnostiken;
l Einschränkung oder Wegfall der Knochendichtemessung als Screening-Methode bei beschwerdefreien Personen; l ein großer Teil der durchgeführten Arthroskopien ist nach Einschätzung des Rates "nicht notwendig";
l in der Diagnostik und Therapie der in der ambulanten Versorgung häufig unkomplizierten Rückenschmerzepisoden gebe es ebenfalls Sparreserven;
l bei den Gesundheitsuntersuchungen (Gesundheits-Check up) werde in mehr als der Hälfte der Fälle ein RuheEKG ohne ausreichende Indikation durchgeführt;
l bei einer Gallenblasenentfernung könnten 20 Prozent der Kosten gespart werden, falls das offen-chirurgische vermehrt durch das laparoskopische Verfahren ersetzt würde.
Sparreserven und teilweise Mißwirtschaft mutmaßen die Sachverständigen auch im Krankenhaussektor. Hier müßte den Kliniken mehr Entscheidungsbefugnis im Investitionsbereich eingeräumt werden, obwohl die Dualistik der Finanzierung weiter gilt und die Länderaufsichtsbehörden mitmischen. Obwohl von den gesamten Krankenhauskosten nur etwa 10 bis 15 Prozent auf die Investitionskosten entfallen, sind diese entscheidend für die Dimensionierung und den Einsatz der übrigen 85 bis 90 Prozent der laufenden Betriebskosten. Dringlich ist aus der Sicht des Rates die Durchschlagskraft der Betriebsführung, deren Leitungskompetenz zu verbessern sei. Da im Krankenhaus rund 70 Prozent der Kosten auf die Personalkosten entfallen, müsse dieser Sektor streng überwacht werden. Investitionen im Aus- und Weiterbildungssektor seien zumeist effizient. Dr. Harald Clade

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Clade, Dr. Harald

Medizinischer Fortschritt und knappe Ressourcen: Das Dilemma der Prioritätensetzung

in: Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 3 (17.01.1997), Seite A-80
POLITIK: Aktuell

Die Ressourcen-Knappheit in allen Bereichen der sozialen Sicherung und die Dringlichkeit sowie die praktische Unbegrenztheit der Bedürfnisse zur Sicherung der gesundheitlichen Risiken und zur Krankheitsbekämpfung zwingen sowohl die Politik als auch die Leistungserbringer zu einer ständigen Überprüfung der Effizienz des Mitteleinsatzes. Es führt kein Weg daran vorbei, Prioritäten beim Mitteleinsatz unter Beachtung der Effektivität zu setzen. Darüber waren sich die Experten bei einem Bonner Symposion (im November 1996) einig.


Die Experten eines Diskussionsforums der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. (GVG) in Bonn unter dem Leitthema "Medizinischer Fortschritt und Prioritätensetzung" stimmten bei der Beurteilung des Status quo des Gesundheitssicherungssystems und der gesundheitspolitischen Diskussion überein: Nicht alles medizinisch Machbare und Wünschenswerte ist bezahlbar und über solidarisch organisierte Versicherungen abwickelbar. Vielfach überlagert die ökonomische Rationalität immer mehr die Leistungserbringung und die Kostenübernahme. Der Konflikt zwischen sozial- und zivilrechtlichen Dimensionen und Haftungsvoraussetzungen spitzt sich immer mehr zu. Um so mehr ist es nach Ansicht der Experten der Verbände der Leistungserbringer im Gesundheitswesen und der Krankenkassen erforderlich, Prioritäten zu setzen und dabei sowohl gemeinschaftsbezogene als auch individuelle Kosten-NutzenAbschätzungen sorgfältig zu beachten, um gesellschaftliche Konflikte zu begrenzen. Andererseits müssen alternative Verwendungsmöglichkeiten mit dringlicherer Priorität und größerem Nutzen ausgelotet werden (Beachtung der sogenannten Opportunitätskosten). Dies ist auch die Quintessenz eines ebenso kritischen wie unkonventionellen Grundsatzbeitrages vor dem GVG-Forum von Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. Michael Arnold, dem ehemaligen Inhaber einer Stiftungsprofessur für Gesundheits-System-Forschung an der Universität Tübingen, dem früheren Vorsitzenden des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen.
Übereinstimmung unter den Experten des Forums bestand auch darin, daß jede Prioritätensetzung eine Form der Rationierung ist. Der Arzt müsse ständig rationieren, also haushalten mit dem knappen Gut Zeit, der Manpower und den finanziellen ebenso wie den technischen Ressourcen. Nicht immer und uno actu könnten die Segnungen des medizinischen Fortschrittes in die Alltagspraxis des Arztes implementiert und über solidarisch finanzierte Kassen reguliert werden. Allerdings gebe es kein Problem, den medizinischen Fortschritt umzusetzen, wenn dieser gezielt zum Einsatz käme und das Problem der Medizin zu beherrschen wäre, ihre Vielfältigkeit und relative Beliebigkeit einzugrenzen. Immerhin gebe es für die Akteure im Gesundheitswesen einen relativ großen Ermessensspielraum, meinte Dr. med. Eckart Fiedler, Vorstandsvorsitzender der Barmer Er-satzkasse (BEK), Wuppertal, bei dem Bonner GVG-Forum. Inwiefern die Spielräume ausgenutzt werden und tatsächlich zu Ausgabenschüben führen, hänge davon ab, inwieweit der Arzt auf seine Kenntnisse und beruflichen Erfahrungen zurückgreifen kann und ob er imstande sei, Rationalisierung vor Rationierung zu setzen. Es sei dringend erforderlich, auch mit Hilfe von vorgegebenen Standards die Indikation effizienter und gezielter zu stellen, so der Kassen-Mann.
Dabei dürfe der Regulierungs- und Kontrolldrang nicht soweit reichen, daß nach dem "Vorbild" der USA über Managed Care und Disease-Systeme Kostenstandards vorgegeben würden und eine rigide Indikationenkontrolle erfolge, so Dr. jur. Rainer Hess, Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Köln. Dies sei zudem sehr kostenintensiv. Auch der Sprecher der Kassenärzte riet dazu, Prioritäten zu setzen. Allerdings müsse genau festgelegt werden, wer dafür verantwortlich sei und ob generell oder im Einzelfall über den Einsatz der Erkenntnisse der Hochleistungsmedizin entschieden werde.


Leistungen kaum beschränkbar
Die praktische Medizin steht nach Darlegungen von Professor Arnold vor dem Dauer-Dilemma, daß nicht nur Patienten mit eindeutig und objektiv nachprüfbaren pathologischen Befunden Hilfe von der Medizin und den solidarisch finanzierten Versicherungen erwarten, sondern auch solche, die unter schwer faßbaren Befindlichkeitsstörungen und nur subjektiv geäußerten Einschränkungen des Wohlbefindens leiden, gleichwohl kaum beschränkte und kaum beschränkbare Leistungen bei den Versicherungen und Leistungsträgern anforderten.
Falls die Politik die Leistungsrechte auf Verfahren mit objektiv nachgewiesenen Wirkungen beschränke, könne dies aus politischen und Kostengesichtspunkten durchaus wünschenswert sein. Die Medizin und die ärztliche Therapiefreiheit würden jedoch auf ein reduktionistisches Krankheitsmodell begrenzt werden. Dies wird aber von vielen Kritikern als eine Abkehr vom Vollkrankenschutz und der Ganzheitsmedizin kritisiert und zurückgewiesen. Aus der Notwendigkeit, die Effizienz ständig zu überprüfen und zu verbessern, ließen sich mit medizinischem Sachverstand und auf der Basis klinischer Studien Verfahren ausmachen und jene ausgrenzen, die objektiv nicht effektiv seien, so Arnold. Allerdings sei diese Zahl nicht so groß, wie vielfach vermutet werde. Das eigentliche kostentreibende Problem, das die Politik unter verschärften Handlungszwang setzt, bestehe nicht in der Anwendung obsolet gewordener und ineffektiver Verfahren, sondern vielmehr von effektiven Verfahren, bei nicht immer gegebener Indikation und vor allem bei der additiven Anwendung herkömmlicher Verfahren und Technologien zu neuen, die die alten meist nicht völlig ersetzen können und damit die Kosteninflation anheizen.
Nach Überzeugung von Arnold könnte dieser Mißstand auch nicht durch strengere Zulassungsprüfungen beispielsweise für neue Arzneimittel, die Vorgabe von Positivlisten oder von Anreizen für die Leistungserbringer verbessert werden. Das hätte nur Einfluß auf das Gesamtvolumen von Leistungen, nicht aber auf die Indikationsstellung im Einzelfall. Auch bei begrenzten Ressourcen und Kapazitäten würden in der Regel auch Leistungen unangemessen erbracht werden, ein Tatumstand, der wiederum die Krankenkassen zusätzlich belaste. Dieser Mißstand könne nur über restriktive Kontrollen des Einzelfalles vermieden werden, etwa im Rahmen von Instrumenten des sogenannten Managed Care.
Entscheidend für die Ausgabenhöhe der medizinischen Versorgung sind nach Meinung Arnolds nicht nur die Menge, sondern vielmehr auch die Struktur der erbrachten Leistungen. Diese ändere sich permanent und spürbar infolge des medizinisch-wissenschaftlichen Fortschritts und der damit verbundenen Innovationen und neuen Technologien.
Auch müsse der nicht immer in Mark und Pfennig kalkulierbare intangible Nutzen berücksichtigt werden. Gesundheitspolitische Ziele könnten bei Anwendung neuer Verfahren in der Regel mit größerer Sicherheit oder geringeren Nebenwirkungen erbracht werden, oder bisher nicht erreichbare Ziele könnten mit Hilfe neuer Verfahren erfolgreich angegangen werden - mithin auch wichtige politisch erwägenswerte Optionen, die den Grenznutzen des Fortschrittes umfassen.
In jedem Fall müsse es Anliegen der Politik und der Leistungserbringer sein, eine Zwei-Klassen-Medizin zu vermeiden und Ausweichreaktionen über "graue Märkte" zu unterbinden. Keinesfalls dürften eindeutig medizinisch notwendige Leistungen wegen des Ressourcenmangels verweigert oder ab einer bestimmten Altersgrenze ausgeschlossen werden (Negativbeispiel: England).
Eine drohende Zwei-Klassen-medizin sei der stärkste Verstoß gegen das Gerechtigkeits- und Gleichheitsprinzip. Dies ließe sich auch nicht mit noch so hohem bürokratischem Aufwand, einer immer größer werdenden Regelungsdichte und zentral verordneten Vorgaben (Standards, Richtwerte, Budgets) vermeiden. Vielmehr seien ebenso medizinisch wie ökonomisch und ethisch fundierte Richtwerte notwendig - unter Beachtung einer objektiven Analyse des Status quo. Ein gesundheitspolitisches Umdenken sei bei allen Beteiligten notwendig - sowohl bei den Kostenträgern, den Leistungserbringern als auch den Versicherten und vor allem bei der Sozialgerichtsbarkeit. Die Krankenkassen sollten sich darauf beschränken, ausschließlich effiziente und notwendige Leistungen zu gewähren. Die Leistungserbringer müßten neben der kurativen Medizin auch präventive und aufklärerische Maßnahmen in den Vordergrund rücken. Die Sozialgerichte sollten das Leistungsrecht restriktiver als bisher auslegen. Die Politiker müßten sich von der Illusion freimachen, eine Rundum-Versicherung sei weiterhin finanzierbar. Dr. Harald Clade

