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5.1.1.2. Sondergemeinschaft

Der Begriff Sondergemeinschaft wird heute im wesentlichen in zwei Bedeutungen benutzt. Zum einen ist er gerade in der Religionswissenschaft so etwas wie ein Nachfolger des Begriffes Sekte geworden, welcher wegen seiner Geschichte und seines von vornherein wertenden Charakters vermieden wird[268]. In diesem Verständnis möchte ich den Begriff Sondergemeinschaft jedoch nicht erörtern, da er so weitestgehend dem oben bereits erörterten Begriff Sekte entspricht.

In einem anderen Verständnis wird der Begriff Sondergemeinschaft beispielsweise vom Handbuch religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften verstanden: „Gemeinschaften, die teilweise Beziehungen zu den Kirchen haben, aber Sonderlehren vertreten, die in einigen Fällen auch sektiererische Züge tragen; bei einigen dieser Gemeinschaften sind die Mitglieder zugleich Glieder der Landeskirche“[269]. Ein ähnliches Verständnis wird auch von anderen zum Ausdruck gebracht. Es wird also ein Konzept vertreten, das Sondergemeinschaften zwischen den Sekten und den Kirchen sieht. Sie sind demzufolge „Nicht-Mehr-Sekten und Noch-Nicht-Kirchen“. Dies macht das Dilemma dieses Begriffs deutlich: er vermittelt den Eindruck eine Art „Sammelsurium“ der christlichen Konfessionskunde zu sein, da er schlicht die Gemeinschaften umfaßt, die in keine der beiden anderen Hauptkategorien Sekte und Kirche passen. So verzeichnet denn auch das im Auftrag der VELKD herausgegebene Handbuch unter diesem Begriff einerseits Gemeinschaften, die sich von einer Sekte zu einer Kirche entwickeln bzw. entwickelt haben, wie die Weltweite Kirche Gottes, und andererseits auch Gemeinschaften, deren Mitglieder meist auch Mitglieder einer etablierten Kirche sind, wie die Lorberianer.

Der Begriff ist also ein unscharfer, der sich besonders dann anbietet, wenn man einer klaren Entscheidung Sekte oder Kirche entgehen will. Ich habe wohl deshalb auch keine klare und anerkannte Definition dieses Begriffes gefunden. Auch die Definition des Handbuches zeigt eher Verlegenheit als Klarheit. Wie ist beispielsweise das „teilweise“ in Bezug auf die Beziehungen zu den Kirchen zu verstehen? Handelt es sich darum, daß manche der Gemeinschaften Beziehungen zu den Kirchen ablehnen- dann wären diese Sekten-, und andere diese unterhalten- dann spräche zumindest dies dafür, daß es sich bei ihnen auch um Kirchen handeln könnte? „Teilweise“ kann jedoch auch zu dem Wort Beziehungen gehören und Beziehungen unterschiedlichen Umfangs meinen; dann wäre das jedoch eine unglückliche Formulierung und als Kriterium verhältnismäßig unbrauchbar. Dies wird im Zusammenhang deutlich, denn in der Definition des Handbuches für Freikirchen spricht man nur von „Kirchen und Gemeinschaften [...] zu denen ökumenische Beziehungen bestehen oder möglich sind“[270]. Bestehen also ökumenische Beziehungen oder sind diese möglich, so müßte es sich um Freikirchen handeln. Sinnvoll halte ich den Begriff Sondergemeinschaft allein für Gemeinschaften, bei denen Sonderlehren vertreten werden und die Mitgliedschaft sowohl in der Gemeinschaft als auch in einer Kirche besteht, da diese Gemeinschaften sich einerseits der Doppelmitgliedschaft wegen nicht als Kirche verstehen und auch nicht verstanden werden können und andererseits in bezug auf diese Kirche durch ihre Sonderlehren eine besondere Position haben. Für Gemeinschaften, auf die dies nicht zutrifft, halte ich es für besser, sich entweder für die Zuordnung zu den Kirchen zu entscheiden, oder den Begriff Sondergemeinschaft im Sinne von Sekte zu verstehen und sie diesen zuzuordnen.

Dennoch möchte ich kurz die Anwendbarkeit des Begriffs Sondergemeinschaft, wie er durch das Handbuch beschrieben wird, auf die STA überprüfen: Die STA unterhalten seit jüngerer Zeit, auch wenn sie nicht Mitglied des Weltkirchenrates sind, durch verschiedene Mitgliedschaften, Gastmitgliedschaften, Konsultationen und praktische Zusammenarbeit eine größere Anzahl ökumenischer Beziehungen. Auch wenn sie sich mit Rücksicht auf konservativere Mitglieder und die Gefahr des Auseinanderbrechens durch den Verlust von Identität oft nicht zu Vollmitgliedschaften durchringen können, so habe ich doch den Eindruck, daß sie an Ökumene und insbesondere an praktischer Zusammenarbeit sehr interessiert sind. Die STA vertreten Sonderlehren, die historisch bedingt sind und die sich in der Regel nachvollziehbar und akzeptabel biblisch begründen lassen. Noch vorhandenen wirklich sektiererischen Elementen, wie der Jahreszahl 1844 als Beginn des himmlischen Untersuchungsgerichtes, wird nach meiner Einsicht zumindest in Deutschland immer weniger Bedeutung beigemessen. Nach meiner Einschätzung sind die STA bemüht, auch mit den letzten noch vorhandenen sektiererischen Tendenzen in ihrer Lehre so umzugehen, daß sie nicht mehr diesen trennenden Charakter haben. Die Frage einer Doppelmitgliedschaft in einer Landeskirche stellt sich für die STA nicht. Ich halte es daher auch unter Anwendung der Charakterisierung des Handbuches religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen nicht für angebracht, die STA analog zu diesem als Sondergemeinschaft einzuschätzen, zumal dem nach meiner Auffassung einzigem klar sektiererischen Element in den Glaubensüberzeugungen der STA, dem Bezug endzeitlichen Geschehens auf das historisch bedingte Jahr 1844 auch durch Adventisten selbst immer weniger Bedeutung beigemessen wird. Zwar befinden sich die STA damit immer noch nah an einem so verstandenen Begriff von Sondergemeinschaft; ihnen diesen jedoch einzig aufgrund der Jahreszahl zuzuschreiben, hielte ich jedoch auch unter Berücksichtigung der Bemühungen, welche die Adventisten in den letzten Jahren in bezug auf die Ökumene und in Richtung einer Akzeptanz als Kirche unternommen haben[271], für unangebracht und für eine weitere Entwicklung auf die Kirchen zu eher schädlich.

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