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2.3.2. Die pietistische Erweckungsbewegung als Gegenbewegung

Gegen diese Auswanderungen aus der Kirche und die damit einhergehenden Auflösungserscheinungen formierte sich ab etwa 1800 mit der pietistischen Erweckungsbewegung eine Gegenbewegung. Sie suchte nach intensiveren Glaubenserfahrungen und bildet zumeist innerhalb der Kirchen eigene Gruppierungen[35]. Es gab aber auch Auswanderungen in Sekten. Diese entstanden meist aus dem Bedürfnis nach einem noch intensiveren Gemeinschaftserlebnis.

Diese Bewegung  führte nach Joest auch zu einer theologischen Rückbesinnung auf die Bekenntnisse. Damit ging auch eine lebhafte Diskussion um die Bedeutung des Amtes einher. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts erschienen deshalb viele Schriften zu diesem Thema unter anderem von August Vilmar und Theodosius Harnack.

Joest schreibt auch von einer späteren, gegen den "Neuprotestantismus"[36] gewandte Rückbesinnung im Kirchenverständnis. Er verweist dabei auf die besonderen Auseinandersetzungen in Deutschland nach 1933.

Nach Joest ist auch das Auftreten einer lutherisch-hochkirchlichen Strömung eine Folge dieses Nachdenkens. Diese Strömung führt zu einer Annäherung an die römisch-katholische Kirche, man sieht die Kirche auch als "Heilsanstalt" [37],nicht nur als Gemeinschaft der Gläubigen, das Amt wird als striktes Gegenüber zur Gemeinde gesehen und man denkt auch wieder über die apostolische Sukzession nach. Zum Abschluß verweist Joest noch auf die größere Bedeutung dieser Strömung in der anglikanischen Kirche.

 

Da der Pietismus gerade vor unserem sächsischen Hintergrund nach wie vor eine wichtige Rolle spielt, begrüße ich diesen Abschnitt außerordentlich. Gerade in stark pietistisch geprägten Landstrichen finden wir auch heute oft noch fast volkskirchliche Strukturen, die oft durch einen großen Zusammenhalt in den Gemeinden gekennzeichnet sind und sich dort in einer Vielzahl von Kreisen, regerer Beteiligung am Gottesdienst und Gemeindeveranstaltungen sowie einer aktiven Mitarbeit in christlichen Vereinen und Gruppen widerspiegeln.

Der Pietismus verstand sich im 19. Jahrhundert als Erneuerungsbewegung, die innerhalb der Kirchen eigene Gruppen bildeten, die nach besonderen Glaubenserfahrungen suchten. Ein Beispiel für solche Gruppen ist auch heute noch die "Landeskirchliche Gemeinschaft" oder - wesentlich problematischer - die "Lorenzianer". Doch mit diesen Gruppen, die sich oft als die wirklichen oder wirklicheren Christen verstehen, stellt sich die Frage, ob es solche Gruppen, die manchmal auch einen etwas exklusivistischen Anspruch haben, quasi eine Kirche in der Kirche, geben darf ? Evangelisches Kirchenverständnis läßt dies, wie ich meine, eigentlich nicht zu. Es gibt nur eine (unsichtbare) Kirche, eine Gemeinschaft aller Glaubenden. Das heißt, sobald ein exklusivistischer oder  besonders heraushebender Anspruch hinzutritt, wird der Rahmen reformatorischen Kirchenverständnisses verlassen, einzig Gruppen ohne besonderen, speziell auf diese Gruppe bezogenen Anspruch sind beispielsweise zur Pflege besonderer Traditionen zulässig. Mit dieser Begründung sehe ich auch das Entstehen von vielen Freikirchen und Sekten aus dem Bereich des Pietismus.

Was bedeutete der Pietismus für das Amtsverständnis? Der Pietismus kennt in einem relativ großen Maße Laienprediger und theologische Laienbildung. Dadurch verlor das Amt an Autorität und es wurde von den Gemeinden stärker als Teil, denn als Gegenüber der Gemeinde empfunden, auch wenn sich dies nicht immer mit dem Verständnis des Amtsinhabers deckte.

Was bedeutete die von Joest beschriebene Rückbesinnung auf die Bekenntnisse und die lutherisch-hochkirchliche Strömung?  Die Rückbesinnung auf die Bekenntnisse führt zum einen zu einer gewissen Resistenz gegen die Veränderungen der Zeit und schützt vor Modeerscheinungen und dem Verlassen des Auftrags und der Kennzeichen der Kirche. Zum anderen bringt sie aber auch durch die konfessionellen Bekenntnisse eine Verstärkung des Konfessionalismus. Da das Luthertum stärker in der Tradition der katholischen Kirche lebt als die reformierten Kirchen, dürfte so auch seine hochkirchliche Strömung zu erklären sein, die ja bis heute lebendig ist. Ein durch die Rückbesinnung auf die Bekenntnisse entstandener Konfessionalismus kann so wie jeder andere aber beim Zusammengehen von verschiedenen Konfessionen in Unionen oder in der Ökumene problematisch werden, denn er kann ein solches Zusammengehen oder eine volle Kirchen- bzw. Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft nicht mittragen. Auch bei anderen Veränderungen, wie der Frauenordination sind Probleme oft vorprogrammiert. Das kann zu Spannungen bis hin zur Abspaltung führen. Ein klassisches Beispiel hierfür sind die Altlutheraner, die SELK.

 

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