Beitragsseiten

 

 

2.1.3. Neue Akzente

Unter seinem Unterpunkt 1.3.-"Neue Akzente" - geht Wilfried Joest in Paragraph 24 seiner Dogmatik auf jüngere Entwicklungen im Bereich der römisch-katholischen Kirche ein und schließt gleichzeitig seine Betrachtungen über das Kirchenverständnis in dieser Kirche vorläufig ab.

Wichtige Impulse gehen für Joest dabei vom zweiten vatikanischen Konzil aus, das für ihn in verschiedenen Bereichen unter biblischer Begründung Umakzentuierungen vorgenommen hat, ohne sich dabei allerdings gegen die Tradition zu stellen. So verweist er darauf, daß in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche von 1964 die Kirche in der Gemeinschaft von Priestern und Laien als Volk Gottes bezeichnet wird. Dies wirkt sich für ihn bis in das Geschehen der Echaristiefeier hinein aus: Nicht der Priester vollzieht die Eucharistie für die Gemeinde, die sie nur empfängt, sondern Gemeinde und Priester vollziehen dies mit unterschiedlichen Aufgaben gemeinsam. Somit gewinnt  nach Joest das Amt die Qualität und das Verständnis eines Dienstes an der Gemeinschaft, ohne daß deshalb die hierarchische Ordnung der römisch-katholischen Kirche angetastet wird.

Außerdem regte das Konzil nach Joest an, daß, ohne daß der Papst in seinen Rechten eingeschränkt  werden kann, er das höchste Lehramt gemeinsam mit den Bischöfen wahrnehmen soll.

Auch das Verhältnis zu den anderen Kirchen hat sich nach der Darstellung Joests geändert.  Sie sind zwar keine Kirchen, aber immerhin auch nicht grundsätzlich häretisch und können durchaus Elemente des Christusglaubens enthalten. Selbst Elemente christlicher Frömmigkeit kann man wieder in ihnen finden. So wird auch den Mitgliedern anderer christusgläubiger Gemeinschaften ein Anteil am Heil Christi zugebilligt, auch wenn weiterhin ein Defizit bei den Sakramenten und deren Gnadenvermittlung besteht.

Joest verweist in diesem Zusammenhang auf den dabei im Hintergrund stehenden Gedanken, daß alle diese Gemeinschaften in die römisch-katholische  "heimgehören"[14] und auch zurückkehren werden.

 

Dieser Abschnitt stößt für mich zwei Fragen an:

Die erste ist, was die Veränderung des Verhältnisses von Priestern und Laien bedeutet  und bewirkt?

Seit etwa den 50er Jahren läßt sich für mich eine Veränderung durch den  Begriff des "gemeinsamen  Priestertums"[15] festmachen. Er zielt auf eine stärkere Einbeziehung von Laien in die heilsvermittelnde Kirche hin. Dies läßt sich in der von Joest erwähnten Akzentverschiebung bei der Eucharistie belegen, die der Priester nicht mehr für die Gemeinde, die nur Empfänger ist, vollzieht, sondern gemeinsam mit ihr.

Auch im institutionellen und strukturellen Bereich lassen sich Entwicklungen erkennen:

Die Zeit des II. Vatikanums kann man aus heutiger Sicht als eine Zeit des ökumenischen Aufbruchs bezeichnen, auf den leider wieder eine Verfestigung der römisch-katholischen Positionen zu folgen scheint oder eventuell auch folgen muß.

Dennoch lassen sich Veränderungen in der katholischen Kirche, natürlich nationalen Prägungen entsprechend, aufzeigen. Besonders in den westeuropäischen Kirchen haben die Kirchengemeinderäte durch das Verständnis von Kirche als Volk Gottes in Gemeinschaft von Laien und Priestern erheblich an Bedeutung gewonnen. Zwar besitzt in der Regel nach wie vor der ranghöchste Geistliche das alleinige Entscheidungsrecht über die Belange der Gemeinde, jedoch herrscht heute in der Kirche ein Klima, das es ihm kaum noch erlaubt, von diesem Recht ohne Zustimmung des Kirchengemeinderates Gebrauch zu machen. Allerdings bereitet dies Priestern, die aus Kirchen kommen, in denen die Priester nach wie vor sehr mächtig sind, oft Probleme, wenn sie beispielsweise von Polen nach Westeuropa kommen und es plötzlich mit selbstbewußten Laien in der Gemeinde zu tun haben.

 

Die andere Frage stellt sich gerade für mich als Protestanten: Was bedeutet die Anerkennung als christusgläubige Gemeinschaften ?

Die Einschätzung anderer Kirchen als christusgläubige Gemeinschaften eröffnete einen neuen Weg im ökumenischen Gespräch, ohne sie wären Papiere wie "Lehrverurteilungen - kirchentrennend?", die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre mit all ihren Schwierigkeiten, oder andere gemeinsame Erklärungen wohl nur sehr schwierig zu realisieren gewesen. Diese Akzeptanz als christusgläubige Gemeinschaften  eröffnete also auch (höchst) offizielle Möglichkeiten des Dialogs mit anderen "Kirchen". Ich denke eine Anerkennung auf niedrigerem Niveau war schon allein deshalb notwendig, um die Kluft zwischen kirchlicher Praxis im Alltag, wie sie sich z.B. unter den Zwängen der DDR vollzog, und den Lehren der Kirche nicht zu groß werden zu lassen.

Ein Problem für viele Protestanten ist die Erwartung der Heimkehr in die römisch-katholische Kirche, wenn schon nicht durch Aufgehen der anderen Kirchen in ihr, so doch wenigstens durch Unionen mit Rom.

Dies stößt bis heute vielen Protestanten unangenehm auf. In den Debatten der lutherischen Kirchen zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre war im Angesicht des Inhalts dieser Erklärung ein wichtiges Argument gegen diese Erklärung, das damit ein erster Schritt in Richtung Vereinnahmung der lutherischen Kirchen gegangen werde, deren unausgesprochenes Ziel wohl letztlich eine Union der Lutheraner mit Rom sei.

Diese Befürchtungen führten zusammen mit der Unnachgiebigkeit der römisch-katholischen  Kirche in einigen Fragen und dem daraus resultierenden Gefühl, "über den Tisch gezogen geworden zu sein", in einigen Kirchen zur Ablehnung der Erklärung. Ich denke, bis zu einem echten Miteinander ist es für und mit der römisch-katholischen Kirche noch weit. Bis man einmal eine gegenseitige Anerkennung beispielsweise von Ämtern erreichen kann, dürfte es, wenn es überhaupt jemals möglich sein sollte, noch ein sehr langer Weg sein.

In diesem Abschnitt erkennt man meiner Meinung nach, daß er vor der Diskussion um die Erklärung zur Rechtfertigungslehre entstanden ist, da man in ihm keine Hinweise auf die "Querelen" um sie und die Herauszögerung ihrer Ratifizierung findet, auf die Joest sonst sicher eingegangen wäre, aber er zeigt deutlich Veränderungen bzw. Akzentverschiebungen in der römisch-katholischen Ekklesiologie an.

 

Anhänge:
DateiBeschreibungErstellerDateigröße
Diese Datei herunterladen (HSASYP99.pdf)HSASYP99.pdfals PDFMichael Hoffmann174 KB