 

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Hohmann, Dr. med. Claas

Krankenhausmanagement: Klinikärzte sind gefordert

in: Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 17 (25.04.1997), Seite A-1107
POLITIK: Aktuell

Nach Abschaffung des Selbstkostendeckungsprinzips sehen sich die Krankenhäuser einem zunehmenden wirtschaftlichen Druck ausgesetzt. Dieser verschärft sich zum einen durch eine Flut von Bestimmungen, deren Ziel die Mobilisierung der im Krankenhaus vermuteten Wirtschaftlichkeitsreserven ist, zum anderen durch eine verstärkte Konkurrenz der Krankenhäuser untereinander. Als Konsequenz dieses wirtschaftlichen Druckes müssen, wie in jedem anderen Dienstleistungsunternehmen, betriebswirtschaftliche Methoden im Krankenhaus angewandt werden. Diese Konsequenz wird zumindest im Bereich der Krankenhausverwaltungen gesehen und zum Teil auch umgesetzt. Somit besteht angesichts der prekären Situation die unabdingbare Notwendigkeit, neben der Krankenhausverwaltung ein Krankenhausmanagement zu installieren. Dieses Krankenhausmanagement muß unter anderem folgende primäre Aufgaben erfüllen:
1 Festlegung der strategischen Ziele
1 Analyse des Ist-Zustandes
1 Entwicklung von Strategien zur Umgestaltung des Krankenhauses nach Maßgabe der strategischen Ziele
1 Analyse der Innen- und Außenbeziehungen des Krankenhauses
1 Analyse und Strategieentwicklung der potentiellen Störgrößen bei Verwirklichung der strategischen Ziele.
Die Instrumentarien zur Umsetzung der strategischen Unternehmensführung sind durch die Betriebswirtschaftslehre hinreichend entwickelt und haben sich vor allem in wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmungen bewährt. Erkennt man auch im Krankenhaus die Notwendigkeit einer strategischbetriebswirtschaftlichen Unternehmensführung, so stellt sich die Frage, wie ein solches Konzept in diesem Bereich verwirklicht werden kann.
Im Rahmen dieser Unternehmensführung müssen sowohl medizinische als auch betriebswirtschaftliche Überlegungen einfließen. Zur Zeit aber herrscht in den Krankenhäusern eine weitgehende Trennung dieser beiden Bereiche. Auf der einen Seite stehen Ärzte, denen betriebswirtschaftliche Instrumentarien weitgehend unbekannt sind, auf der anderen Seite befindet sich eine Krankenhausverwaltung, die kaum Einsicht in medizinische Notwendigkeiten hat. Somit kann es zu keiner wirksamen Ausrichtung des Krankenhausmanagements kommen. Erschwerend kommt eine aus dieser Trennung resultierende Sprachlosigkeit dieser beiden Gruppen hinzu.
Nicht zuletzt aufgrund dieses Sachverhaltes werden viele Entscheidungen im Krankenhaus ohne ausreichende Berücksichtigung der einen oder der anderen Seite getroffen.
Wie die Flut von Veröffentlichungen und Leserbriefen im Deutschen Ärzteblatt zeigt, erregt die Vorstellung, daß Ärzte einen entscheidenden Anteil am Krankenhausmanagement haben sollten, die Gemüter. Unter dem Hinweis, daß ihre Aufgabe die Versorgung der ihnen anvertrauten Patienten und nicht das Krankenhausmanagement sei, geht eine breite Welle der Entrüstung und Ablehnung durch die Krankenhausärzteschaft. Es stellt sich aber die Frage, ob dem Patienten, um dessen Wohl man angeblich so besorgt ist, damit gedient ist, wenn die wichtigen strategischen Entscheidungen im Krankenhaus von Betriebs- und Verwaltungswirten getroffen werden. Ist es nicht vielmehr im Sinne des Patienten, wenn diese strategischen Aufgaben von medizinischem und wirtschaftlichem Sachverstand getragen werden? Aus dieser Perspektive ergibt sich geradezu eine Verpflichtung der Ärzte, sich mit betriebswirtschaftlichen Fragestellungen auseinanderzusetzen und so einen entscheidenden Beitrag zum Krankenhausmanagement zu erbringen.
Zur Überwindung des Dilemmas bedarf es einer integrativen Position, die die Trennung von medizinischem und betriebswirtschaftlichem Bereich aufhebt und die Grundlage für eine strategische Unternehmensführung schafft. Die Anforderungen, die die Besetzung einer solchen Position mit sich bringt, sind hoch. So müssen in ihr sowohl medizinische als auch betriebswirtschaftliche Kompetenz sowie langjährige Tätigkeit und Erfahrung im Krankenhaus vereint werden. Eine so ausgebildete Person sollte dann in der Stellung eines ärztlich-kaufmännischen Direktors den Entscheidungsorganen des Krankenhauses vorstehen.
Durch Einführung eines strategischen Managements wird dennoch vor allem auf leitende Abteilungsärzte eine zunehmende Verantwortung bei der Entwicklung medizinisch-wirtschaftlicher Konzepte zukommen. Wenn die Leistungsfähigkeit des Krankenhauses erhalten und weiter ausgebaut werden soll, ist die Verwirklichung des strategischen Managementkonzeptes und die damit verbundene Einbindung der Ärzte in wirtschaftliche Entscheidungen eine unabdingbare Voraussetzung.


Dr. med. Claas Hohmann
Oberarzt der Abteilung für Orthopädie
Kaiserberg-Klinik - Pitzer KG -
Am Kaiserberg 8-10
61231 Bad Nauheim

 

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Clade, Dr. Harald

Gesundheitsforschung/Universitätskliniken: Förderung nach Schwerpunkten

in: Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 28-29 (14.07.1997), Seite A-1916
POLITIK: Aktuell

Für Bildung und Forschung gibt der Bund jährlich rund 40 Milliarden DM aus, wie der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dr. jur. Jürgen Rüttgers, CDU-MdB, kürzlich mitteilte. Wegen der anhaltend knappen Ressourcen müßten die Forschungsinitiativen auf prioritäre Ziele konzentriert und auch in den Dienst der Standortpolitik und der aktiven Arbeitsmarktförderung gestellt werden, so der Minister. Die Forschungsprojekte "im Dienste der Gesundheit" und die Aktivitäten im Bereich der Universitätsklinika sollen, stärker als bisher schon, konzentriert werden. Dabei müßte die Finanzierung der Grundlagenforschung und der klinischen Forschung von den Aufgaben der Krankenversorgung strikt getrennt werden. So der Tenor eines Fachsymposiums der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung in Bad Neuenahr.


Die Forschungsförderung im Bereich der Hochschulen und Universitätskliniken, im Bereich der klinischen Forschung, der Grundlagenforschung ebenso wie der wissenschaftlichen Begleitforschung "im Dienste der Gesundheit" und der Forschungsprojekte der Krankenkassen leidet unter der Crux, daß weder das Gesamtvolumen noch die Zuordnung zu den Finanzierungsträgern exakt erfaßt und nach verursachergerechten Kriterien getrennt werden. Dem will die Bundesregierung jetzt abhelfen. Um mehr Klarheit und Transparenz über die Aufbringung der Fördermittel und deren Verteilung zu erhalten, hat das Bundesgesundheitsministerium mit den Bundesländern vereinbart, eine Studie durchzuführen, um die Kostenanteile von Forschung, Lehre und Krankenversorgung zu erfassen, zu analysieren und die Kosten der Forschung und Lehre eines Klinikums mit Hilfe einer geeigneten Kostenträgerrechnung gesondert zu erfassen. Dadurch sollen die Finanzierungsströme transparenter gestaltet werden, Kostenverantwortungsbereiche geschaffen und "Verschiebebahnhöfe" vermieden beziehungsweise beendet werden. Beim Bad Neuenahrer Syposium der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. (GVG) klagten sowohl Ministerialdirektor Dr. jur. Manfred Zipperer, der Leiter "Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung" des Bundesgesundheitsministeriums, als auch Staatssekretär Dr. phil. Fritz Schaumann, Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, über die fehlenden Trennungskriterien bei den Forschungsaktivitäten und Finanzierungsverpflichtungen. Vielfach werde denn auch behauptet, der eine Sektor sei Kostgänger des anderen, trage also mit seinen Finanzierungsbeiträgen zur Finanzierung des anderen Sektors contra legem bei. Gängig sei die Behauptung der Krankenkassen und der Krankenkassenverbände, mit den Krankenkassenbeiträgen würden teilweise auch Forschung und Lehre von Universitätsklinika mitfinanziert. Die Vertreter der klinischen Forschung bringen dagegen vor, mit Mitteln für Forschung und Lehre würden teilweise auch die finanziellen und personellen Engpässe in der Krankenversorgung überbrückt.
Demgegenüber stellte Zipperer fest: Das Sozialgesetzbuch V enthält klare Rechtsvorschriften, nach denen die Krankenkassen und deren Spitzenverbände in begrenztem Umfang auch Forschungsprojekte unterstützen können, soweit dadurch die Aufgaben der Krankenversicherung erfüllt werden, Begleitforschung und Evaluation von Modellprojekten erfolgt. Förderungvoraussetzung ist stets, daß die mit den Forschungsprojekten verfolgten Ziele direkt der Krankenversorgung dienen. Beispiele für die Begleitforschung, die von den Krankenkassen finanziert werden darf: Durchleuchtung und Verbesserung der Organisation der GKV, Krankenversorgung und Vertragsgestaltung. Das 2. GKV-Neuordnungsgesetz enthält Öffnungsklauseln und Vorgaben für Strukturverträge (§ 73a SGB V) und für zeitlich befristete Modellversuche, die jetzt ausgeschöpft werden könnten, so Dr. Zipperer. Darüber hinaus könnten Erkenntnisse über das medizinische Leistungsgeschehen und die Häufigkeit von bestimmten Erkrankungen auf der Grundlage der ohnehin bei den Krankenkassen vorhandenen Daten genutzt werden.


