5.1.2.2. Freikirche
Da, wie oben herausgearbeitet, es sich bei den STA um eine Kirche handelt, stellt sich nun die Frage was für eine Art von Kirche sie sind. Eine gängige Einteilung ist dabei zwischen vom Staat besonders privilegierten Kirchen, Landes- und Staatskirchen, und Freikirchen zu unterscheiden. Da dieses Merkmal jedoch nicht ausreicht und in Deutschland durch die Zuerkennung des Status‘ einer Körperschaft des öffentlichen Rechts für Freikirchen und den damit verbundenen Privilegien auch verschwimmt, bedarf es weiterer Merkmale. Diese beziehen auch mit ein, daß es sich bei den vom Staat besonders privilegierten Staats- oder Landeskirchen in der Regel im Gegensatz zu den Freikirchen um Territorialkirchen handelt.
Da die Adventisten weder eine vom Staat besonders privilegierte noch eine Territorialkirche sind, liegt es nahe, daß sie eine Freikirche sind. Deshalb sollen nun auch andere Kriterien überprüft werden:
Freikirchen sind ihrem Selbstverständnis nach meist reformatorische Kirchen, die aus Mitgliedern anderer Kirchen entstanden, die, nachdem sie versucht hatten, die Ursprungskirche zu verändern, von dieser ausgeschlossen worden sind oder diese verlassen haben. Ein wichtiger Ausgangspunkt dieser Reformbemühungen ist fast immer die Heilige Schrift. So sehen sich die verschiedenen Freikirchen heute in unterschiedlichem Maße auch mit den aus der Reformation hervorgegangenen Staats- und Landeskirchen verbunden und mit diesen gemeinsam dem sola scriptura Prinzip verpflichtet. Dies triff auch auf die STA zu.[278]
Freikirchen legen auch besonderen Wert auf Freiheit. Dies bedeutet seit dem Aufkommen des Begriffs Freikirche Mitte des 19. Jahrhunderts in Schottland und der Schweiz Freiheit von staatlicher Bevormundung. Die STA haben sich seit ihrer Entstehung in den USA, dem Land des Freikirchentums, in dem es außer Steuervergünstigungen keine Privilegierung einzelner Kirchen gibt, immer gegen die Verbindung von Staatsgewalt und Kirche gewandt. Dies wird beispielsweise in den Schriften E.G. Whites deutlich, in denen sie regelrecht polemisch gegen diese Verbindung agitiert.
Aus dem freikirchlichen Bedürfnis nach Unabhängigkeit vom Staat resultiert auch ihr Eintreten für Glaubens- und Religionsfreiheit, das auch historische Wurzeln hat. Da Freikirchen in der Regel Minderheitskirchen sind und waren, werden sie bis heute in verschiedenen Ländern verfolgt. Auch Freikirchen, die heute nicht mehr verfolgt werden, solidarisieren sich daher oft mit aus Glaubensgründen Verfolgten. Auch die STA setzen sich aktiv für Glaubensfreiheit ein.[279]
Frei bedeutet für die Freikirchen aber wesentlich auch Freiwilligkeit. Dies bedeutet, daß man zumindest in der Theorie aus freien Stücken, durch eine eigene freie Entscheidung, Mitglied einer Freikirche wird. Somit stehen Glaube, Glaubensbekenntnis, Taufe und Mitgliedschaft in einem engen Zusammenhang. Da aber auch Freikirchen anerkennen müssen, daß der Glaube nur in Gemeinschaft wächst und erhalten wird, sehen sie diesen Glauben zwar als etwas Persönliches, das aber nicht privat, sondern Angelegenheit der gesamten Gemeinde ist. Dies bedeutet in der Praxis zum einen, daß die Gemeindezucht in Freikirchen aktiv praktiziert wird, zum anderen aber auch, daß Kinder freikirchlicher Eltern in diese Freikirche hineinwachsen und die Entscheidung zur Mitgliedschaft dann naheliegend und damit doch nicht mehr so frei ist. Ausdruck des Freiwilligkeitsprinzips ist in vielen Freikirchen die Erwachsenen- bzw. Glaubenstaufe. Diese vertreten auch die STA. Auch die aus dem freikirchlichen Verständnis von Freiwilligkeit resultierende aktive Anwendung der Gemeindezucht findet sich bei ihnen.
Vom Ansatz der Mitgliedschaft in einer Freikirche als Ergebnis einer freien Glaubensentscheidung her ist auch die Missions- und Evangelisationsarbeit ein wichtiges Merkmal von Freikirchen. Auch die STA verstehen sich als missionierende Kirche. [280].
Freikirchen werden gelegentlich auch als „Laienkirchen“ bezeichnet.[281] Dies verweist auf das starke Laienelement in ihnen. Auch Pfarrer oder andere Geistliche werden im Sinne eines Priestertums aller Gläubigen nicht als wesensmäßig von den Gemeindegliedern unterschieden gesehen, sondern immer nur als Funktionsträger der Gemeinde. Bedenkt man, daß die STA aus einer Laienbewegung entstanden sind und auch heute Geistliche als besondere Funktionsträger der Gemeinde gesehen werden - ein Amt wird in den Glaubensüberzeugungen nicht erwähnt - erfüllen die STA auch dieses Merkmal einer Freikirche.
Da die STA alle mir bekannten Merkmale einer Freikirche erfüllen und sich in jüngerer Zeit auch selbst so verstehen, sehe ich den Begriff Freikirche als eine den STA angemessene Bezeichnung.