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2.2.3. Unsichtbare Kirche ? - Die notae ecclesiae

Ein eigener Abschnitt findet sich über die notae ecclesiae, die "Kennzeichen der Kirche", Joest verweist darauf, daß man in der reformatorischen Theologie bereits früh erkannte, daß die Gemeinschaft der Glaubenden nicht identisch ist mit der Menge der Getauften. So kommt er zu den Begriffen der unsichtbaren und sichtbaren Kirche. In der katholischen Kirche hingegen sieht der Darstellung gemäß die Situation anders aus: Schon durch den Empfang der Sakramente und durch einen Glauben, der vor allem Gehorsam gegen die Lehren der Kirche ist, ist man Teil der als Heilsgemeinschaft verstandenen Kirche. Sichtbar wird danach die Kirche in ihrer Struktur. Von dieser Position aus mußte sich reformatorische Theologie mit dem Vorwurf einer spirituellen, unfaßbaren Kirche auseinandersetzen. Diesem Vorwurf widerspricht CA V: Es gibt sehr wohl Anhaltspunkte um festzustellen, wo Kirche "im eigentlichen Sinn"[29] stattfindet, denn der durch den heiligen Geist gewirkte Glaube ist nur da wo entsprechend der Schrift gepredigt und die Sakramente verwaltet werden. Dort wo dies geschieht, findet man auch die Gemeinschaft der Glaubenden. So sind Wort und Sakrament sowie nach altreformierter Auffassung auch "die über die Reinheit des Lebens wachende Ausübung der Kirchenzucht"[30] Kennzeichen der Kirche, also notae ecclesiae.

Für die Reformatoren ging von Anfang an der Bereich der Gemeinschaft der Glaubenden über die reformierten[31] Kirchen hinaus, so sahen sie auch trotz der dort "verdunkelten" " notae" in der römisch-katholischen Kirche Glieder der wahren, durch die notae ecclesiae gekennzeichneten Kirche. Dies macht einmal mehr deutlich, daß die Reformatoren nicht an ein dauerhaftes Bestehen von Konfessionen dachten, sondern die gesamte katholische Kirche in ihr verändern wollten.

 

Die notae ecclesiae bestimmen aus reformatorischer  Sicht, was Kirche ist. Die Gemeinschaft der Kirchen bezeichnen wir als Ökumene. Warum gibt es in den evangelischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche ein unterschiedliches Verständnis von Ökumene? Ich finde einen Ansatzpunkt zur Beantwortung dieser Frage im Abschnitt über die notae ecclesiae. Die Kirchen der Reformation kennen neben ihrer sichtbaren, erkennbaren und auch konfessionell geprägten institutionellen Kirche noch eine unsichtbare Kirche, die über den institutionellen Rahmen hinausgeht. Dabei sind die unsichtbare und die wahre  Kirche nicht dasselbe, auch wenn dies bei Joest in diesem Abschnitt so nicht deutlich wird. Durch ein über die sichtbare Kirche hinausgehendes Verständnis von Kirche wird es möglich, in einem ganz neuen Sinn von der Gesamtheit der Glaubenden, der Gesamtheit der Kirche, der Ökumene zu sprechen. Die römisch-katholische Kirche hingegen versteht sich als die katholische, allumfassende Heilsgemeinschaft, Heilsinstitution, außerhalb derer für sie lange Zeit überhaupt keinerlei Heil vorstellbar war. Sie kennt keinen über die eigene Institution hinausgehenden Kirchenbegriff und kann deshalb auch nicht an einem solchen teilhaben.

Die notae ecclesiae, die für die reformatorischen Kirchen die Kennzeichen einer über ihre eigenen Institutionen hinausgehenden unsichtbaren und trotzdem bestimmbaren Kirche sind, müssen demnach für diese aber auch Kriterien dafür sein, ob mit anderen Glaubensgemeinschaften eine Zusammenarbeit im Rahmen der Ökumene möglich ist. Die notae ecclesiae als Kennzeichen der unsichtbaren Kirche erlauben es evangelischen Kirchen, auch die römisch-katholische Kirche als Kirche zu sehen, selbst wenn diese mit ihnen nicht so verfährt.

Da Wort und Sakrament die gemeinsamen notae ecclesiae sind, wird in diesem Zusammenhang auch das Streben der protestantischen Kirchen verständlich, trotz unterschiedlicher Auffassungen über das genaue Geschehen und die exakte Bedeutung, eine Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft zu haben. Dies spiegelt sich in den Erklärungen zu diesem Thema wider.

Was bedeutet "Kirchenzucht "als nota ecclesiae? Kirchenzucht hat als Ziel die Einhaltung und Achtung von kirchlichen Lebensordnungen durch die Kirchenglieder. Sie geschieht eher allgemein und mahnend durch die Predigt, die die Menschen in ihren Lebenssituationen ansprechen und zu einem dem Evangelium entsprechenden Leben rufen soll. Um dies durchzusetzen, beinhaltet die "Kirchenzucht" auch ein sanktionierendes Element: die "Amtszucht", durch die kirchliche Amtshandlungen und Rechte verweigert werden können. Da die "Kirchenzucht" auf ein dem Evangelium entsprechendes Leben ausgerichtet ist und die "Amtszucht" als verantwortungsvolle Verwaltung der Sakramente verstanden werden kann, steht sie nicht in Konkurrenz und Widerspruch zu den anderen beiden notae . Eine zu restriktive Kirchenzucht, die über das, was man als verantwortungsvolle Sakramentsverwaltung bezeichnen kann hinausgeht, steht in Konkurrenz zu den anderen notae  und kann zur Sektenbildung führen. Viele Sekten zeichnen sich unter anderem durch eine restriktive "Kirchenzucht" aus, hinter der dann zumindest eine der beiden anderen, lutherischen notae  stärker zurückbleibt. Versteht man nach reformiertem Verständnis die Kirchenzucht als dritte nota ecclesiae, so ist meiner Meinung nach, wesentlich stärker als beim lutherischen Verständnis auf eine richtige Gewichtung der einzelnen notae  zu achten.

Die notae ecclesiae müssen in ihrer Bindung an das Evangelium aber immer auch Prüfsteine für die reformatorischen Kirchen selbst sein.

 

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