Was die Kassen finanzieren
Zur Zeit prüft das Bundesgesundheitsministerium, unter welchen leistungsrechtlichen Voraussetzungen die Krankenkassen in Zukunft Forschungsvorhaben unterstützen können. Allerdings sei es Voraussetzung, daß sich die Krankenkassen mit den medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften abstimmen. Das Bundesgesundheitsministerium und das Bundesministerium für Forschung und Technologie fördern eine Reihe von epidemiologischen und biotechnologischen Forschungsprojekten. Grundlage ist das Programm der Bundesregierung "Gesundheitsforschung 2 000", für das im Jahr 1995 insgesamt 195 Millionen DM bereitgestellt wurden: Begleitforschung zu Modellprojekten in der psychiatrischen Versorgung; Maßnahmen zur Bekämpfung der Immunschwächenkrankheit AIDS; Forschungsprojekt "Public Health"; Bio- und Gentechnik. Ein aktuelles Bild der Gesundheitsforschung/Forschungsförderung, soweit sie aus Etats des Bundes und der Länder finanziert werden:
Die Bundesländer finanzieren die Forschung und Lehre an den 37 Universitätskliniken jährlich mit rund 6,5 Milliarden DM. Davon entfällt rund ein Drittel auf Forschung und Entwicklung, also rund zwei Milliarden DM.
Bund und Länder gaben 1995 rund fünf Milliarden DM für die Gesundheitsforschung aus. Nicht quantifizierbar sind die Beiträge der Länder für Mehraufwendungen, die für Forschung und Lehre an Universitätskliniken ausgegeben werden. Ebenfalls nur geschätzt werden können die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen der Industrie und der Wirtschaft für die Gesundheitsforschung. Im Jahr 1991 (neuere Zahlen liegen nicht vor) lag der Betrag bei rund 3,8 Milliarden DM (für Forschung und Entwicklung für medizinische Güter: rund 700 Millionen DM; für Forschung und Entwicklung für pharmazeutische Erzeugnisse: rund 3,1 Milliarden DM).
Bund und Länder finanzieren gemeinsam den Hochschulbau sowie Investitionen von Großgeräten an Universitätsklinika. Der Anteil im Bereich Medizin betrug 1995 rund 1,5 Milliarden DM.
Als Gemeinschaftsaufgabe werden von Bund und Ländern die medizinischen Großgeräte, Einrichtungen und die Institute der "Blauen Liste" gefördert. Hier betrug der Anteil des Bundes (BMBF) im Jahr 1995 rund 363 Millionen DM.
Für den medizinrelevanten Teil des Projektes "Biotechnologie" wird zur Zeit jährlich ein Betrag von rund 100 Millionen DM ausgegeben. Die Gesundheitsforschung wurde 1996 aus Bundesmitteln mit 222 Millionen DM in der Projektförderung bezuschußt. Für 1997 sind 230 Millionen DM angesetzt. Dr. Harald Clade

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Clade, Dr. Harald

Überlebensstrategie für das Krankenhaus: Abschied von alten Denkkategorien

in: Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 6 (06.02.1998), Seite A-270
POLITIK: Aktuell

1. Kolloquium "Medizinisches Leistungszentrum" (MLZ) im Januar in Köln: Sektorenübergreifende Finanzierungs- und Organisationsformen notwendig. Rasche, flexible Marktreaktion der Medizinbetriebe ist unerläßlich.
as Gesundheits- und Krankenhauswesen in Deutschland ist durch zwei kontraproduktive, kostentreibende Strukturschwächen gekennzeichnet: Einerseits sind die Leistungssektoren und -träger durch eine wenig auf Kooperation und engere Zusammenarbeit angelegte sektorale Abschottung und eine nicht immer effiziente "Optimierung" gekennzeichnet. Andererseits leidet die Krankenhauswirtschaft ebenso wie der ambulante ärztliche Sektor unter den sektoralen und globalen Ausgabendeckelungen, die wenig Kräfte zur innovativen Weiterentwicklung und zu einem flexiblen Marktreagieren freisetzen.
Hinzu kommt: Das Krankenhaus krankt daran, daß es sich vielfach noch als ein "inhomogenes Konglomerat von Meisterbetrieben" versteht und darstellt, mit innerbetrieblichen Reibungsverlusten bei der Betriebsführung, das einer kompakten, qualitätsorientierten Leistungserstellung und einer flexiblen Finanzierungs- und Betriebsorganisation und den sich ständig ändernden Marktkonstellationen nicht hinreichend Rechnung trägt. Notwendig sei es aber, Entscheidungen von morgen jetzt schon zu treffen, denn beständig sei nur der Wandel. So der Tenor von Dr. med. Beowulf Walter (64), Chefarzt der Abteilung für Anästhesie und Ärztlicher Direktor des Krankenhauses Holweide der Kliniken der Stadt Köln, vor dem 1. MLZ-Kolloquium: "Überlebensstrategie für das Krankenhaus", veranstaltet von der Kongreßabteilung des Deutschen Ärzte-Verlages am 16./17. Januar in Köln.
Nach der Diagnose und Einschätzung des berufserfahrenen Klinikchefarztes, die er den rund 160 fortbildungsbeflissenen Klinikmanagern ebenso wie den Klinikärzten mit auf den Weg gab: Für viele Krankenhausbetriebe ist es noch ein weiter Weg bis zu einem marktresistenten und flexibel agierenden Leistungszentrum, das auch sektorenübergreifend agiert und sich ständig an die sich ändernden Marktkonstellationen und an die gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen anpaßt.
Effizienter Controller-Dienst
Walter plädierte für neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Klinik und niedergelassenen Ärzten; erforderlich seien auch bei begrenzten finanziellen Ressourcen Wege der Kooperation und neue Betriebsabläufe, die einer ganzheitlichen Medizin den Weg bahnen, ohne das notwendige Spezialistentum abzuschaffen oder unerträglich einzuschränken. Große Bedeutung mißt Walter einem effizienten Controller-Dienst zu, der dort, wo noch Rationalisierungs- und Wirtschaftlichkeitsreserven mobilisiert werden können, mithilft, Spareffekte zu erzielen, aber dort, wo Kosten und Leistungen exakt ermittelt und nachgewiesen werden, ungerechtfertigte Eingriffe von außen abwehrt.
Dringend sei den hochtechnisierten und spezialisierten Krankenhäusern zu raten, möglichst betriebs- und krankenhausfremde Leistungen auszugliedern und durch spezialisierte Betriebe zu beziehen oder die Verbundwirtschaft zu erweitern (externer Leistungskreis). Allerdings müßten die bezogenen Leistungen außerhalb der Klinik qualitativ besser und preiswerter angeboten werden, als sie intern erbracht werden können.
Sowohl die niedergelassenen Ärzte als auch die Krankenhäuser haben darunter zu leiden: Nicht immer folgt guten Ideen und der Leistung auch das Geld. Das Sozialgesetzbuch V (SGB V) begrenzt die Transferierung von Finanzierungsströmen und teilt sie sektoral zu beziehungsweise deckelt sie durch zu starre Budgets. Privatisierungsaktionen, marktgerechtere Rechtsformen für Krankenhäuser (etwa: GmbH für kommunale Häuser), konsequentes Outsourcing können helfen, aber nur begrenzt, so die Erfahrung des Referenten.
Als Mittel der Wahl empfahl Walter, neben den materiellen vor allem die immateriellen Ressourcen (Strukturqualität, qualifiziertes Fachpersonal; Betriebsklima und anderes) in die Waagschale zu werfen, um den härter werdenden Wettbewerb zu bestehen. Gerade bei der immer notwendiger werdenden Qualitätssicherung würden diese in Mark und Pfennig nur schwer ausdrückbaren Produktionsfaktoren vernachlässigt. Ein guter Führungsstil und ein patientenfreundliches Betriebsklima allein führten noch nicht in die schwarzen Zahlen der Klinikkostenrechnung; auch die materiellen Ressourcen müßten ausgeschöpft werden, und das Krankenhaus müsse Freiraum zum Agieren haben.
Für eine sektorenkooperierende Krankenhauswirtschaft und mehr Kooperation trat auch der Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland, Wilfried Jacobs, Düsseldorf, ein.
Die immer knapper werdenden Ressourcen im Gesundheitswesen müßten dazu veranlassen, daß die starre Trennung zwischen ambulantem und stationärem Sektor aufgehoben und eine durchlässige, intensitätsmäßig gestufte Versorgung vollzogen wird. Sämtliche Akteure des Gesundheitswesens müßten sich den Wettbewerbsbedingungen stellen. Dies erfordere, so der AOK-Mann, ein Aufbrechen verkrusteter Strukturen und einen Abschied vom Interessenpartikularismus. Nicht alle wünschenswerten und machbaren Leistungen könnten heute noch implementiert und bezahlt werden. Die Leistungen müßten besser aufeinander abgestimmt werden. Nur Qualität und effiziente Leistungen würden die Kostenträger noch bezahlen. Die Effizienz müsse in erster Linie zum Wohl der Versicherten gesteigert werden - sowohl unter qualitativen als auch unter wirtschaftlichen Aspekten.
Auch das Krankenhaus müsse sich an diese Spielregeln halten. Eine bloße Überlebensstrategie und Markterhaltung könnten nicht toleriert werden. Aus der Sicht der Krankenkassen müsse eine hohe Qualität im Preis, den die Patienten und Kassen zahlen, inbegriffen sein, wie es beispielsweise in der Automobilindustrie bei den dortigen Produktpreisen der Fall sei. Allerdings, darauf wies Prof. Dr. med. Friedrich-Wilhelm Kolkmann, der Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, Stuttgart, hin, würden dort auch echte leistungsorientierte Marktpreise bezahlt, wohingegen im Gesundheitswesen die Qualität bisher nicht in vollem Umfang durch Preise, Honorare und Entgelte bezahlt würde.
Leistungsgerechte Vergütungen
Für den Krankenkassenmann ist die Voraussetzung für eine effiziente ambulante und stationäre Versorgung die Etablierung eines Systems leistungsgerechter, differenzierter Vergütungen. Die AOK-Maxime: Für eine gleichartige und vergleichbare Leistung könne künftig bei gleich hohem Leistungsniveau nur ein einheitlicher(s) Preis (Entgelt) gezahlt werden. Die Krankenkassen arbeiten zur Zeit an Betriebsvergleichen, die sowohl die Kosten- als auch die Leistungsstrukturen von Krankenhäusern parallel analysieren und in Beziehung zueinander setzen. Dadurch könnten Besonderheiten einzelner Kliniken besser erkannt und entsprechend bezahlt werden. Zu teuer und aufwendig erbrachte Leistungen (im Vergleich zum Standard) könnten die Krankenkassen künftig aber nicht mehr vergüten und nicht auch nur teilweise berücksichtigen.
Nach Meinung von Jacobs sind noch Wirtschaftlichkeits- und Rationalisierungsreserven zu mobilisieren. "Beweis": Im Bereich Nordrhein seien Nullrunden oder gar Budgetsenkungen durchgesetzt worden, ohne daß es bisher zu Engpässen und Qualitätsverlusten gekommen sei, so die Behauptungen der zuständigen AOK.
Stationär schrumpft
Der stationäre Sektor wird in Zukunft schrumpfen; der semistationäre und ambulante Sektor könnte begrenzt expandieren ("denn die Gesundheitswirtschaft ist eine dynamische Wachstumsbranche"). Ein Vertragsmodell, wie es die AOK in Nordrhein goutiert, setzt auf individuell abgeschlossene Planverträge zwischen einzelnen Krankenhäusern und den Verbänden der Krankenkassen. Dadurch sollen die Krankenkassen mehr Möglichkeiten erhalten, die Dimensionierung und Strukturierung des Leistungsgeschehens mit zu beeinflussen. Daran müsse sich auch das Ideenkonzept eines Medizinischen Leistungszentrums messen lassen.
Jacobs ist gegen ein lupenreines Einkaufsmodell, das von den Krankenkassen und der SPD empfohlen wird. Jacobs spricht sich für ein flexibles Vorgehen durch Verträge und sektorenübergreifende, integrierende und verzahnte Strukturen sowie "kongeniale" Organisations- und Finanzierungsstrukturen aus. Darin müsse auch das ambulante Operieren mit allen Honorarkonditionen einbezogen werden. Bisher sei die Kann-Bestimmung allerdings noch nicht umgesetzt worden, nämlich auf Bundesebene gemeinsame Budgets für Krankenhäuser und Vertragsärzte im Bereich des ambulanten Operierens zu schaffen. Die AOK Rheinland tritt für eine gerechte Bezahlung von niedergelassenen Vertragsärzten ebenso wie von Klinikärzten und Krankenhausbetrieben ein. Die Deckelung des Finanzierungstopfes "Ambulantes Operieren" müsse verschwinden. Es werde keine Leistungsverschiebung zwischen stationär und ambulant erfolgen, wenn der ambulante Bereich zementiert und mögliche Entwicklungsprozesse verhindert würden. Dr. Harald Clade

