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4.2.2. Die Übrigen und die dreifache Engelsbotschaft

Die Lehre von den Übrigen bzw. der dreifachen Engelsbotschaft nach Off. 14,6-12 nimmt in den Glaubensgrundsätzen der STA mit FB 12 einen verhältnismäßig kleinen Raum ein. Sie stellt jedoch im Umgang mit anderen christlichen Glaubensgemeinschaften ein Problem dar, da die STA damit eine exklusive Rolle in der Heilsgeschichte begründet sahen, was von anderen so nicht akzeptiert werden konnte.

Die Lehre von den Übrigen geht davon aus, daß in der letzen Zeit vor der Wiederkunft Christi viele Christen von ihrem Glauben abfallen werden. In dieser Zeit ist gemäß den Schilderungen „eine Schar der Übrigen herausgerufen, an den Geboten festzuhalten und den Glauben an Jesus Christus zu bewahren“[212]. Ihre Aufgabe ist es, auf das Kommen des Gerichts, die Erlösung allein durch Christus und dessen Wiederkunft hinzuweisen. Die drei Engel in Offenbarung 14 werden als Sinnbild dieser Verkündigung gesehen. Sie geht nach adventistischer Lehre einher mit einem Gerichtsgeschehen im Himmel und einer irdischen Buß- und Erneuerungsbewegung und ist damit in Beziehung gesetzt zur Heiligtumslehre und zur Adventsgeschichte.

Gerade beim Konzept der Übrigen, deren Zahl 144 000 auch von den STA als symbolisch verstanden wird, sind beim Verständnis dieser Lehre Entwicklungen zu beobachten. So können sie heute sagen: „Adventisten glauben, dass zu Gottes treuen und gläubigen Übrigen, deren Identität allein Gott bekannt ist, Christen in vielen Kirchen auf der gesamten Erde gehören.“[213] Dennoch sehen sich die meisten STA weiter nicht als ein Teil der, sondern als die Gemeinde der Übrigen.[214] Ein Widerspruch, der wohl in inneradventistischer Pluralität begründet liegt und den ich auch nicht auflösen kann.

Dennoch habe ich den Eindruck, daß diese Lehre insbesondere in ihren trennenden Elementen an Bedeutung verliert. Selbst Adventisten, die weiter an den STA als der Gemeinde der Übrigen festhalten, können davon ausgehen „dass nicht nur Adventisten im Himmel sein werden, sondern auch solche, die eine echte Entscheidung für Jesus Christus getroffen haben und gemäß ihrem Erkenntnisstand ernst nehmen“[215]. Damit ist, auch wenn diese STA die Adventisten weiterhin als die Gemeinschaft sehen, „wo Menschen am konsequentesten ‚die Gebote halten und den Glauben an Jesus haben‘ (Off 14,12)“[216], nicht gesagt, daß die anderen unbedingt einen geringeren Erkenntnistand haben, sondern nur einen anderen. Adventisten sehen sich also von anderen Christen nicht mehr grundsätzlich getrennt, auch wenn ihre Glaubensgemeinschaft nach ihrer Meinung „so exakt dem Wort Gottes folgt“[217] wie „keine andere Gemeinde“[218] und von diesem „mit einem besonderen Auftrag für die letzte Zeit betraut worden ist“[219].

Durch die aktuelle Gewichtung und Interpretation der Lehre von den Übrigen verliert diese somit nach meiner Auffassung ihren trennenden Charakter und nähert sich in ihrer Bedeutung so einem für die adventistische Identität unaufgebbaren Maß. Wie weit die STA in Deutschland schon gegangen sind, zeigen die Diskussion um die ACK-Mitgliedschaft und die Abspaltung beispielsweise der MEFAG in diesem Prozeß. Auch die Position der Generalkonferenz wird beispielsweise an deren Vorgehen gegen John Osborne erkennbar.[220] Dies unterstreicht ebenfalls, daß die STA sich nicht korporativ als die Übrigen sehen, sondern auch bei ihren eigenen Mitgliedern differenzieren und so durchaus eine ecclesia visibiles von einer ecclesia invisibiles zu unterscheiden wissen.

