3. Der Abschnitt "3. Das Amt in der Kirche" im Paragraphen 25 "Geistliche Realität und institutionelle
Ordnung der Kirche"
Anliegen diese Abschnittes ist es, das Verständnis des Amtes als eines der wichtigsten Probleme des ökumenischen Dialogs näher zu beleuchten.
Aus den neutestamentlichen Zeugnissen, besonders dem Pfingstgeschehen, heraus stellt Wilfried Joest fest:
Die Gemeinde hat als Ganze mit allen ihren Gliedern den Auftrag und die Vollmacht das Evangelium zu bezeugen. Das Wirken des Heiligen Geistes erstreckt sich auf alle Gemeindeglieder, alle sind "pneumatikoi". Für den Autor ist es ein grundsätzliches Merkmal des Neuen Testamentes, daß alle nun unmittelbaren Zugang zu Gott und zum "Heiligtum"[40] haben, daß es keines Mittlerdienstes mehr bedarf. Er verweist auf die Bedeutung des großen Schrittes, der damit gegangen wurde. Allerdings räumt er ein, daß neben diesem allgemeinen, freien Zugang zu Gott von Anfang an besondere Dienste bestanden haben. Es wird besonders darauf verwiesen, daß in denn Schriften des Neuen Testamentes allerdings nicht von einem Amt sondern von einer Vielzahl von Ämtern ausgegangen wird.
Die Gemeinde mit allen Mitgliedern braucht danach, um ihren Auftrag zu erfüllen, die besonderen Ämter. Damit diese Ämter wiederum ausgefüllt werden können, werden einzelnen Gliedern der Gemeinde von Gott besondere Charismen gegeben.
Für Joest ist deshalb die Frage eine falsche Alternative, ob die Ämter direkt von Christus eingesetzt worden sind, oder ob sie von der Gemeinde zur Erfüllung ihrer an einzelne Mitglieder übertragene Funktionen sind. Er kommt zu dem Schluß, daß die Gemeinde nicht aus sich heraus etwas delegiert, sondern nur das wahrnimmt, was ihr von Gott an ihre Glieder gegeben wird. Durch diese Gaben sind diese Glieder mit besonderen Aufgaben auch nicht einer Gemeindemehrheit verpflichtet oder an deren Voten gebunden.
Die weitere Entwicklung stellt sich jedoch anders dar: Durch die ersten Jahrhunderte hindurch entwickelte sich ein Priestertum, das sich durch Weihen mit sakramentalem Charakter von der übrigen Gemeinde immer mehr abhob. So fiel diesem Priestertum eine besondere heilsvermittelnde Vollmacht zu, die insbesondere die Sakramentsverwaltung und die Entscheidung über die Wahrheit von verkündigter Lehre exklusiv für sich beanspruchte. Dadurch konnte es zu einer Unterscheidung von Laien und Klerus komme, so daß das Amt nun nicht mehr als Teil der Gemeinde, sondern als ihr Gegenüber verstanden werden konnte, in dem Christus selbst seiner Gemeinde präsent ist. Joest verweist darauf, daß sich trotz der Neuakzentuierungen im II. Vatikanum in der römisch-katholischen Kirche nichts wesentlich verändert hat. Er geht auch auf die wohl an die römisch-katholische Tradition anknüpfende Sonderstellung des ordinierten Amtsträgers in den lutherischen Kirchen ein. Dies wird zwar nicht mehr durch eine Weihe, aber durch eine besondere Berufung begründet. Diese besondere Berufung wird besonders dann, wenn sie in Rückbeziehung auf die Berufung der Apostel durch Jesus geschieht, von Joest abgelehnt. Er verweist darauf, daß auch ein Verständnis des Amtes als Gegenüber zur Gemeinde dennoch existiert, räumt aber auch die größere Offenheit der theologischen Diskussion im evangelischen Raum ein.