 

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Spielberg, Petra

Rationierung im Gesundheitswesen: Ärzte nicht allein lassen

in: Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 48 (27.11.1998), Seite A-3036
POLITIK: Aktuell

Die Debatte um Rationierung von Gesundheitsleistungen muß auf eine objektive Grundlage gestellt werden. Das forderten Experten auf einem Symposium der "Internationalen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie e.V." in Mainz, dessen Berichtsband soeben erschienen ist (bei Thieme, 19,80 DM). Klarheit darüber, wann Ärzte im Einzelfall Leistungen vorenthalten, die eigentlich medizinisch notwendig gewesen wären, kann es nach übereinstimmender Auffassung der Teilnehmer am Symposium nicht immer geben. Ihr Fazit: Den Ermessensspielraum, wann ein Arzt Leistungen unterlassen darf, können nur objektivierte und allgemein akzeptierte Leitlinien bestimmen. "Wir müssen öffentlich darüber diskutieren, ob und wenn ja auf welchem Niveau Rationierung stattfinden soll", forderte der Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer, Professor Dr. Christoph Fuchs. Die Ärzte sollten das Problem nicht allein auf ihren Schultern austragen müssen. Bislang überwiegt indessen die Praxis, daß sich Ärzte im Einzelfall auf ihre persönliche Erfahrung und medizinische Intuition verlassen, wenn sie über eine notwendige und zweckmäßige Behandlung entscheiden.
"Die von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften erarbeiteten Leitlinien lesen mehr Juristen als Ärzte", gab Professor Dr. Karl Wilhelm Lauterbach vom Institut für Gesundheitsökonomie und Gesellschaft in Köln zu bedenken. Allerdings sieht Lauterbach in einer öffentlich geführten Rationierungsdebatte die Gefahr, daß spektakuläre Einzelfälle die Diskussion bestimmen würden. "Solange noch keine empirischen Belege für die Effizienz von Behandlungsalternativen vorliegen, muß die wissenschaftliche Evaluation Vorrang haben", betonte er.
Als Vertreter der Krankenkassen zeigte Herbert Rebscher vom Verband der Angestellten-Krankenkassen Bereitschaft, gemeinsam mit den Ärzten wissenschaftliche Grundlagen zu erarbeiten. "Ich kann nur alle einladen, an Modellversuchen teilzunehmen", unterstrich er. Bis konkrete Daten vorliegen, wird aber noch einige Zeit vergehen. Damit der Ermessensspielraum für die Ärzte nicht zur Falle wird, riet der Mannheimer Rechtswissenschaftler Professor Dr. Jochen Taupitz dazu, Patienten sorgfältig darüber aufzuklären, welche Alternativen bestehen und wer im Einzelfall für die Kosten aufkommen muß. Petra Spielberg

 

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Glöser, Dr. Sabine

Kassenärzte: Gute Startchancen im Globalbudget

in: Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 48 (27.11.1998), Seite A-3046
POLITIK: Aktuell

Wie geht es im Gesundheitswesen weiter? Dies war das Thema eines Symposiums der KBV in Königswinter.
Das Gesundheitswesen muß sich prioritär am Versorgungsbedarf des Patienten orientieren. Für den Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med. Winfried Schorre, ist dies die zentrale Aufgabe im "System mit den begrenzten Mitteln". Er bekannte sich zu einer sinnvollen Mengensteuerung und zu der Notwendigkeit, das Leistungsangebot auf das medizinisch Notwendige zu konzentrieren. "Die Kassenärzte sind bereit und willens", betonte der KBV-Vorsitzende, "den notwendigen Anpassungsprozeß des Systems an die Erfordernisse der Zukunft zu leisten, und ziehen sich nicht auf die Verteidigung ökonomischer Besitzstände zurück."
Rahmenbedingungen mit Gestaltungsspielraum
Diese Ziele können Schorre zufolge nur erreicht werden, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind: akzeptable politische Rahmenbedingungen, innerärztliche Geschlossenheit und eine funktionierende Selbstverwaltung. So forderte er die Krankenkassen erneut auf, ihren Pflichten nachzukommen. Deren Verweigerungshaltung habe in den vergangenen Monaten zu einer weitgehenden Lähmung der Selbstverwaltung geführt. Die politischen Rahmenbedingungen sollten Orientierung geben, aber Gestaltungsspielraum bieten - das von der Regierungskoalition geplante Globalbudget lasse dies nicht zu (siehe DÄ, Heft 46, Seite eins).
In einem System globaler Budgets sieht der Vorsitzende des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen, Herbert Rebscher, indes "gute Startchancen" für die Vertragsärzte. Die Diskussion über Verteilungsfragen innerhalb des Budgets dürfte sich seiner Ansicht nach eher im stationären Sektor abspielen. Denn der habe selbst in Zeiten der Budgetierung massive Ausgabenüberhänge gehabt. Bei der angestrebten Rationalität der Versorgung hätten die Vertragsärzte zugleich die Chance, die Versorgung kostengünstiger und qualitativ besser zu gestalten.
Dennoch ist nach Rebschers Überzeugung eine Strukturreform notwendig. An erster Stelle stehe das Kapazitätenproblem. Man kämpfe immer noch mit der Niederlassungswelle, die das Gesundheitsstrukturgesetz ausgelöst habe. Es bleibe die spannende Frage, sagte er, ob die Selbstverwaltung die Kapazitäten planerisch im Kollektivvertragsmodell entwickele oder dem Wettbewerb und damit dem selektiven Kontrahieren (eine Umschreibung des Begriffs "Einkaufsmodell") vertraue.
Einig sind sich Rebscher und Schorre darin, daß die Versorgungsstrukturen sektorenübergreifend weiterentwickelt werden müssen. Beim Leistungsprozeß an sich gehe es um eine möglichst rationale Lösung von Patientenproblemen, sagte Rebscher. Dazu sei ein geregeltes Verfahren zur Entwicklung und Umsetzung von Leitlinien und Standards notwendig. Die Selbstverwaltung müsse ferner ein flächendeckendes Qualitätssicherungsprogramm organisieren.
Bei der anstehenden Strukturreform bot Rebscher den Vertragsärzten die konstruktive Zusammenarbeit der Kassen an. Gelinge dies, könne man den stationären Sektor auch mehr als bisher auf den Prüfstand stellen.
Dr. Sabine Glöser

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Korzilius, Heike

Ressourcenverteilung: "Das Gesundheitswesen ist im Prinzip unersättlich"

in: Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 8 (26.02.1999), Seite A-457
POLITIK: Aktuell

Die meisten Industrienationen müssen ihre Gesundheitssysteme reformieren. Das Machbare mit begrenzten Mitteln zu finanzieren, gleicht einer Quadratur des Kreises.
Die Gesundheitsreform als ewige und unlösbare Aufgabe - diese Vorstellung dürfte der Alptraum jedes Gesundheitspolitikers sein. Glaubt man Prof. Dr. Uwe E. Reinhard, ist aber genau dies der Fall. "Jederzeit und überall sind die Menschen unzufrieden mit ihrem Gesundheitssystem. Auch die angeführten Mängel sind überall dieselben. Deshalb ist eine Gesundheitsreform nie erfolgreich abgeschlossen", lautet die These des Gesundheitsökonomen an der amerikanischen Universität Princeton. Reinhard sprach auf dem XII. Malente Symposium "Gesundheitssysteme am Scheideweg: Ausgleich zwischen individuellen Bedürfnissen und finanziellen Grenzen", das die Dräger-Stiftung Anfang Februar in Lübeck veranstaltet hat. Unbestreitbar ist, so Reinhard, daß die Gesundheitskosten weltweit einen immer größeren Anteil am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt (BIP) einnehmen. Dabei sei die Unzufriedenheit mit dem Gesundheitssystem unabhängig davon, wieviel ein Land für Gesundheit ausgebe. Die US-Amerikaner seien mit einem Anteil von rund 14 Prozent am BIP genauso unzufrieden wie die Briten, die sich ihre Gesundheit etwa die Hälfte kosten lassen. Eine wissenschaftlich fundierte Antwort auf die Frage, wieviel eine Nation für Gesundheitsleistungen ausgeben sollte, gebe es zudem nicht. Der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Florian Gerster sieht das eher pragmatisch: "Wir geben in Deutschland jährlich rund 450 Milliarden DM für Gesundheit aus. Wenn das nicht reichen soll, weiß ich nicht, was mit Geld bezahlt werden kann." Das Gesundheitswesen sei stark anbieterorientiert, wobei eine Ausweitung des Angebots zusätzliche Nachfrage auslöse. Erschwerend komme hinzu, daß es aufgrund des Informationsgefälles zwischen Arzt und Patient keine echte Konsumentensouveränität gebe. Eine solche Situation birgt Konflikte. Gesundheitsökonom Reinhard beschreibt dies so: Die Finanziers von Gesundheitsleistungen wittern stets Verschwendung - im deutschen gesundheitspolitischen Jargon: Wirtschaftlichkeitsreserven - auf seiten der Leistungserbringer, während diese über Unterbezahlung und Unterfinanzierung klagen. Dabei sei der Wert der "Ware Gesundheit" kaum zu beziffern. Wie Gerster diagnostiziert auch Reinhard ein Informationsgefälle zwischen Arzt und Patient, woran sich für ihn die Frage knüpft, ob die Ärzte wirklich wissen, was sie tun. Wissenschaftliche Studien hätten beispielsweise große intra- und internationale Unterschiede zwischen den Gesundheitsausgaben nachgewiesen, ohne daß sich diese Differenzen auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung auswirkten. Fehlende medizinische Standards führten hier zu Intransparenz und Unzufriedenheit. Zudem gebe es keine ideale Vergütungsmethode für ärztliche Leistungen: Die Einzelleistungsvergütung berge die Gefahr der Überversorgung, Kopfpauschalen die der Unterversorgung. Zahle man den Ärzten ein Gehalt, könne dies zu Unproduktivität führen. Über allem schwebe schließlich der Verdacht, daß die Patienten kollektiv finanzierte Systeme ausnutzen, indem sie Leistungen wahllos in Anspruch nehmen.
Markt als Problemlöser?
Allen Reformansätzen gemeinsam ist es deshalb laut Reinhard, den Akteuren im Gesundheitswesen größere Verantwortung für die Verwendung von Ressourcen zu übertragen. Die Idee, daß ein freier "Markt" die Probleme löst, verweist der Ökonom ins Reich der Theorie. Ein unkontrollierter Wettbewerb führe dazu, daß Gesundheitsleistungen rationiert würden. Rationierungskriterium sei die Zahlungsfähigkeit des einzelnen: "Man muß darüber nachdenken, ob dies in Deutschland jemals sozial akzeptabel wird, bevor man Marktmechanismen einführt." Effizienz, ein Schlagwort aller Reformdiskussionen, erhalte ihre Bedeutung erst im Hinblick auf ein definiertes Ziel. "Wenn das Ziel ein solidarisches Gesundheitssystem ist, wird jedes marktwirtschaftliche System ineffizient sein, weil es Solidarität und den gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen ausschließt", gibt Reinhard zu bedenken. Bei allen Reformüberlegungen gelte es, die Verteilungsgerechtigkeit zu berücksichtigen, wobei die Gesellschaft die Ziele vorgeben müsse. Solidarität und Marktmechanismen können nach Ansicht von Reinhard nur im kontrollierten Wettbewerb (managed competition) verbunden werden, wobei verschiedene Krankenversicherungsformen über Preise und Leistungen um Versicherte konkurrieren. Die Frage, inwieweit die Rationierung von Gesundheitsleistungen an die Finanzkraft des einzelnen geknüpft sein soll, hält Reinhard für legitim. Fragwürdig seien hingegen Reformvorschläge, die unter dem Motto "mehr Markt" oder "mehr Effizienz" nicht explizit auf das damit verbundene Problem der Verteilungsgerechtigkeit eingehen.
"Wir müssen nach Wegen der Ressourcenverteilung suchen. Die Zeiten voller Kassen sind vorbei", sagt auch Dr. med. Frank-Ulrich Montgomery, Präsident der Ärztekammer Hamburg. Das Grundproblem besteht für ihn darin, daß das Gesundheitswesen im Prinzip unersättlich ist. Der medizinisch-technische Fortschritt gehöre zu den klassischen Fällen additiver Investitionen, bei denen neue Verfahren die alten nicht ablösten, sondern hinzukämen. Die Rationierung medizinischer Leistungen ist nach Auffassung des Kammerpräsidenten jedoch Aufgabe des Staates. Seine Kritik: Die Politik entzieht sich der Verantwortung, wenn sie Rationierungsentscheidungen in die Selbstverwaltung - oder schlimmer noch - in die Arztpraxen verlagert. Klassisches Beispiel: das von der rot-grünen Bundesregierung diskutierte Globalbudget. Hier bestehe die Gefahr, daß der Arzt zum Vollstrecker politischer Rationierungsentscheidungen werde. Die Ärzte müßten als Anwälte ihrer Patienten fiskalische Grenzen so lange bekämpfen, wie sie enger gezogen seien als die ethischen und biologischen. Doch Montgomery räumt ein: "Die Kluft zwischen medizinisch Sinnvollem und infolge von Ressourcenknappheit nicht Machbarem wird wachsen." Gesundheitsminister Gerster hält die Frage: "Wo darf man rationieren?" für erlaubt. Am Grundsatz, daß Notwendiges über die Gesetzliche Krankenversicherung finanziert werden muß, will er jedoch festhalten. "Einen Paradigmenwechsel würde keiner mitmachen", ist der Minister überzeugt. Dennoch müsse man zaghaft darüber nachdenken, medizinisch Notwendiges und medizinisch Sinnvolles, das aber nicht notwendig sei, zu trennen.
Heike Korzilius

