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2. Der Paragraph 24- "Überlieferte Gestalten und neuere Abwandlungen des Kirchenverständnisses"

2.1. Das Kirchenverständnis der katholischen Tradition

Joest sieht den Beginn der Entwicklung eines eigenen katholischen Kirchenverständnisses in Form eines Dogmas oder einer lehramtlichen Entscheidung erst mit der Reformation und dem Anspruch anderer Gemeinschaften Kirche Christ zu sein, als gegeben. Allerdings räumt er ein, es habe bereits im dritten Artikel des Apostolikums die Formulierung eines Kirchenverständnisses gegeben, dieses sei allerdings von den anderen Kirchen in einem anderen als dem römischen Sinn aufgenommen worden. Wichtige Eckpunkte der Entwicklung eines römisch-katholischen Kirchenverständnisses sieht Joest im I. Vatikanum, der Enzyklika "Mystici corporis"  und dem II. Vatikanum. Er meint, daß sich das Kirchenverständnis der Ostkirche unter Ausklammerung des Papstamtes mit dem des römischen Katholizismus decke.

 

Diese Darstellung wirft für mich historische Fragen auf, die der Autor nicht beantwortet: Warum bestand erst zur Zeit der Reformation die Notwendigkeit der Entwicklung eines über das Apostolikum hinausgehenden Kirchenverständnisses? Bereits vor der Reformation gab es unterschiedlichste mehr oder minder von der Kirche unabhängige Gruppen, die das Apostolikum für sich in Anspruch nahmen. Als Beispiel sei hier nur die Bewegung eines Jan Hus genannt. Als Argument könnte nun ins Feld gebracht werden, daß man es mit der Reformation zum ersten Mal mit einer dauerhaften, überregionalen und breitenwirksamen Bewegung zu tun hatte, die den Anspruch vertrat Kirche Christi zu sein und sich des Apostolikums bediente. Allerdings gab es spätestens seit 1054 eine von Rom unabhängige Kirche, die ebenfalls den Anspruch hatte "die eine, heilige, katholische ... Kirche"[3] zu sein. Das heißt, es gab bereits 500 Jahre, bevor nach Joest die Formulierung eines katholischen, über das Apostolikum hinausgehenden Kirchenverständnisses begann, eine  von Rom unabhängige Kirche, die orthodoxen Nationalkirchen. Deren Kirchenverständnis soll allerdings nahezu vollständig, mit Ausnahme des Papstamtes, mit dem der römisch-katholischen Kirche übereinstimmen. Diese Argumentation erscheint mir nicht zuletzt unter Berücksichtigung des Verhaltens der orthodoxen Kirchen im Kontext der Entwicklungen der Ökumene und des politischen Einflusses der letzten zehn Jahre zumindest hinterfragbar.

Durch das I. Vatikanum und die Konstitution "Pastor aeternus", die die Unfehlbarkeit des Papstes festschrieb, wurde die römisch-katholische Kirche als "Papstkirche" geprägt. Dieses Verständnis der Kirche und des Papstamtes war jedoch für einige nicht tragbar, so kam es zur Entstehung der Alt-Katholischen Kirche. Das Konzil konzentrierte die römisch-katholische Kirche noch stärker als bisher auf das Amt des Papstes und seinen jeweiligen Amtsinhaber. Auf dem II. Vatikanum versuchte man dann die der so entstandenen Amtszentriertheit durch eine Akzentverschiebung hin zu mehr Kollektivität entgegen zu wirken. Doch dies blieb nur Empfehlung ohne bindenden Charakter. Seine Bedeutung sehe ich vor allem in der Anerkennung anderer Kirchen als christusgläubige Gemeinschaften.

 

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