Joest geht hier von einer eindeutig evangelischen Position aus. Für ihn ist die Möglichkeit eines jeden Gläubigen, direkten Zugang zum Heiligtum, zu Gott, zu haben, fest verbunden mit der eigentlich unwiderruflichen Aufhebung eines vermittelnden Amtes, eines Priesteramtes. Das bedeutet für ihn die Aufhebung jeden Unterschiedes zwischen Geistlichen bzw. Ordinierten und Laien, obwohl sich nach meinem Ermessen das Verständnis des evangelischen Pfarramtes als eines besonderen Amtes bzw. Dienstes wesentlich von dem eines heilsvermittelnden Priesteramtes unterscheidet. Somit wird der direkte Zugang des Glaubenden zu Gott durch einen Ordinierten nicht behindert oder beschränkt. Joest entwickelt jedenfalls ein Modell der Übertragung von Ämtern durch die Gemeinde an von Gott mit besonderen Gaben ausgestattete Glieder. Durch diese Gaben seien diese Glieder dann wiederum nicht von Gemeindevoten und -mehrheiten abhängig. Er entwickelt also Ämter, die aus der Vollmacht der Gemeinde heraus durch direkte Gaben Gottes relativ autonom innerhalb dieser Gemeinde stehen.
Dieses Modell ist nach meiner Meinung aus den Schriften heraus sicher entwickelbar[41] und mit ihnen vereinbar, es ist wahrscheinlich auch für weite evangelische Kreise deshalb akzeptabel. Es ist im in evangelischen Kirchen sicher auch praktikabel, dürfte jedoch, wie Joest später[42] selbst anklingen läßt, besonders im lutherischen Bereich auch auf Widerspruch stoßen.
Das Modell widerspricht jedoch grundsätzlich dem römisch-katholischen Amtsverständnis und seiner Tradition. Dieses Verständnis geht von einem Priesteramt aus, das durch seinen Anteil an der Vollmacht der heilsvermittelnden Institution Kirche der Gemeinde gegenübersteht. Joests Modell würde so einem Treffen in der Mitte, wie er es noch im vorherigen Paragraphen anstrebt widersprechen. Mit einem solchen Modell kommt man einer Einigung wohl kaum näher.
Es sei denn, Joests Interesse liegt auf einem anderen Gebiet bzw. einem Weg: Wenn er mit seiner Darstellung besser verständlich machen will, wie einzelne Positionen entstanden sind und beabsichtigt, so den Dialog zu erleichtern. Sein Modell erleichtert dann das evangelische Amtsverständnis und besonders, wie ich meine, auch das nicht explizit erwähnte reformierte besser zu verstehen. Auch die Besonderheiten des Luthertums werden durch seine Anknüpfung an den Katholizismus verständlicher. Das katholische Verständnis nimmt dann aber nur einen geringen Raum in der Darstellung ein.
In der Anknüpfung des lutherischen an das römisch-katholische Amtsverständnis deutet Joest übrigens an, daß die Ordination auch als eine Art "Ersatzweihe" (miß)verstanden werden kann.
Im zweiten Teil des Abschnittes setzt sich Joest mit der Besonderheit der besonderen Dienste auseinander. Er beurteilt jeden exklusiven Vorbehalt geistiger Vollmachten für einen Amtsträger als Fehlentwicklung, da durch die "Aufhebung des Unterschiedes zwischen 'Geistlichen' und 'Laien' in der Gemeinde des neuen Bundes .... verdunkelt"[43] werde. Er sieht die Aufgabe der besonderen Dienste in der Aktivierung aller Gemeindeglieder.
Daraufhin stellt sich allerdings für ihn die Frage, was denn dann das Proprium, das Eigene des Amtes oder besonderen Dienstes sei:
Die Vollmacht der Wortverkündigung lehnt er ab, da gerade die Verkündigung auf das Zeugnis nicht ordinierter Christen angewiesen sei.
Auch die Vollmacht, von Sünden loszusprechen, lehnt er als Proprium ab, da die Lossprechung auch in der Aussprache von Bruder zu Bruder geschehen könne.
Selbst die Aufsicht über Lehre und Evangelium lehnt er ab, da dies ja nach Paulus auch durch die gesamte Gemeinde erfolgen könne.
Er akzeptiert somit nur sachliche, verwaltungsmäßige Proprien und lehnt jegliche geistliche Exklusivität ab.
Für Joest liegt das Proprium des Amtes im Verantwortungsbereich. Es ist die gesamte Gemeinde, nicht nur der persönliche Verantwortungsbereich eines Einzelnen. So obliegt dem Amt die Verantwortung für das Leben und die Einheit der gesamten Gemeinde. Dies allein kann Joest als Proprium des Amtes verstehen. Alles andere lehnt er als "quasi-ontologisch"[44] ab. Für ihn stellt sich so nicht die Frage nach dem besonderen Vorbehalt, sondern nach der besonderen Aufgabe des Amtes. Damit ist Christus nicht durch das Amt, sondern nur durch dessen, ihm nicht exklusiv vorbehaltenen, Handlungen präsent.