 

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Brech, Prof. Dr. med. Wolfgang; Bausch, Dr. med. Jürgen

Ambulante Versorgung: Die KBV will die Folgen der Budgetierung offenlegen

in: Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 9 (05.03.1999), Seite A-528
POLITIK: Aktuell

Weil die Politik weiterhin auf Budgets beharrt,
sollen die Kassenärzte nicht länger schweigen, sondern
ihre Patienten mit den Sachzwängen konfrontieren.
Um eine kontinuierliche medizinische ambulante Versorgung der Bevölkerung auch weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten, werden KBV und KVen auch gegenüber der neuen Regierungskoalition darlegen, daß dies in einem auf Solidarität gegründeten Gesundheitssystem durch sektorale Budgetierungen nicht mehr möglich ist. Wenn Patienten, ihrem Krankheitszustand angemessen, qualitativ hochwertig und auf der richtigen Ebene des Versorgungssystems - und das ist in der Regel (90 Prozent) die ambulante Behandlung - versorgt werden sollen, so müssen genau dort für diese Leistungen ausreichende Finanzmittel bereitgestellt werden. Dies gilt für die Vergütung der ärztlichen Leistungen ebenso wie für notwendige veranlaßte Leistungen. Stehen diese Finanzmittel wegen der politisch festgelegten strikten sektoralen Budgetierung nicht an der richtigen Stelle zur Verfügung, muß der Patient dort behandelt werden, wo die Mittel verfügbar sind, oder es muß zu einer Rationierung der Leistungen kommen. Niemand kann von einem Vertragsarzt erwarten, daß er für die notwendigen Arznei- und Heilmittel seiner Patienten, nur wegen zu knapp bemessener politischer Budgets, den das Budget übersteigenden Betrag aus seinem erarbeiteten Honorar finanziert.
Neben der politisch-argumentativen Auseinandersetzung mit der gesetzlich verfügten sektoralen Budgetierung ist es jedoch auch erforderlich, den niedergelassenen Ärzten im täglichen Umgang mit den gegebenen Rahmenbedingungen für die Versorgung ihrer Patienten Handlungshilfen bereitzustellen. Dies bedeutet nicht, daß diese Rahmenbedingungen damit anerkannt würden. Der Vorstand der KBV hat deshalb im Einvernehmen mit dem Länderausschuß beschlossen, Informationen und Handlungshilfen zur Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven auf der Basis der Arznei- und Heilmittel-Richtlinien, zu innovativen und teuren Versorgungsangeboten (verbunden mit der Frage, ob die Politik auf diese Versorgungsoptionen angesichts knapper Ressourcen zu verzichten gedenkt) und zum Stand der Budgetausschöpfung bereitzustellen.
Diese Informationen sollen die Vertragsärzte in die Lage versetzen, drohende Regresse mit allen negativen Folgen, auch für die Versorgung, zu vermeiden. Die KBV ist sich bewußt, daß der Vertragsarzt in der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben die Hauptlast zu tragen hat. Die Sorge, daß sich Kollegen auch durch "Marketing mit dem Rezeptblock" Vorteile gegenüber denjenigen verschaffen, die bereit sind, ihren Patienten die Notwendigkeit von Einschränkungen in der Versorgung zu vermitteln, wird durch die Einführung individueller Regresse relativiert. Leistungsausschlüsse konsequent realisieren
Eine wichtige Unterstützung für die politischen Bemühungen der Standesvertretung leistet jeder einzelne Arzt, wenn er nicht - wie in der Vergangenheit - versucht, möglichst geräuschlos und weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit die Versorgung auf einem halbwegs akzeptablen, medizinisch vertretbaren Niveau zu halten. Dies mit der begründeten Sorge, in der Zukunft doch noch zur Kasse gebeten zu werden. Jeder Vertragsarzt wird zukünftig gezwungen sein, konsequent alle gesetzlichen Leistungsausschlüsse und alle ihm von den Kassen und der Politik abverlangten Wirtschaftlichkeitsreserven bei der Behandlung seiner Patienten zu realisieren und sie zugleich auf diese politisch, nicht jedoch medizinisch begründeten Zwänge hinzuweisen. Handlungshilfen zum Umgang mit den Budgets
Die KBV wird zunächst im ersten Halbjahr 1999 etwa alle drei Wochen Handlungshilfen für den Vertragsarzt zum Umgang mit den Budgets und Richtgrößen in Form von Beilagen zum Deutschen Ärzteblatt zu den nachstehenden Themen aufbereiten:
c gesetzlich vorgegebene Leistungsausschlüsse
c Auswahl wirtschaftlicher Generika und Darreichungsformen und Umgang mit Kombinationspräparaten
c wirtschaftlicher Umgang mit Innovationen
c Umgang mit Verordnungswünschen und Krankenhausentlassungsrezepten
c konsequenter Einsatz von praxisinternen Positivlisten
c wirtschaftlicher Umgang mit Heilmitteln
c indikationsbezogene Beispiele zum zusätzlichen Finanzbedarf durch innovative Versorgungskonzepte.
Die Handlungshilfen basieren auf gesetzlichen Bestimmungen und den Arznei- und Heilmittelrichtlinien. Die Informationen werden auch auf den Internetseiten der KBV unter www.kbv.de veröffentlicht. Flankierend stellen die KVen Handzettel und Wartezimmerplakate für Patienten zur Verfügung. In der Patientenzeitschrift "medizin heute" werden die erzwungenen Versorgungseinschränkungen ebenfalls thematisiert und zielgruppengerecht dargestellt. Die einzelnen KVen begleiten die Aktion gegebenenfalls zusätzlich durch eigene Aktivitäten.
Sofern Sie sich als Vertragsärzte nach Gesetz und Richtlinien konsequent wirtschaftlich verhalten und
Ihnen von seiten der Krankenkassen oder der Politik der Vorwurf gemacht wird, die Versorgung nicht im gewünschten Umfang bereitzustellen, bitten wir Sie, uns dies schriftlich mitzuteilen und dabei "Roß und Reiter" zu benennen (KBV, Dezernat 4, Herbert-Lewin-Straße 3, 50931 Köln). Auf diese Weise kann sehr schnell deutlich gemacht werden, daß die Folgen politisch festgesetzter Budgets unter der übergeordneten Zielsetzung einer bedarfsgerechten und wirtschaftlichen Versorgung nicht ausreichend bedacht worden sind. Prof. Dr. med. Wolfgang Brech
Dr. med. Jürgen Bausch
Kassenärztliche Bundesvereinigung

 

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Jessen, Dr. Jens K.

Selbstbeteiligung: Noch nicht ausgereizt

in: Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 15 (16.04.1999), Seite A-960
POLITIK: Aktuell

Die Internationale Gesellschaft für Gesundheitsökonomie diskutierte in Mainz Regelungen zur Direktbeteiligung im Gesundheitssystem im internationalen Vergleich.


