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3.3.1.   Das staatliche Gesundheitssystem

Die Makroallokationsebene liegt wie für Public Health Systeme charakteristisch auf der Ebene der Politik. Das Ziel dürfte dabei zum einen wie in Großbritannien eine utilitaristische Maximierung des Gesundheitszustandes sein. Zum anderen spielt jedoch in der trotz allem nach wie vor egalitaristisch orientierten norwegischen Gesellschaft der Egalitarismus im Zugang und der Verfügbarkeit von  medizinischen Leistungen eine wichtige Rolle. Vor diesem Hintergrund spielen ethische und Gerechtigkeitsdiskussionen eine wesentlich größere Rolle, besitzen nach meinem Eindruck auch teilweise noch die Macht, sich gegen ökonomische Zwänge durchzusetzten. Dies ist aber sicher auch durch die größeren finanziellen Spielräume Norwegens möglich, so werden beispielsweise Ausbildungsplätze für Ärzte im Ausland[29] gekauft. Auch auf die Mikroallokation nimmt die Politik mit Hilfe von Vorgaben für Kategorien für Wartelisten Einfluß.

Durch den Personalmangel und die geringe Bevölkerungsdichte findet Rationierung aber auch bereits auf der Ebene der Hausärzte statt. Diese befinden sich zwar nicht in einem solch krassen Loyalitätskonflikt wie ihre britischen Kollegen, können aber auch nicht immer voll Anwälte ihrer Patienten sein, da dies bei ihnen oft mit dem Interesse eines Feierabends und damit auch ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit kollidiert. Deshalb müssen Hausbesuche, die allgemein sehr zeitaufwendig sind, beispielsweise oft abgelehnt werden, auch wenn sie für den Patienten beispielsweise angenehmer und eventuell für dessen Gesundheit auch förderlicher wären als ein Besuch der Sprechstunde. Dennoch der Rationierungsgrad ist auf Ebene der Hausärzte nach meinem Wissen sehr gering, weshalb es dafür nach meiner Meinung kaum feststellbare Prinzipien gibt. Als einziges Prinzip kann ich eine größtmögliche relative[30] Chancengleichheit der Patienten auf die für sie bestmögliche Behandlung sehen. Die Entscheidungskompetenz trägt hier der Arzt selbst oder sein Personal.

Auch für Facharztbehandlungen, aber besonders für Krankenhausaufenthalte gibt es Wartelisten. Um hier gewisse Mindeststandarts und eine gewisse Gleichheit zwischen den Patienten zu erreichen, wurden mit der „Forskrift om Ventetidsgaranti“[31] vom 1.7.1997 Garantien zur Behandlung bestimmter Patientengruppen, die ebenfalls durch die Vorschrift bestimmt werden, eingeführt. Dies wurde möglich, da man dabei ist, die freie Krankenhauswahl einzuführen. Diese Vorschrift besagt in §7 daß jeder Patient[32] der an ein Krankenhaus oder ein Facharztzentrum[33] überwiesen wird, innerhalb von 30 Tagen dort die Möglichkeit einer Eingangsuntersuchung erhalten muß. Innerhalb von drei Monaten nach der Überweisung muß der Patient eingehend untersucht und behandelt werden „wenn folgende drei Kriterien erfüllt sind:

1.      Der Patient muß einen klar voraussehbaren und deutlichen Verlust von Lebensdauer oder Lebensqualität haben, wenn die Behandlung ausgesetzt wird, das heißt

·      eine wesentlich verkürzte Lebenszeit

·      wesentliche Schmerzen oder Leiden  große Teile des Tages oder

·      wesentliche Probleme in Verbindung mit vitalen Lebensfunktionen, wie Nahrungsaufnahme oder Toilettenbesuch

2.      Es liegt eine gute Dokumentation dafür vor, daß Lebenslänge oder Lebensqualität

·      durch aktive medizinische Behandlung wesentlich verbessert werden können

·      sich ohne Behandlung wesentlich verschlechtern kann

·      oder daß wesentliche Behandlungsmöglichkeiten durch eine Verzögerung verspielt werden.

3.      Die erwarteten Resultate in einem akzeptablen Verhältnis zu den Koste stehen.“[34]

Die Akzeptanzgrenze beim dritten Kriterium ist allerdings sehr hoch und mir ist bei meinen Recherchen kein Fall bekanntgeworden in dem eine Aufnahme in die Behandlungsgarantie wegen dieses Kriteriums abgelehnt worden ist. Die ersten beiden Kriterien werden auch in der Begründung der Vorschrift gegenüber dem dritten als Hauptkriterien bezeichnet. Die Wartezeitgarantie ist Teil des Systems von Wartelisten, die an jedem Krankenhaus geführt werden. Bei der Aufnahme in die Wartelisten gilt dabei ein Dringlichkeitsprinzip, daß besagt: Erste Priorität haben Patienten, die unmittelbar Behandlung brauchen, die Notfälle. Zweite Priorität mit der Garantie einer Behandlung innerhalb von 3 Monaten haben Patienten, die die oben genannten Kriterien erfüllen. Es wird allerdings diskutiert, ob diese Wartezeit zumindest vorübergehend auf 6 Monate erhöht werden soll. Die dritte Gruppe von Patienten kommt auf „offene Warteliste“, dabei wird allerdings angestrebt daß sie innerhalb von einem Jahr behandelt werden sollen, was in ca. 90% der Fälle auch möglich ist. Dieses System basiert auf der Triage, die damit als Alltag angesehen werden kann. Es wird in verschiedene Dringlichkeitskategorien eingeteilt, die Entscheidungskompetenz für diese Einstufung in Dringlichkeitskategorien kommt dabei dem aufnehmenden Arzt zu, der hier meiner Meinung nach trotz Rationierung durch die ihm vorgegebenen Kriterien für die Einstufung Anwalt des Patienten sein kann. Und nicht ständig andere Patienten im Hinterkopf haben muß. Es wird von ihm einzig erwartet, sich an die ihm vorgegebenen Regeln zu halten.

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