1.4. Ab wann kann man von der „Gesellschaft Jesu“ als einer geregelten Organisation sprechen?
Will man den Versuch einer Beantwortung dieser Frage unternehmen, so gilt es zunächst zu klären, was man denn unter einer geregelten Organisation versteht.
Ich verstehe diesen Begriff wie folgt:
Eine geregelte Organistaion ist ein fester Zusammenschluß von Menschen mit bestimmten gemeinsamen Zielen, die sich zur Verfolgung dieser Ziele auf Dauer bestimmten Regeln unterwerfen.
Seit wann ist dies nun bei „Pariser Magistern“, Ignatius und seinen Jüngern gegeben ?
Ich stelle dazu vier Thesen auf, die ich für abwägenswert halte:
1. Mit der Bildung der Genossenschaft auf dem Montmartre 1534 kann man von einer geregelten Organisation sprechen.
2. Eine geregelte Organisation ist mit der Formula Instituti von 1539 gegeben.
3. Erst nach der Bestätigung der Formula Instituti durch Paul III. ist eine geregelte Organisation anzunehmen.
4. Durch den Vollzug der Generalswahl 1541 entsteht die Gesellschaft Jesu als geregelte Organisation.
Um zwischen der ersten und den drei folgenden Thesen scheiden zu können, sollte man klären, ob bei Ignatius überhaupt auf Dauer angelegte Regeln des gemeinmen Wirkens vorhanden sind.
In der Formula Instituti von 1539 ist dies zweifelsohne gegeben, da hier allgemeine Regeln von der Verwaltung des Ordens[14] bzw. der Gesellschaft angefangen über Regeln, die dem Orden übereignetes Vermögen betreffen, bis hin zu solchen über das geistliche Leben[15] niedergeschrieben sind.
Das Gelübde vom Montmartre, mit dem zwar erstmals ein bestimmter Personenkreis umrissen wurde, ist, soweit ich dies nach der komplizierten Quellenlage beurteilen kann, nur auf ein Bestehen der Genossenschaft bis zu einer Fahrt nach Jerusalem und einem wie auch immer gearteten Dienst am Mitmenschen dort bzw. auf eine Zurverfügungstellung dem Papst gegenüber gerichtet. Die Wirkung dieser Genossenschaft hätte spätestens mit dem Tode des Ignatius oder der letzten durch das Gelübde verbundenen Genossen geendet, während die Formula Instituti auf ein Weiterbestehen unabhängig von den Gründungsmitgliedern hin[16] angelegt ist. Auch beschreibt das Gelübde eher Ziele denn Lebens- oder Gemeinschaftsregeln. Diese Beobachtungen führen mich zu dazu, die erste These zu verwerfen.
Nun stellt sich für mich die Frage, ob es für das Vorhandensein einer geregelten Organisation lediglich einer einvernehmlichen Festsetzung ihrer Regeln durch die Organisation - eine solche war meiner Meinung nach durch die Genossenschaft bereits gegeben -, ihrer amtlichen Bestätigung - in diesem Falle durch den Papst - oder gar des Vollzuges aller Organisationsregeln bedarf.
Als erstes möchte ich mich deshalb der vierten These zuwenden, die stellvertretend für das Kriterium des Vollzuges aller Organisationsregeln steht. Zu ihrer Beruteilung sind für mich zwei Argumente ausschlaggebend:
Regeln von Organisationen, die heute als Satzungen, Statute, Verfassungen oder Geschäftsordnungen bezeichnet werden, enthalten häufig Bestimmungen, die erst bei einer Ausweitung des Personenkreises ( z.B. durch Aufnahme neuer Mitglieder oder den Anschluß anderer Organisationen) oder des Aufgaben- bzw. Lokalbereiches wirksam werden.
Gleichfalls sind in derartigen Regeln häufig Bestimmungen für Präzedenzfälle, z.B. für Abstimmungen, Wahlen etc., enthalten, die oft in der gesamten Bestehenszeit nicht einmal angewandt werden müssen.
Diese Argumente sind, auch wenn ich sie aus unserer heutigen Zeit beziehe, für mich von so allgemeiner Natur, daß sie mich veranlassen, die vierte These ad absurdum zu führen.
Im Abwägen der zweiten und dritten These gegeneinander stellen sich folgende Fragen:
- Ist die Existenz einer geregelten Organisation grundsätzlich von einer Bestätigung ihrer Regeln durch eine nicht organisationsinterne, übergeordnete Instanz abhängig ?
- War die Existenz von Regeln abhängig von ihrer Bestätigung durch den Papst ?
- War die auf Dauer angelegte Existenz der Gemeinschaft bzw. Gesellschaft unbedingt von einer (auch organisationsinternen) Bestätigung abhängig ?
Die Bejahung der ersten Frage würde einen Großteil des Lebens vieler Organisationen lähmen und viele Istitutionen mit Arbeit überlasten und dadurch unnötig aufblähen; dies dürfte nicht nur in der Gegenwart so sein. Ich möchte deshalb diese Frage klar verneinen.
Die zweite Frage läßt sich relativ leicht mit „Ja“ beantworten, da durch den Verfahrensweg der Bestätigung und die Formula Institui vom 24. Juni bzw. vom 3. September, die Existenz von Regeln unzweifelhaft belegt ist.
Die dritte Frage ist wesentlich spekulativerer Natur. Bei Hugo Rahner habe ich zu diesem Thema nichts gefunden. Ich glaube jedoch unter Berufung auf Heinrich Böhmer[17], der von einem Beschluß der Genossen über die Bildung eines Corpus berichtet, sie ebenfalls bejahen zu können.
Böhmer sieht hiernach mit dem Beschluß, daß eine Gesellschaft gegründet wird, die Gesellschaft bereits als gegründet an. Ich ich kann mich dieser Auffassung nicht ganz anschließen und sehe eine geregelte Organisation erst mit der - möglichst nachweisbaren - Existenz zumindest minimaler Regeln als gegründet an. Für mich erscheint daher die Existenz der „Gesellschaft Jesu“ als geregelte Organisation mit dem 24 Juni 1539[18]als sicher gegeben.