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8.2.4. Ein Christkindl, das Pfarrer geworden ist

Ob im Riesengebirge oder im Bayerwald - für ihn ist Weihnachten das Fest der Feste

Von

Reinhold Steiml

Neureichenau. Ein Tag mit zwei Gesichtern wird es heute wieder sein für Rudolf Braun. Tagsüber werden sich die Gratulanten die Klinke in die Hand geben; abends, wenn die "stille Nacht" anbricht, wird er aber wohl allein daheim sitzen: Der Pfarrer im Ruhestand hat heute Geburtstag. Am Heiligen Abend. Ein echtes Christkindl.

Wenn es heute Abend wird, wenn in den Familien überall gefeiert wird, wenn das Christkind kommt, Bescherung ist, dann herrscht Stille im Haus Bahnhofstraße 4. Dann wird Rudolf Braun, der heute 80 wird, trotz der sicher zahlreichen Gratulanten, die es tagsüber gegeben haben wird, einsam sein. Und er wird unweigerlich zurückdenken an einen Schicksalsschlag vor zwei Jahren. Denn als er an Klaus Hoheisel, seinen Nachfolger, 1997 als Pfarrer von Neureichenau "übergeben" hatte, musste er auch das Pfarrhaus räumen und umziehen. Zusammen mit seiner Haushälterin Maria Schanzer, die 35 Jahre bei ihm war. Das Haus in der Bahnhofstraße hatten sie sich ausgesucht. In eine schmucke Wohnung wurde umgezogen. Doch dann passierte es: Kaum acht Tage im neuen Heim, noch nicht einmal richtig eingelebt, starb Maria Schanzer.

Sicher werden heute Abend Rudolf Brauns Gedanken auch an sie gehen, die ihm so lange so gut den Haushalt geführt hatte. Und vielleicht gehen seine Gedanken auch zurück ins Riesengebirge. Nach Groß-Aupa im Sudetenland.

Im 2000-Einwohner-Ort ist Rudolf Braun zusammen mit drei Geschwistern aufgewachsen. Er war das "Nesthäkchen" in der Familie. Der Vater war Waldarbeiter im Staatsforst. Sie wohnten im eigenen kleinen Häusl und führten nebenbei eine kleine Fremdenpension - für die "Sommerfrischler", wie damals die Touristen hießen.

Schnee hat's im Riesengebirge damals wohl genau so viel gegeben wie im Bayerwald. Und auch arme Familien. Dazu zählten die Brauns nicht. "Aber bescheiden gelebt haben wir schon", erinnert sich Rudolf Braun. Der Vater hat draußen im Wald sogar am Hei-ligabend manchmal noch bis Einbruch der Dunkelheit arbeiten müssen. Ein karger Christbaum, eine kleine Krippe und große Kinderaugen hat es alle Jahre gegeben. "Aber Geschenke wie heute? Die gab's damals nicht. Winterschuhe, gestrickte Socken, warme Winterwäsche - das war's, was wir damals gekriegt haben", sinniert er. Auch der Nikolaus hat damals nie etwas dabei gehabt außer ein paar Nüssen und seinen Sack. "Da hab ich nie 'rein müssen, ich war ja ein ganz Braver", schmunzelt Rudolf Braun. Als der Vater dann gestorben ist - da war der kleine Rudolf gerade mal zehn Jahre alt - musste man sich noch mehr einschränken. Nicht nur an Weihnachten.

Bei diesen Erinnerungen - der Pfarrer i. R. blättert dabei im Album mit alten Fotos - glänzen die Augen. Vor allem, als er an einen Gang zur Christmette denkt. Denn einmal war es, dass ganz unverhofft auf dem Weg zur Kirche sein Bruder auftauchte. Er hatte - als Soldat - Urlaub bekommen und war gerade noch rechtzeitig zur Mette heimgekommen. Was damals Rudolf nicht wusste, keiner wusste: Es sollte das letzte Zusammentreffen sein. Denn beide Brüder von Rudolf Braun sind aus dem Krieg nicht mehr zurückgekommen.