Vor 20 Jahren organisierte die Internationale Gesellschaft für Gesundheitsökonomie e.V. das erste Mal in der Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainz ein Symposium zu dem Thema "Selbstbeteiligung im Gesundheitswesen". Damals stritten Ärzte, Ökonomen und Politiker über das Für und Wider mit Verbissenheit und Grundsätzlichkeit. Am 18. März kam es zu einer erneuten Diskussion dieses Themas am gleichen Ort. Die Atmosphäre hat sich in den 20 Jahren völlig verändert. Wissenschaftler und Praktiker waren unter sich.
Rationales Verhalten
In seinem Statement wies der Vorsitzende der Gesellschaft, Prof. Dr. med. Hans Rüdiger Vogel, Frankfurt/Main, darauf hin, daß es heute in einem Großteil der Industriestaaten nicht mehr darum gehe, ob eine Selbstbeteiligung angezeigt ist, sondern wie diese Selbstbeteiligung in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) am besten integriert werden kann.
Das Grundproblem des Krankenversicherungsschutzes in Deutschland, so Prof. Dr. rer. pol. Peter Ober-ender, Ordinarius für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, sei zukünftig nicht die Verschwendung, sondern die vorhandene und ständig zunehmende Knappheit der Ressourcen. In den Vordergrund trete das Management des Mangels. Rationalisierung und Rationierung seien die Folge des Paradigmenwechsels in der Medizin: von der maximalen zur funktionalen medizinischen Versorgung. Konsequent folge daraus ein "duales Gesundheitswesen": auf der einen Seite der Solidarbereich (GKV) mit Fremdverwaltung und Regelleistungen, stabilen Beiträgen, Budgetierung und sehr begrenztem Wachstum, auf der anderen Seite die Eigenvorsorge mit Eigenverantwortung, Wahlleistungen, Wettbewerb und einem großen Wachstumspotential. Das rationale Verhalten der Beteiligten am Gesundheitswesen müsse durch eine fühlbare Selbstbeteiligung und die Honorierung der Leistungserbringer für den gesunden statt für den kranken Menschen gefördert werden. Oberender gibt der GKV eine Chance, wenn sie dem Zwang des Faktischen, das heißt der Finanzierbarkeit, angepaßt wird: Rationalisierung durch Ausschluß von nicht notwendigen Maßnahmen mit Hilfe individueller Anreize für ein sparsames Verhalten vor Ort (Haftungsprinzip) auf der einen Seite und Rationierung durch Ausschluß von wirksamen Leistungen im Rahmen von Warteschlangen (ohne Ausnahmeregelung).
Autonome Ausgabensteigerungen
Die Fortschritte der Selbstbeteiligung im internationalen Vergleich hat Dr. rer. pol. Markus Schneider, Geschäftsführer des Augsburger Beratungsinstituts Basys GmbH, aufbereitet. Zuzahlungsregelungen sind in Belgien, Frankreich, der Schweiz und den USA in das System eingebaut, um die Solidargemeinschaften vor Überforderungen bei ärztlicher Wahlfreiheit (das heißt: ohne Primärarztsystem) zu schützen. Großbritannien, Dänemark und die Niederlande verzichten teilweise auf Direktbeteiligungen, da sie zum Beispiel den Primärarzt als "Filter" für den Zugang zu den übrigen Sektoren des Systems benutzen. Die Belastung durch Selbstbeteiligung ist deshalb in diesen Ländern am geringsten. Allerdings sei auch in Primärarztsystemen eine hohe Selbstbeteiligung zu beobachten, wenn die Qualität beziehungsweise die Funktionsfähigkeit der nachgelagerten fachärztlichen Versorgung Mängel aufweise, so in Italien, Griechenland und Portugal.
Differenzierte Selbstbeteiligungsregelungen in Form prozentualer Zuzahlungen und Gebühren in nationalen Gesundheitsdiensten und Sozialversicherungssystemen orientierten sich an der Art der Leistung und an der Einflußnahmemöglichkeit durch den Patienten. Hier seien auch Härtefallregelungen üblich, damit der Versicherte eine notwendige und medizinisch begründete Leistungsinanspruchnahme nicht unterläßt.
In Systemen mit Risikosolidarität - private Versicherungssysteme, Managed Care - fallen überdurchschnittlich viele leistungsübergreifende Zuzahlungsregelungen auf. Die Art der Selbstbeteiligung, so Schneider, hänge von dem System der Gesundheitsversorgung ab. Davon abgekoppelt seien das Ausgabenniveau und das Ausgabenwachstum. Das werde nach Erkenntnissen von Basys stärker durch andere Faktoren als durch die Höhe der Selbstbeteiligungsbelastung bestimmt.
Diese empirischen Daten zu den Bestimmungsgründen und Wirkungen von Selbstbeteiligung wurden ergänzt durch Dr. rer. pol. Gerhard Brenner, Geschäftsführer des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung, Köln. Ziel einer Studie wissenschaftlicher Institute der Länder Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland, Niederlande, Dänemark, Finnland und Österreich war es, die patientenbezogene Wirkung von Zuzahlungen im Verhältnis zu den Preisen der Arzneimittel zu analysieren. Die Studie zeige eine große Variationsbreite der Selbstbeteiligung, so Brenner:
c feste Zuzahlung unabhängig von Packungsgröße und Medikament
c nach Packungsgröße gestaffelte, feste Zuzahlungen
c proportionale Zuzahlungen vom Marktpreis.
Hinzu kommt noch eine Reihe von Härtefallregeln, die zu einer Befreiung der Zuzahlung führen. Das Ergebnis der Untersuchung verdeutlicht, daß es eine große Bandbreite der Arzneimittelpreise und der Belastung der Patienten durch Zuzahlungen gibt. In Deutschland ist die Belastung durch Zuzahlungen für den Patienten auch 1999 noch relativ gering, die Arzneimittelpreise sind jedoch relativ hoch. In Großbritannien sind die Zuzahlungen hoch, die Arzneimittelpreise relativ niedrig. Ein Vergleich der Zuzahlungen sieht Finnland mit der höchsten Zuzahlung vorne, gefolgt von Dänemark, Großbritannien, Österreich, Deutschland, Frankreich, und Italien. Die Belastung finnischer Patienten ist im Vergleich zum italienischen Patienten viermal so hoch.
Schweiz und Niederlande
Prof. Dr. Heinz Schmid, Bern, erläuterte Aufgabe und Funktion der Selbstbeteiligung aus versicherungsmathematischer Sicht anhand der Franchise - ein fester Betrag in Franken - und prozentualen Zuzahlung an den maßgebenden Behandlungskosten, in der Regel mit einer Begrenzung unabhängig vom Einkommen, in der Schweiz. Anhand einer Vielzahl von Beispielen verdeutlichte er, daß Direktbeteiligungen das Kostenbewußtsein der Versicherten fördern und die Ausgabenentwicklung der Versicherungsträger dämpfen können. Die Direktbeteiligungen sollten dort zum Zuge kommen, wo der Versicherte die Art und Intensität der Behandlungen beeinflussen kann.
Aus den Niederlanden berichtete Dr. Diane Delnoij über den Sachstand und neuere Entwicklungen der Zuzahlungsbegrenzungen. Am 1. Januar 1997 wurde im niederländischen Krankenkassengesetz die allgemeine Selbstbeteiligungsregelung (AEB) eingeführt. Danach mußte der Versicherte 20 Prozent der Behandlungskosten für die medizinische Versorgung selbst übernehmen. Ausgenommen davon wurden die Behandlungskosten für den Hausarzt, Zahnarzt und den Geburtshelfer. Es gab noch eine ganze Reihe verschiedener Regelungen für Alte, Kinder und andere. Ziel der AEB-Regelung war die Verschiebung der Finanzierung zu den Versicherten hin. Eine Untersuchung führte zum Ergebnis, daß die Versicherten 1997 für AEB 600 Millionen Gulden bezahlt haben. Die Einnahmen der Krankenkassen sanken - die nominale Prämie der Versicherten wurde um 110 Gulden verringert - um 871,4 Millionen Gulden. Delnoij kam auf der Basis der Untersuchung zum Ergebnis: Ein Erfolg der AEB-Regelung wäre zu verzeichnen, wenn in die Selbstbeteiligung auch der Besuch des Hausarztes einbezogen worden wäre.
In Skandinavien selbstverständlich
Dr. rer. pol. Uwe K. Preusker, Helsinki, berichtete aus Skandinavien über die Wirkung der Selbstbeteiligung. Er stellte die Frage, ob der Wohlfahrtsstaat mit der Selbstbeteiligung vereinbar sei. Aufgrund seiner Kenntnis der Verhältnisse in Norwegen, Schweden und Finnland zog er das Resümee:
c Selbstbeteiligungen und private Finanzierung sind in Nordeuropa Tradition. Sie widersprechen dem Wohlfahrtsstaatsgedanken nicht.
c Steuerungsfunktion und soziale Komponente - Kinder- und Hochkostenschutz - stehen im Mittelpunkt. Dr. Jens K. Jessen


Tabelle Selbstbeteiligung in der Krankenversicherung im internationalen Vergleich
Land Arzneimittel ambulante stationäre
Versorgung Versorgung
Deutschland proportional diverse linear (mit oberer
(nicht linear) Kappungsgrenze)
Großbritannien fest* keine keine
Schweden linear linear linear
USA diverse diverse proportional (nicht linear)
* feste Zuzahlung unabhängig von der Leistungsmenge Quelle: Medizinische Welt, Heft 2/1999, S. 48

 

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Clade, Dr. Harald

Rehabilitation: Trotz enger Ressourcen: Es geht wieder aufwärts

in: Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 18 (07.05.1999), Seite A-1174
POLITIK: Aktuell

Nach den Ende 1996 einsetzenden drastischen Sparmaßnahmen in der medizinischen Rehabilitation ist inzwischen eine Trendumkehr eingetreten: Die Anschlußrehamaßnahmen steigen seit 1998 wieder.


