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8.3.3.4. Die Dresdner Kapellknaben

Ein Vierteljahrhundert nach dem Tode von Heinrich Schütz (1672) erregte ein Ereignis die Dresdner Öffentlichkeit, das epochale Auswirkungen haben sollte: die Konversion des Kurfürsten Friedrich August II (genannt August der Starke) zum katholischen Glauben. Das wirkte sich natürlich auch auf die Kirchenmusik am Hof aus. Bestritten diesen Dienst in der dafür umgerüsteten Kapelle des Schlosses Moritzburg zunächst ausschließlich die meist evangelischen Hofmusiker, so ergaben sich für den entsprechenden Dienst in der ersten Katholischen Hofkirche, dem umgebauten Klengel’schen Hofkomödienhaus am Taschenberg, nach deren Einweihung am Gründonnerstag 1709 neue Bedingungen. Von den evangelischen Kapellknaben konnte der Dienst beim katholischen Hofgottesdienst nicht erwartet werden. Der König schickte deshalb den Jesuitenpater Elias Broggio in das benachbarte katholische Böhmen, um dort katholische Knaben anzuwerben. Er fuhr nach Mariaschein (heute Krupka) wo seine Verwandten Wilhelm und Oktavio Broggio auf Geheiß von Maria Anna v. Bleileben 1701 bis 1706 ein Gotteshaus errichteten. Von dem zum Kloster gehörenden Gymnasium holte er sangesfreudige Knaben nach Dresden.

Ein königliches Dekret, das "Reglements du Roi" für die königliche Kirche und Kapelle, regelte die Betreuung und den Dienst dieser Knaben, den sie im Herbst 1709 antraten. Sie wohnten bei den Jesuitenpatres und wurden von diesen auch in einer eigens für sie eingerichteten Lateinschule unterrichtet, die im heutigen St.-Benno Gymnasium weiterlebt. Eine Namensliste der Knaben gibt Auskunft darüber, woher sie kamen: Tetschen, Kamnitz, Schlakenwalde, Rumburg, Nixdorf usw. Sie nennt auch ihre Aufgaben: drei Diskantisten (Soprane), zwei Altisten, ein Tenor, zwei Violinisten und ein Organist. Ein Bassist fehlt. Vielleicht wurde diese Stimme von dem Praefectus musicae gesungen, vielleicht auch nur instrumental ausgeführt, denn auf einer der Werbereisen des Paters Broggio dürfte in Prag auch der Kontrabassist Jan Dismas Zelenka angeworben worden sein. Als solcher gehörte er zwar zur königlichen Kapelle, wird aber als Jesuitenzögling engen Kontakt zu den Patres und seinen Landsleuten im Kapellknabeninstitut gehabt haben. Manches seiner frühen liturgischen Werke hat er für diese kleine Besetzung komponiert, z.B. ein "Laudate pueri" in F Dur, in dem ein Bassist die den gesamten Psalmtext vortragenden Sänger mit einem ständig wiederkehrenden Ostinatomotiv "Laudate pueri" anfeuert. Violinen spielen die Singstimme über einem virtuosen Generalbaß mit, den Zelenka für sich selbst geschrieben haben dürfte. Dieser kleine, aber volle Chor hat neben dem Altardienst in den einfachen Hofgottesdiensten die Kirchenmusik ausgeführt. Einzelheiten haben die Tagebücher der Patres darüber leider nicht überliefert Man kann lediglich aus der Analyse erhaltener Kompositionen Rückschlüsse ziehen. Die Kirchenmusik bei den Festgottesdiensten, denen auch der König beiwohnte, ist von der Königlichen Kapelle sicher auch unter Mitwirkung der Kapellknaben ausgeführt worden.