Um der Vielfalt der Dienste willen möchte Joest nicht von dem einem Amt sprechen, auch wenn dies dem monarchischen Gemeindeepiskopat und dem lutherischen Bild des Pfarrers als Hirten widerspricht. Diese sieht er nämlich nur als Ergebnisse der Zeit. Für ihn hat vielmehr die Vielzahl der neutestamentlichen Ämter normativen Charakter gegen jedes Gesetz, das nur ein Amt vorsieht. Er sieht so auch eine Überordnung des Pfarramtes über die anderen Ämter, die nicht unbedingt den neutestamentlichen entsprechen müssen, nicht als vorgegeben an. Für ihn liegt die Zukunft des Gemeindepfarramtes in seiner Verantwortung für die Gemeinde als Ganzes. Die Zukunft der Ämter insgesamt liegt danach in ihrer Zusammenarbeit, die aber keine "exklusive Führungsaristokratie" herausbilden darf. Ämter sollen die Gemeinde aktivieren. Wichtig ist Joest, daß so die Aufhebung des Unterschieds zwischen "Geistlichen" und "Laien" nicht verdunkelt wird.
Joest entwickelt hier ein Verständnis des Amtes, das sich nach meinem Empfinden wohl am ehesten noch mit dem reformierten des dreigliedrigen Amtes vereinbaren läßt, dem lutherischen, besonders CA V und XIV, jedoch stark und dem katholischen grundsätzlich widerspricht. Die Nichterwähnung lutherischer Bekenntnisschriften, zumal sie nach meiner Meinung [45] seinen Ansichten entgegenstehen, widerspricht nach meinem Empfinden dem sonst üblichen Vorgehen Joests.
Er ordnet für mich der grundsätzlichen Verneinung jeden Unterschiedes zwischen "Geistlichen" und "Laien" alles unter.
Sicher, die starke Unterscheidung von "Laien" und "Ordinierten" gerade in lutherischen Kirche geht sicher oft zu weit, gerade wenn man es im wahrsten Sinne des Wortes "evangelisch" sieht. Aber ist es deshalb gerechtfertigt, gerade die Besonderheit des Pfarramtes einzig und allein in dessen besonderen Aufgabenbereich zu sehen ? Wie verhält es sich dann aber mit den besonderen Pfarrämtern, bei denen man dann manchmal wirklich sehr weit ausholen müßte, um eine "Gemeinde" als Aufgabenbereich festzumachen ?
Eine Gemeinde lebt nur im Miteinander, nie im Gegeneinander. Aber auch einer gewissen Ordnung in geistlichen Dingen bedarf die Gemeinde, sonst droht sie nur zu leicht in Sekten zu zerfallen.
Die Zukunft des Pfarramtes kann sicher, und da gebe ich Joest recht, nur in der Aktivierung anderer Dienste liegen. Ich kann ihm darin zustimmen, daß das Pfarramt eingebettet sein muß in die Gemeinschaft anderer Ämter und der gesamten Gemeinde, um seinem Auftrag gerecht zu werden. Seine Besonderheit aber allein im Umfang seiner Verantwortung zu sehen, so weit kann ich nicht mitgehen. Ich denke, das Amt ist weder nur Gegenüber, noch nur Teil der Gemeinde, es enthält nach meinem Empfinden Elemente von beidem. Dies findet sich auch bei Luther[46]. So kann ich auch annehmen, daß Christus nicht im Amt an sich, sondern in den in der Regel von diesem vollzogenen sakramentalen Handlungen präsent ist. Gleichzeitig bejahe ich, daß jeder Gläubige direkten Zugang zu Gott hat, verneine jedoch das trotz des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen keinerlei Unterschied zwischen "Geistlichen" bzw. "Ordinierten" und "Laien" besteht, er liegt jedoch nicht auf der Ebene der Zugangsmöglichkeit zu Gott. Der Unterschied findet sich für mich zumindest in der besonderen Beauftragung durch die Ordination und in der damit verbundenen Beauftragung und Berechtigung zur Sakramentsverwaltung, die in Joests Betrachtung der Proprien keine Erwähnung findet. Dabei erkenne ich an, daß auch die Ordination nur iure humano ist, die aber, wie die CA sagt, etwas regelt, das zu regeln ist.