Der Sektor der medizinischen Rehabilitation und der Anschlußheilbehandlungen (stationäre Maßnahmen) hat vor allem infolge des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes und des Beitragsentlastungsgesetzes in den Jahren 1996 und 1997 zu Umsatzrückgängen und -einbrüchen bis zu mehr als 30 Prozent geführt. Die Folge: Mehr als 180 Rehabilitationseinrichtungen und Kurkliniken mußten entweder kurzfristig schließen oder Kurzarbeit anmelden, Entlassungen vornehmen oder ihren Betrieb auf andere Zwecke umwidmen.
Inzwischen werden wieder mehr Anträge auf die Durchführung stationärer Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation gestellt, genehmigt und in Anspruch genommen. Ein Schlaglicht die aktuelle Situationsanalyse der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), die deren Präsident, Dr. jur. Herbert Rische, vor der Presse in Berlin erläuterte: Im Jahr 1998 sind die von der Bundesversicherungsanstalt finanzierten Anschlußheilbehandlungsmaßnahmen (Anschlußrehabilitation) gegenüber 1997 um acht Prozent gestiegen (neue Bundesländer: + 10 Prozent; alte Länder: + 7 Prozent). Allerdings basieren diese Zuwächse auf dem seit 1997 zurückgegangenen Ausgangsniveau.
Die Bundesanstalt "investierte" im vergangenen Jahr zur Finanzierung von Rehabilitationsleistungen ein Volumen in Höhe von 3,056 Milliarden DM. Das gesetzlich vorgegebene Budget ist damit fast exakt wie in einer "Punktlandung" (Herbert Rische) eingehalten worden. Die Ausgabenüberschreitungen und -unterschreitungen oszillieren um die Vorgabewerte um plus/minus zwei bis drei Prozent. Die BfA führte im Jahr 1998 rund 75 000 Anschlußheilbehandlungen durch. Wichtigste AHB-Indikationsgruppen sind wie bisher schon die Krankheiten der Bewegungsorgane (40 Prozent), onkologische Erkrankungen (22 Prozent), Herz-Kreislauf-Erkrankungen (20 Prozent) und neurologische Erkrankungen (10 Prozent).
Bei der Bundesversicherungsanstalt wurden im letzten Jahr im eigenen Zuständigkeitsbereich (das heißt ohne AHB-Maßnahmen, die im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen durchgeführt werden) rund 475 000 Anträge auf medizinische und sonstige Leistungen zur Rehabilitation gestellt (+ 18 Prozent).
Getrennte Wege: Kranken-/ Rentenversicherung
Allerdings hat das "Auftragsgeschäft" der Bundesversicherungsanstalt für AHB-Maßnahmen, die für die Krankenkassen durchgeführt werden, einen herben Rückschlag erlitten: Wie der BfA-Präsident berichtete, haben sich die gesetzlichen Krankenkassen aus dem gemeinsam mit der BfA bisher praktizierten Direkteinweisungsverfahren vollends zurückgezogen. Damit ist die unmittelbare Verlegung vom Akutkrankenhaus in eine Rehabilitationseinrichtung nicht mehr immer ohne verzögernde Zuständigkeitsprüfung gewährleistet. Eine lückenlose und unverzügliche integrierende Versorgung von bisher Akutkranken und Rehabilitanden wird aber von allen Rehabilitations-Experten dringend angeraten, unterstützt auch durch die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR), Frankfurt/ Main, die dies in dem zu Beginn der neuen Legislaturperiode konzipierten Positionspapier vehement forderte.
Seit einem Jahr gehen die Krankenkassen getrennte Wege und wenden ein eigenes Zuweisungsverfahren an - offenbar aus Autonomiebestrebungen und aus Kostendämpfungsgründen. Bei der Bundesversicherungsanstalt gingen deshalb die AHB-Anträge im Auftrag der Krankenkassen in den alten Ländern im Jahr 1998 um 28 Prozent, in den neuen Ländern sogar um 50 Prozent zurück.
Dagegen nahmen die Anträge auf ambulante/teilstationäre Maßnahmen stark zu, wenn auch auf niedrigerem Ausgangsniveau. Im Jahr 1998 gingen 7 500 Anträge bei der BfA ein (+ 43 Prozent gegenüber 1997). Bei den ambulanten und teilstationären Maßnahmen haben die Entwöhnungsbehandlungen einen überdurchschnittlich hohen Anteil.
Auch bei den berufsfördernden Leistungen gibt es einen leichten Zuwachs bei den Anträgen: 1998 waren es rund 61 000 Anträge, mithin zwei Prozent mehr als noch im Jahr 1997.
Bei den Patienten, die eine Anschlußrehabilitation durchliefen, hat sich die Gesamtdauer vom Beginn der stationären Akutbehandlung bis zum Ende der Maßnahmen deutlich verkürzt. Die akut-stationäre Liegezeit für sämtliche Patienten (AHB) im Jahr 1998 betrug 23 Tage - gegenüber 35 Tagen im Jahr 1992.
Auch hat sich die Verlegungszeit von der Akut- in eine Rehabilitationsklinik und -einrichtung seit 1992 fast halbiert; sie betrug im vergangenen Jahr im Durchschnitt aller Indikationen nur noch rund sechs Tage. Dies kann als ein weiteres Indiz für eine enger gewordene Verzahnung und eine bessere Kooperation von Akutkrankenanstalten mit Rehabilitationskliniken gewertet werden. Großen Anteil an den verkürzten Gesamtbehandlungsdauern hatten nach Darstellung der BfA auch die Reha-Einrichtungen: Die durchschnittliche Dauer einer Rehabilitationsbehandlung im AHB-Antragsverfahren der BfA betrug im Jahr 1998 noch 26,6 Tage (zwei Tage weniger als noch 1997 und sechs Tage weniger als 1992).
Einhellig kritisiert wird sowohl bei den Rentenversicherungsträgern als auch der Bundesarbeitsgemeinschaft sowie beim Bundesverband der Privatkrankenanstalten die vom Bundesgesetzgeber 1996 von vier auf drei Wochen verkürzte Regelverweildauer und die Verlängerung des Wiederholungsintervalls von drei auf vier Jahre. Die BfA hat sich darauf festgelegt, die Leistungen trotz der relativ starren gesetzlichen Rahmenbedingungen indikationsbezogen und medizinisch begründet weiterhin flexibel zu handhaben. Dies wird durch indikationsbezogene Verlängerungsbudgets der Kliniken ermöglicht.
Bei den Indikationen, die Ausschlag für eine AHB-Maßnahme gaben, handelt es sich zum größten Teil um gravierende, oft postoperative Krankheitsbilder, die in erheblichem Ausmaß zu einer Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit führen können. Ein Indiz für diese Entwicklung: Weniger als die Hälfte der AHB-Rehabilitanden des Jahres 1992 schieden in einem Zeitraum von fünf Jahren nach Beendigung der RehaMaßnahme endgültig aus dem Erwerbsleben aus. Mehr als 40 Prozent der Männer und 19 Prozent der Frauen waren lückenlos erwerbstätig, weitere 12 Prozent der Männer und neun Prozent der Frauen waren mit Unterbrechungen erwerbstätig.
In Zukunft will die BfA sowohl die Kooperationsverbünde verstärken als auch nicht mehr versorgungsnotwendige Reha-Betten kündigen. Davon könnten rund 6 000 Betten in Reha-Einrichtungen betroffen sein. Die Qualitätsstandards sollen verbessert und der Förderschwerpunkt "Rehabilitationswissenschaften" verstärkt werden. In den nächsten acht Jahren steht hierfür ein Gesamtfinanzierungsvolumen in Höhe von 80 Millionen DM zur Verfügung, das aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und von allen Rentenversicherungsträgern aufzubringen ist.
Neukodifizierung des Reha-Rechtes
In der Koalitionsvereinbarung vom Oktober 1998 wird künftig den Rehabilitationsmaßnahmen ebenso wie der Prävention ein deutlich stärkerer Rang eingeräumt. Nach der Devise "Rehabilitation vor Pflege und vor Rente" sollen sämtliche qualifizierten Maßnahmen forciert werden; dies ist auch die Forderung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und der Verbände der Rehabilitations-Einrichtungen. Bereits seit längerer Zeit plant die Politik eine völlige Neukodifizierung des Rehabilitationsrechtes in das Sozialgesetzbuch IX. Ziel ist es, stringentere Regelungen zu treffen und in allen die Rehabilitation betreffenden Sozialleistungszweigen einheitliche Vorschriften zu verankern. Namentlich der Bundesverband Deutscher Privatkrankenanstalten e.V. hat anläßlich seines Bundeskongresses am 29./30. April in Weimar an den Gesetzgeber konkrete Forderungen gerichtet:
Flexibilisierung der relativ starren dreiwöchigen Regeldauer für die Durchführung von RehabilitationsMaßnahmen und Anschlußrehabilitationsmaßnahme; Flexibilisierung des Wiederholungsintervalls nach ausschließlich medizinischen Erfordernissen und Indikationen.
Vermeidung des mißverständlichen und oftmals falsch gebrauchten Begriffes "Kur" im Leistungsrecht und statt dessen die Unterscheidung zwischen Vorsorge-, Kurations- und Rehabilitationsleistungen beziehungsweise von Maßnahmen zur Anschlußrehabilitation. Änderung der gesetzlichen Vorschriften, insbesondere der §§ 23 und 40 SGB V.
Flexibilisierung der Verweildauer nach medizinischen und ökonomischen Erfordernissen unter Beachtung der Notwendigkeit einer bedarfsgerechten und optimalen Patientenversorgung und der Kompetenz des behandelnden Arztes sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich. Entdeckelung des Budgets insoweit, daß sämtliche notwendigen Rehabilitationsmaßnahmen innerhalb des vorgegebenen Budgets durchgeführt werden können. Schaffung von Freiräumen durch die Ausgrenzung fragwürdiger Behandlungsmaßnahmen.
Verbesserung der Qualitätssicherung im Bereich der Rehabilitation durch entsprechende Bundesrahmenrichtlinien.
Überprüfung der Zuzahlungsregelungen im Bereich der medizinischen Rehabilitation. Harmonisierung der Vorschriften im Bereich der Renten- und Krankenversicherung.
Überprüfung des Grundsatzes der Einheitlichkeit und Gemeinsamkeit in der Gesetzlichen Krankenversicherung sowohl bei der Vereinbarung von Versorgungsverträgen als auch bei den Vergütungen.
Verstärkung und finanzielle Förderung der Aus-, Weiter- und Fortbildung in der Rehabilitation; Förderung der Rehabilitationsforschung und -wissenschaft. Dr. Harald Clade

 

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Glöser, Dr. Sabine

Gesundheitsreform 2000: Globalbudget weckt keine Zuversicht

in: Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 18 (07.05.1999), Seite A-1180
POLITIK: Aktuell

Auch das Globalbudget und Einkaufsmodelle für integrierte Versorgungsformen werden an den begrenzten finanziellen Mitteln der Gesetzlichen Krankenversicherung nichts ändern.


Die neue Bundesregierung will die Strukturen im Gesundheitswesen grundlegend ändern - einiges wird indes auch nach der "großen Reform" bleiben, wie es ist. Für den Knackpunkt hält Prof. Dr. Günter Neubauer, Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik in München, das Kernproblem, das auch nach der Gesundheitsreform 2000 bestehenbleibt: die Knappheit der finanziellen Mittel. Das ideologische Leitbild der Gesundheitspolitik habe sich nach der Bundestagswahl zwar geändert. Die neue Regierung setze auf Solidarität statt auf Selbstverantwortung. Doch der enge ökonomische Spielraum zwinge dazu, Prioritäten zu setzen. "Wir stellen uns der Ehrlichkeit nicht, daß dies immer auch Rationierung bedeutet", sagte Neubauer bei einer Euroforum-Konferenz Ende April in Düsseldorf. Die entscheidende Frage sei daher nicht, wie man die Knappheit der finanziellen Mittel aufheben könne, sondern vielmehr, wie und was man rationiere.
Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med. Lothar Krimmel, unterstrich dies. Im Gegensatz zur optimierten Individual-Medizin, sagte er, gebe es in der Gesetzlichen Krankenversicherung seit 1993 eine rationierte Budget-Medizin. Und die orientiere sich maßgeblich daran, die starren Budgets einzuhalten. Leitgedanke oder zumindest Konsequenz dieser BudgetMedizin sei es, auch unterhalb von Standards zu behandeln. Nämlich dann, wenn die Budgetgrenze erreicht sei.
Welche Folgen der "Budgetirrsinn" für die Kassenärzte in diesem Jahr habe, verdeutlichte er am Beispiel der Arznei- und Heilmittelbudgets. Die Kassenärzte allein müßten beispielsweise für den medizinischen Fortschritt, die Zunahme der Morbidität, die demographische Belastung und auch das Leistungsgebaren der Krankenkassen haften. Krimmel: "Das hat mit den tatsächlichen Verantwortlichkeiten nichts mehr zu tun." Die Folge sei, daß das Arznei- und Heilmittelbudget in den neuen Bundesländern Anfang Oktober aufgebraucht sei.
Einkaufsmodelle zersplittern die Versorgung
Das anstehende Gesetz soll jedoch mehr als bloße Kostendämpfung bewirken. Die Pläne der Regierungskoalition zielen nicht zuletzt darauf ab, die Machtverhältnisse im Gesundheitswesen zugunsten der Krankenkassen zu verschieben. Das angestrebte Einkaufsmodell bei integrierten Versorgungsformen lehnt Krimmel strikt ab. Es stehe dem Leitgedanken einer einheitlichen Versorgung diametral gegenüber. Risikoselektion und eine zersplitterte Versorgung wären unausweichlich. Zudem würden sich die Vertragsebenen und die Fremdkassenprobleme vervielfachen, die Gesamtvergütungen und die Arzneimittelbudgets der Kassenärztlichen Vereinigungen würden wegfallen. Statt dessen plädiere die KBV dafür, die Krankenkassenverbände zu verpflichten, Stukturverträge kassenartenübergreifend abzuschließen.
Ganz anders sehen das die Krankenkassenvertreter. Sie wollen Verträge über kooperative Versorgungsformen mit den Ärzten vor Ort schließen. Karl-Heinz Schönbach vom BKK-Bundesverband forderte eigenständige Vertragsrechte der regionalen ärztlichen Zusammenschlüsse. Der Gesetzgeber soll seiner Ansicht nach Mindestvoraussetzungen für die Vertragsfähigkeit ärztlicher Zusammenschlüsse festlegen und deren Rechtsformen und Geschäftsführungen normieren.
Kombinierte Budgets für kooperative Modelle
Die derzeit entscheidende Frage ist, in welcher Form integrierte Versorgungsformen unter einem Globalbudget gesteuert und finanziert werden können. Nach Schönbachs Vorstellungen sind kombinierte Budgets das Mittel der Wahl. Wie diese umgesetzt werden könnten, erklärte er so: Für die Versicherten, die sich für ein integriertes Modell entschieden haben, vereinbaren die Krankenkassen vor Ort ein aus den sektoralen Budgets abgeleitetes kombiniertes Budget als Obergrenze. Dazu werden die sektoralen Budgets um die Ausgabenanteile für die integrierten Leistungen bereinigt. Die durchschnittlichen Ausgaben je Versicherten werden für die teilnehmenden Versicherten nach den Merkmalen des Risikostrukturausgleichs gewichtet. Schönbach zufolge werden so Risikoverschiebungen zugunsten oder zu Lasten teilnehmender oder nicht teilnehmender Ärzte und Versicherter vermieden. In die kombinierten Budgets sollen seiner Ansicht nach Drittleistungen wie Arznei-, Heil- und Hilfsmittel soweit wie möglich einbezogen werden. Auf diese Weise werde eine medizinische und ökonomische Gesamtverantwortung ermöglicht.
Daß die anstehende Strukturreform nicht das Maß aller Dinge sein wird, daran ließ Prof. Dr. Günter Neubauer keinen Zweifel. "Im Jahr 2004 haben wir die nächste Gesundheitsreform", prognostizierte er. Von der jetzigen oder einer anderen Bundesregierung. Dr. Sabine Glöser

 

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Glöser, Dr. Sabine

Zweiter Ostdeutscher Kassenärztetag: Andrea Fischer erwägt "Sofortprogramm Ost"

in: Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 19 (14.05.1999), Seite A-1247
POLITIK: Aktuell

2 500 niedergelassene Ärzte haben sich in Leipzig gegen die Politik der rot-grünen Bundesregierung gewandt.