Nicht zuletzt auch aus Gründen der Repräsentation des Hofes war man bemüht, erstrangige Musiker für die Leitung der Kapelle, als Instrumentalisten und als Sänger zu gewinnen. In Italien hatte der Sohn Augusts des Starken Johann David Heinichen und Antonio Lotti kennengelernt, vor allem aber Johann Adolf Hasse. Heinichen und Lotti traten 1717 in Dresden ihren Dienst an. Während Lotti schon nach zwei Jahren nach Italien zurückkehrte, blieb Heinichen bis zu seinem Tode 1729 in Dresden. Als Heinichen gegen Ende seines Lebens kränkelte, übernahm vertretungsweise Zelenka die Leitung der Hofkirchenmusik. Durch seine Studien in Prag, in Wien (bei J. J. Fux) und in Italien war er dafür bestens vorbereitet. Doch hat der sächsische Hof seinen Einsatz nicht gebührend belohnt. Die angestrebte Stelle eines Hofkapellmeisters wurde ihm vorenthalten. Lediglich den Titel eines Kirchenkompositeurs hatte man ihm zugebilligt Wolfgang Horn schreibt in seinem Umfangreichen Werk über die Dresdner Hofkirchenmusik: "Der Hauch von Tragik, der über Zelenkas Leben und Schaffen liegt, resultiert aus der Diskrepanz zwischen dem unermüdlichen Streben nach kompositorischer Vervollkommnung und entsagungsvoller Tätigkeit im Dienste der Hofkirchenmusik einerseits und dem Mangel an gebührender Anerkennung von seiten des Hofes andererseits. Zeitlebens mußte Zelenka die Stelle des Stellvertreters, ja Lückenbüßers spielen, dem jene Aufgaben zufielen, für deren Erfüllung die Favoriten zunächst Heinichen, später Hasse nicht zur Verfügung standen." Daß Zelenkas Werk erst heute angemessen gewürdigt wird, hat verschiedene Ursachen. Zum einen ist sein strenger Stil bald von dem damals moderneren Stil Hasses verdrängt worden, zum anderen dürfte seine Kompositionsweise den Musikern, vor allem aber den Sängern, manches abverlangt haben, was nicht leicht zu geben war. Daß seine Werke in der königlichen Musik Schatzkammer gehütet wurden, ist ein Zeichen der Wertschätzung. Aber so unter Verschluß gehalten, war seine Wiederentdeckung erst in unserer Zeit möglich. Auf seine "Missa Circum cisionis" hatte Karl Maria Pembaur in seinem 1920 erschienenem Heft "Drei Jahrhunderte Kirchenmusik am Sächsischen Hofe" durch einen Faksimile-Abdruck hingewiesen. 1958 führte Bruno Knauer diese Messe erstmalig in der Hofkirche auf. Heute gehört sie zum Repertoire des Kathedralchores und erklingt regelmäßig im Wechsel mit Messen anderer Meister zu Weihnachten. In liturgischen Vespern sind in den vergangenen Jahren auch mehrere Psalm-Vertonungen Zelenkas aufgeführt worden. Sie werden im Repertoire des Kathedralchores und der Kapellknaben immer einen bevorzugten Platz einnehmen. Den Bau der jetzigen Hofkirche wird Zelenka mit Interesse verfolgt haben, seine Vollendung aber und die Kirchweihe 1751 hat er nicht mehr erlebt. Er starb am 22 Dezember 1745 und wurde am Heiligen Abend auf dem Katholischen Friedhof an der Friedrichstraße beigesetzt. Die Grabstelle ist nicht mehr festzustellen. Unter sein Leben aber könnte man die Buchstaben setzen, die er gern unter seine autographen Partituren schrieb: A:M:D:G:V:M:OO:SS:H:AAque PP:i:R:
"Ad Majorem Dei Gloriam, Virgini Mariae, Omnibus Sanctis Honor, Augustissimisque Principibus in Reverentia" - "Zur größeren Ehre Gottes, der Jungfrau Maria, zur Ehre aller Heiligen und in Ehrerbietung gegenüber dem Fürstenhause".