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2.2. Das Kirchenverständnis der reformatorischen Theologie

2.2.1. Kirche - die durch das Wort Gottes gezeugte Gemeinschaft der Glaubenden

Das reformatorische Kirchenverständnis hat für Wilfried Joest zwei wesentliche Quellen, dies sind zum einen  die "Cofessio Augustana" (CA), die hier besonders hervorzuheben ist, und zum andern sind dies die "Schmalkaldischen Artikel". Die Grundaussagen sind für ihn CA VII und der Schmalkaldische Artikel XII.  Daneben verweist er auf die Aufnahme der Aussagen aus dem Credo[16], die die Kirche als "una, sancta, perpetuo mansura"[17], als "eine, heilige, ewig bleibende" qualifizieren. Die Kirche wird nur als Gemeinschaft der Glaubenden verstanden, dies wird auch in Abgrenzung zur römisch-katholischen Kirche dargestellt. Kirche ist danach gleichzusetzen  mit Gemeinde, über ihr ist allein Christus. Joest sieht darin und in der Abkehr von einer hypostatischen Präsenz Christi in der Kirche eine "Vermenschlichung"[18] der Kirche. Er sieht dies als Gegenmodell zur Verrechtlichung und Hierarchie der mittelalterlichen Kirchen. Den Beleg findet er bei Luther im Schmalkaldischen Artikel XII.

Dennoch gibt es vermittelnde Elemente: die Predigt des Evangeliums und die dem Evangelium, dem Neuen Testament, entsprechenden Sakramente. In diesen Größen, der Predigt und den die Glaubenden mit Christus verbindenden Sakramenten, sagt Christus sich selbst zu, er ist in ihnen gegenwärtig. Joest verweist darauf, das darin Christus selbst handelt und nicht die Kirche allein in seinem Auftrag. Er erläutert, daß Glaube in der Annahme dieser Größen geschieht. Weil Kirche durch die Verbindung der Glaubenden in diesem Glauben entsteht, kommt ihr seiner Meinung nach die Bezeichnung "creatura verbi", "Schöpfung des Wortes", zu. Die Kirche ist für ihn  "Raum"[19] nicht Subjekt dieses Geschehens, die Menschen sind darin nicht Mittler, sondern Werkzeug des Geschehens, Werkzeuge Christi. Nicht die Menschen bewirken etwas, sondern  Gott bewirkt durch sie.

In einem sich anschließenden Exkurs geht Wilfried Joest auf die Position der römisch-katholischen Kirche zu diesen Lehren nach dem II. Vatikanum ein. Dabei stellt er fest, daß die reformatorischen Lehren wohl in weiten Bereichen mitgetragen werden könnten, findet jedoch auch wichtige Konfliktpunkte: So müßte die römisch-katholische Kirche wohl ergänzen, daß die kirchliche Lehre Kriterium, was für uns zu Gottes Wort wird, und die Spendung durch das bevollmächtigte kirchliche Amt Kriterium für die Begegnung mit Christus im Sakrament ist. Dies aber gerade widerspricht der reformatorischen Theologie.

 

Liest man diesen Abschnitt über das Kirchenverständnis, so gewinnt man den Eindruck, als bestehe die reformatorische Theologie ausschließlich aus der des Luthertums. Wilfried Joest war bekannt für seine Lutherforschungen. Er geht hier zwar auf lutherischen Quellen, die CA und die Schmalkaldischen Artikel, ein, berücksichtigt aber keinerlei reformierte, wie die Fragen 54 und 55  des Heidelberger Katechismus.

Das Amt wird aus diesem bei Joest dargestellten Kirchenverständnis heraus am meisten geprägt durch das Verständnis von Kirche als "creatura verbi",  Schöpfung des Wortes. Der Pfarrer verkündigt von der Kanzel das Wort Gottes und auch diese Verkündigung, die Predigt, ist wiederum Wort Gottes, in dem Christus sich selbst zusprechen soll. Deshalb besitzt die Predigt im evangelischen Gottesdienst eine so hohe Stellung, die nicht nur quantitativ, sondern vor allem auch qualitativ auszufüllen eine große Verantwortung für den Prediger ist. Die Predigt ist aber dennoch kein Sakrament, da sie nicht ausdrücklich, wie Taufe und Abendmahl,  von Christus eingesetzt worden ist. Sie besitzt aber einen Rang, der dem nahe kommt.  So wurde das Bild und Verständnis des Pfarramtes wohl am meisten vom Bild des Predigers geprägt.

Was bedeutet es, wenn Kirche durch die Annahme von Predigt und Sakramenten entsteht? Ich meine: Es bedeutet, daß gerade die Predigt auch "annehmbar" sein muß. Das bedeutet, sie muß zum einen an die Schrift gebunden und  zum anderen aber auch die Zuhörer ansprechen. Es meint aber auch, daß die Predigt Gottes Wort und Glauben vermitteln soll und eigene Interessen des Predigers darin keinen Platz haben. Eine große Herausforderung oder ein schwieriges Verständnis? Ich kann hier keine befriedigende Antwort finden.

Durch die Aufnahme der Aussagen aus dem Credo stellen sich die reformatorischen Kirchen zum einen in den Kontext der Gemeinschaft mit der katholischen Kirche, aus der sie hervorgingen, und zum anderen auch in die weltweite Ökumene besonders mit den orthodoxen Kirchen.

Wie verhält es sich heute mit einer Verrechtlichung bzw. Vermenschlichung von Kirche? Allein in der sächsischen Landeskirche, die bei weitem nicht die höchste Regelungsdichte aufweist, gibt es eine Fülle von Gesetzen, Verordnungen, Verordnungen mit Gesetzeskraft etc. . Diese füllen allein hier mehrere Bände. Auch wird die Kirche oft als sich nicht durch Glauben, Evangelium und Sakramente, sondern durch Gesetze konstituierend und wenig menschlich, als Amtskirche empfunden. Ist also eine Verrechtlichung von Kirche nur eine Frage der Zeit, die nun auch die reformatorischen Kirchen erreicht hat?  Nein, denn diese Gesetze und Ordnungen besitzen als ausdrücklich menschliche Ordnungen, iure humano, keinen so hohen Wert und werden deshalb oft geändert und bei Bedarf auch aufgehoben.

In seinem Exkurs zum Standpunkt der römisch-katholischen Kirche zu den Lehren der reformatorischen Kirchen, bietet Joest noch einmal Ansatzpunkte die Grundpositionen  der reformatorischen Theologie und Unterschiede zu katholischen Lehre:  Die Verkündigung die sich an das Evangelium, die ganze als gute Nachricht bezeichnete Bibel, hält ,wird Wort Gottes für uns. Für die Predigt ist keine Teilhabe an einer kirchlichen Lehrgewalt erforderlich. Auch zur Spendung der Sakramente bedarf es, auch wenn es unterschiedliche Verständnisse derselben gibt, in der reformatorischen Theologie keiner Weihegewalt. Es wird aber in der Regel sowohl für die Predigt, als auch für die Spendung der Sakramente zumindest im Luthertum nach CA V ein kirchliches Amt erforderlich sein. Bei diesen Sakramenten unterscheiden sich Lutheraner und Reformierte. Während Reformierte nur Taufe und Abendmahl als Sakramente akzeptieren, besitzt bei Lutheranern auch die Buße einen solchen Charakter.

 

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