Endlich ein einheitliches Gesundheitswesen in Deutschland! Das haben die niedergelassenen Ärzte der neuen Bundesländer am 1. Mai im Leipziger Gewandhaus erneut eingefordert - von der Politik und insbesondere von Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer, die sich der Konfrontation mit den verbitterten Ärzten stellte. Die ostdeutschen Krankenkassen, lautet die Kernforderung, sollen für die medizinische Versorgung der Patienten in der Relation genauso viel Geld zur Verfügung haben wie die im Westen. Der Ostdeutsche Kassenärztetag stand daher unter dem Leitgedanken "Als Ost-Patient weniger wert!?". Initiiert und besser organisiert als 1998 wurde er von den Vorsitzenden der fünf Kassenärztlichen Vereinigungen der neuen Länder. Mit aller Schärfe hatten die ostdeutschen Vertragsärzte bereits im vergangenen Jahr darauf gedrängt, die sozialrechtliche Unterscheidung von Ost und West aufzuheben. "Heute treffen wir uns hier erneut", sagte der Vorsitzende der KV Sachsen, Dr. med. habil. Hans-Jürgen Hommel, "weil die soziale Mauer wächst und die Mittel, die in das Gesundheitssystem der neuen Bundesländer fließen, nicht mehr ausreichen." Von 1995 bis 1998 seien die Krankenkassenleistungen für die ambulante Versorgung in den alten Ländern um 7 Prozent, in den neuen Ländern nur um 1,9 Prozent gestiegen. Die Aufwendungen für den Versicherten im Osten lägen nur bei 75 Prozent des Westniveaus.
Enttäuscht und zornig zeigte sich der Vorsitzende der KV Mecklenburg-Vorpommern, Dr. med. Wolfgang Eckert, darüber, "wie die Politiker mit unseren Patienten und uns im Osten umgehen". In einer kämpferischen Rede ging er mit der rot-grünen Bundesregierung hart ins Gericht. Sie habe in unglaublicher Manier und hektischer Eile ein Vorschaltgesetz gezimmert, das "unsere schlimmsten Befürchtungen weit übertroffen hat". Er spielte damit vor allem auf die Abschaffung der Regelleistungsvolumina und die Wiedereinführung der Arznei- und Heilmittelbudgets an. Auf politischen Druck hin seien die Arzneimittelbudgets viel zu niedrig festgesetzt worden - obwohl der Arzneimittelverbrauch im Osten erwiesenermaßen höher sei. Eckert nannte die Gründe dafür: höhere Morbidität, schlechte Sozialstruktur, hohe Zuzahlungsbefreiung wegen niedriger Verdienste, Arbeitslosigkeit und geringe Selbstmedikation. Seiner Einschätzung nach werden in allen ostdeutschen Ländern Regresse fällig. Mecklenburg-Vorpommern läge bereits nach dem ersten Quartal dieses Jahres um 25 Millionen DM über dem Soll. Das Arzneimittelbudget, prognostizierte er, sei Mitte Oktober ausgeschöpft. "Wir Kassenärzte in Ostdeutschland versprechen Ihnen heute schon", rief er der Ministerin zu, "daß wir dann keine Rezepte auf unsere Kosten ausstellen werden."
Als besonders infam bezeichnete der Rostocker Allgemeinarzt die Reglementierung der ostdeutschen Praxisumsätze im Vorschaltgesetz. Danach errechnet sich die Gesamtvergütung 1999 aus der Höhe des Budgets 1997, zweimal addiert wird die bundesdurchschnittliche Grundlohnsummenentwicklung in 1998. Dennoch könne die Gesamtvergütung in den neuen Ländern 1999 bis zu 4,5 Prozent niedriger liegen als 1998 - in Mecklenburg-Vorpommern wären das 42 Millionen DM. Der Grund: Die Vertragsabschlüsse für 1998 mit einem Plus von 3,5 Prozent wurden nicht berücksichtigt. Zudem hingen die Transferleistungen von den Vertragsabschlüssen im Westen ab.
Die Schere zwischen Ost und West geht Eckert zufolge im Jahr 2000 noch weiter auseinander. Denn die möglichen Transferleistungen aus den West-KVen würden bei der Sockelberechnung der Gesamtvergütung nicht einbezogen. Durch die Regelungen im Vorschaltgesetz werde der Sockelbetrag für die Gesamtvergütung Ost im Jahr 2000 um 0,96 Prozent gesenkt, in den alten Ländern steige sie indes um 3,32 Prozent. Damit, erboste er sich, verstoße der Gesetzgeber gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes und den Einigungsvertrag. "Wenn Sie so weitermachen wollen, dann nehmen Sie doch unsere Praxen, bezahlen Sie unsere Schulden und lassen Sie uns von den Krankenkassen nach BAT anstellen", wandte Eckert sich an die Ministerin.
Die hohe Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern wird die Situation weiter verschärfen. Immer mehr GKVMitglieder würden zu nichtzahlenden Familienversicherten. Infolgedessen müßten die Ärzte mit weniger Mitteln die gleiche Zahl von Patienten behandeln. Für den KV-Vorsitzenden gibt es nur eine Konsequenz: Wenn die Politik die deutsche Einheit im sozialen Bereich nicht durchsetze, sagte er, solle sie einen Leistungskatalog Ost mit 25 Prozent weniger Leistungen vereinbaren - und dies den Patienten auch unumwunden sagen.
Patientenprotest gegen Zwei-Klassen-Medizin
In Mecklenburg-Vorpommern haben bereits 150 000 Menschen eine Initiative gegen die Zwei-Klassen-Medizin unterstützt, in Brandenburg 192 000. Eckert: "Noch ist dies nur eine Kampfansage an eine verfehlte Gesundheitspolitik. Wenn der soziale Sprengstoff zunimmt, kann das sehr schnell zu einer Kampfansage gegen eine ganze politische Richtung werden."
Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med. Winfried Schorre, bezeichnete die ökonomische Benachteiligung seiner ostdeutschen Kollegen als "schwerwiegende historische Ungerechtigkeit". Er forderte die Politik auf, einen gesamtdeutschen Risikostrukturausgleich einzuführen. Es sei nicht länger vertretbar und verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, monierte er, daß die Ostkrankenkassen von diesem Prinzip ausgespart werden. Das Finanzierungsdefizit der ostdeutschen Kassen sei neun Jahre nach der deutschen Einheit nicht mehr zu überdecken. Ein Grund dafür sei der auf zwei getrennte Versorgungsgebiete beschränkte Risikostrukturausgleich, der den Ost-Krankenkassen nur begrenzt zugute komme. Daran ändert Schorre zufolge auch das Finanzstärkungsgesetz nicht viel, durch das die Ost-Kassen zusätzliche Mittel erhalten, um Defizite abzubauen. Die KBV, stellte Schorre klar, habe den im Vorschaltgesetz erzwungenen, auf ein Jahr begrenzten innerärztlichen Gesamtvergütungsausgleich als Solidarbeitrag mitgetragen, damit die Honorarschere nicht weiter auseinanderklafft. Für ihn ist dies jedoch "eine Notlösung, die nicht prolongiert werden darf". Ernsthafte Lösungsansätze fehlten indes. Weder in den Eckpunkten noch in dem jetzt vorliegenden Arbeitsentwurf werde das Thema "Ostförderung" erwähnt.
Von Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer erwarteten die Ärzte vor allem eines: konkrete Maßnahmen und einen konkreten Zeitplan für die Gleichstellung des Ostens. Beides mußte sie ihnen schuldig bleiben: "Ich kann Ihnen keine Versprechungen machen, was ich in zwei, drei oder vier Jahren erreiche." Sie sei für die Finanzen der Gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt verantwortlich und müsse verschiedene Interessen berücksichtigen, betonte die Ministerin mehrmals.
Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung sollen künftig an der bundesdurchschnittlichen Entwicklung der Löhne und Gehälter ausgerichtet werden. Die Ost-West-Angleichung, darauf beharrte sie indes, könne nicht "von jetzt auf gleich", sondern nur schrittweise erfolgen. Buhrufe und Pfiffe waren die Antwort des Publikums - und die Ministerin hatte es schwer, ihre Rede zu Ende zu bringen. Immerhin: In der anschließenden Podiumsdiskussion sagte Andrea Fischer den Vertretern der Ost-KVen ein Gespräch zu, um über ein Sofortprogramm Ost für dieses Jahr zu reden.
"Wir werden dieses Versprechen sehr genau kontrollieren", kündigte der Vorsitzende der KV Brandenburg, Dr. Hans-Joachim Helming, an. Er wertete den Kassenärztetag als Erfolg. Die Ministerin habe den seit mehr als einem halben Jahr geforderten Gesprächstermin endlich zugesagt, und zwar kurzfristig. Dr. Sabine Glöser


2. Ostdeutscher Kassenärztetag: die Forderungen
- Gleiche Rechte, Chancen und Leistungen in ganz Deutschland.
- Aufhebung der unterschiedlichen Rechtskreise und Vollendung der Wiedervereinigung auch in der Gesetzlichen Krankenversicherung. - Angleichung der finanziellen Mittel für die ambulante Versorgung Ost an den entsprechenden Anteil in den alten Bundesländern. - Aufhebung aller Budgets, insbesondere der Arznei-, Verband- und Heilmittelbudgets.
- Erhalt der freien Arztwahl und der wohnortnahen und flächendeckenden Betreuung der Versicherten auf hohem Niveau und durch alle Facharztgruppen.
- Sicherstellung einer ebenso guten Versorgung der Patienten im Osten wie im Westen durch einen wirksamen Finanzausgleich.
- Erhalt des uneingeschränkten Sicherstellungsauftrags der Kassenärztlichen Vereinigungen, keine Einkaufsmodelle für die Krankenkassen.
- Öffentliche ethische Debatte über den sich verschärfenden Widerspruch zwischen Leistungsanspruch und den finanziellen Möglichkeiten.
- Erhalt der bewährten ärztlichen Selbstverwaltungsstrukturen und der Freiberuflichkeit aller Vertragsärzte.