Zu jenem Zeitpunkt war Rudolf Braun schon Theologiestudent. In Maria-Schein besuchte er ein Jesuitengymnasium, 1939 machte er dann in Teplitz-Schönau das Abitur. Das Priesterseminar in Leitmeritz an der Elbe endete - mit einer Krankheit. Zwei Jahre lang litt Rudolf Braun an einer Wirbelsäulenverletzung. Genesen machte er mit Eifer weiter - nun in Prag.

Dass er nach Passau kam, verdankt er einer tschechischen Ordensschwester. Von ihr hatte er in den Wirren der Vertreibung eine Ausreisegenehmigung erhalten. Das war 1945. Der 7. April 1947 war dann ein Meilenstein: Rudolf Braun wurde zum Priester geweiht. Tittling, Vilshofen, Regen waren Stationen - bis er am 2. Juni 1955 als Pfarrer nach Neureichenau gekommen ist.

"Ich war fremd hier", sinniert er. Aber nicht lange. Das lag an den Gläubigen, die ihren neuen Pfarrer annahmen. Und das lag auch an Braun, der für seine neue Heimat mit allem, was er hatte, eintrat. Zunächst als Priester. Pfarrhofumbau, Kirchensanierung, neue Glocken, Leichenhaus, Kindergartenbau... - die Liste ist lang. Dann auch als Gemeinderat. Drei Perioden gehörte er dem Gremium an und er bewies Weitblick zum Wohle der Bürger.

Und dann war da ein Tag im Jahre 1962, der - dank "Christkindl" Braun - noch heute Auswirkungen auf Neureichenau hat. Durchaus positive. Denn dass heute das Parat-Werk Schönenbach am Ort ist, dort 450 Leute ihr Geld verdienen - da hat auch Braun seine Finger mit im Spiel gehabt. "Der reine Zufall", erinnert er sich an den Tag, als ihn zwei Auswärtige auf der Straße anhielten und ausfragten. Über Land und Leute. Es waren die Gebrüder Schönenbach, die Ausschau hielten nach einem geeigneten Standort für ihr Parat-Werk. Rudolf Braun erkannte die einmalige Chance, schilderte die Menschen hier als bereitwillige gute Arbeitskräfte, von denen die meisten aufgrund fehlender Arbeit freilich Fernpendler waren.

Er gewann die Schönenbachs für sich. Er stellte einen Anbau beim alten Pfarrhof zur Verfügung - und in Neureichenau war Parat geboren. Was heute daraus geworden ist, das zeigt sich mit den imposanten Fabrikationshallen am Ortseingang. Nicht umsonst hat ihn die Gemeinde zum Ehrenbürger ernannt, nicht umsonst Deutschland mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt, nicht umsonst der Siedlerbund seinen Mitstreiter hoch dekoriert.

Wichtig ist dem "Neu-Achtziger", dass sich die Gemeinde gut weiterentwickelt hat. Dass es den Menschen gut geht. Dass in den Familien, Dörfern und Vereinen harmonische Gemeinschaften bestehen.

Dass Weihnachten heute mancherorts zur "Geschenkorgie" verkommen ist, damit kann er sich nicht so recht anfreunden. Doch was können die Kinder, die Eltern dafür? "Die Zeiten sind einfach anders geworden", meint er. "Technik, Industrie, Spielzeug, alles überschwemmt uns", so der Pfarrer i. R. (der so "im Ruhestand" eigentlich gar nicht ist, denn noch immer hält er zur Unterstützung von Pfarrer Hoheisel Messen, sei es für die Senioren oder den Kindergarten, der ihm immer am Herzen gelegen ist). Aber trotz der Hektik in der "staaden Zeit" sieht er gerade bei den Waldlern, dass Weihnachten hier noch immer hoch im Kurs steht: "Schenken hin, schenken her: Es ist bei unseren Menschen hier immer noch das Fest der Feste, wenn Jesus diese Welt betritt!"

Und so wird er - selbst ein Christkind - in der Stille seiner Wohnung das Christkind begrüßen. Und vielleicht mit seiner 90jährigen Schwester in Ering am Inn telefonieren, um sich mit ihr zurück zu erinnern an Weihnachten einst, als sie noch Kinder waren, damals drinnen im Riesengebirge...

Quelle: Passauer neue Presse vom Freitag, 24. Dezember 1999 Waldkirchen; Datenbank PNP.