Historisch ist die Lehre von den Übrigen in der Zeit nach der Ausgrenzung der Milleriten aus anderen Kirchen und vor dem Hintergrund der in den USA starken Verbindung von Religion und Politik entstanden, in der nicht wenige sich zwar als Christen bezeichnen, sich aber nicht bemühen, auch dementsprechend zu leben und deshalb von Früchten des Glaubens nichts erkennen lassen. Perspektivisch halte ich es für möglich, daß die adventistische Überzeugung eines besonderen Auftrags von anderen christlichen Glaubensgemeinschaften im Verständnis der Kirche als Leib Christi analog der besonderen Aufgabe bzw. dem besonderen Auftrag einzelner Glieder eines Leibes akzeptiert werden kann.

Der Bezug der dreifachen Engelsbotschaft aus Off. 14 auf die Adventsgeschichte ist in den Glaubensüberzeugungen der STA nur recht vage angedeutet. Ausführlicher findet er sich in den Schriften E. G. Whites[221], so in einem ihrer Hauptwerke „Der grosse Konflikt“. Darin wird die Botschaft des ersten Engels in Off 14,6f. mit der Erkenntnis Millers im Jahre 1818 und der darauf folgenden Verkündigung identifiziert und als erfüllt angesehen. Die Botschaft des zweiten Engels wurde mit dem Abnabelungsprozeß der STA von den anderen Kirchen verbunden, der 1843 begann. Diese zweite Engelsbotschaft wird als noch nicht erfüllt angesehen.[222] Babylon wird primär mit der römisch-katholischen Kirche gleichgesetzt, dies wird unter anderem mit dem Primat des Papstes als unbiblische Lehre[223] und einem weltlichen Macht- und Profitstreben begründet.[224] Babylon zugerechnet werden aber auch viele protestantische Kirchen, wegen ihrer Staatsnähe wird hier besonders auf Staats- und Landeskirchen gezielt[225]. Daneben wird die Kommerzialität vieler Kirchen verurteilt.[226] Es wird aber auch deutlich, daß die Identifikationen E. G. Whites zeitbedingt sind. So schreibt sie: „Es ist in der Welt üblich, irgendeinem Religionsbekenntnis anzugehören.“ Dies ist eine für ihre Argumentation wesentliche, aber heute gerade in Deutschland so nicht mehr zutreffende Aussage. Ebenso wie die diese Ansicht werden heute auch E. G. Whites Identifikationen selbst von den allermeisten, zumindest den deutschen Adventisten, als zeitbedingt und heute so nicht mehr zutreffend empfunden. Dies spiegelt sich auch im Dialog der STA mit verschiedenen Kirchen wider.[227] Die Glaubensüberzeugungen der STA interpretieren deshalb die Botschaft der drei Engel[228] wohl bewußt nicht und beziehen sie auch nicht auf bestimmte Ereignisse, Personen oder Organisationen. Einzig mit den Übrigen identifiziert man sich wie oben beschrieben selbst. Daß die drei Engel in Offenbarung 14 Sinnbild einer endzeitlichen Verkündigung sind, werden auch die verschiedenen Kirchen kaum abstreiten. Indem die Glaubensüberzeugungen also E. G. Whites Interpretation weder aufnehmen noch ablehnen, befinden sie sich in einem „Spagat“ zwischen der Möglichkeit des Dialogs mit anderen Christen einerseits und adventistischer Identität in der prinzipiellen Aufrechterhaltung der Lehre von der dreifachen Engelsbotschaft andererseits.

Da von den wenigen Ausnahmen und Splittergruppen abgesehen, die Lehre von der dreifachen Engelsbotschaft heute auch von STA nicht mehr als trennend von anderen Christen verstanden wird und da das, was sich davon in den Glaubensüberzeugungen findet, so durchaus aus der Bibel entnehmbar ist, sollte sie auch von anderen so verstanden werden.

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