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4.2.4. „Himmlisches Heiligtum“ und „Untersuchungsgericht“

Eine adventistische Lehre, die in ihrer Kombination von adventistischer Geschichte und wörtlichem Schriftverständnis noch explosiver ist als die Sabbatlehre, ist die Lehre vom Himmlischen Heiligtum und dem dort stattfindenden Untersuchungsgericht Christi sowie insbesondere die damit verbundene Jahreszahl 1844. Dies ist auch der einzige Punkt, in dem bei den gemeinsamen Gesprächen keine Akzeptanz durch die Lutheraner erreicht werden konnte.[247]

Die Lehre vom Himmlischen Heiligtum[248] findet sich ausschließlich in FB 23. Sie sieht das in Heb 8,2 beschriebene, von Gott, nicht von Menschen errichtete wahre Heiligtum und die wahre Stiftshütte mit Heb 8,5 als ein himmlisches Heiligtum. Da das irdische Heiligtum jedoch danach ein Abbild des Himmlischen ist, stellen sie sich dieses im Sinne einer Rückprojektion analog der Stiftshütte vor. In diesem Heiligtum wirkt im wörtlichen Verständnis des Hebräerbriefes[249] Christus seit seiner Himmelfahrt als der wahre Hohepriester. Bis zu diesem Punkt kann die adventistische Lehre auch von anderen Christen akzeptiert werden, da sie gut aus der Bibel ableitbar ist und bei einem wörtlichen Verständnis kaum menschliche Spekulation enthält. Die Heiligtumslehre an sich stellt also kein wesentliches Problem für andere christliche Glaubensgemeinschaften dar. Anders sieht es mit ihrer Orientierung auf das „Untersuchungsgericht“ und mit diesem selbst aus, das wesentlich durch die Adventsgeschichte geprägt ist. Der Dienst Christi wird danach in zwei Phasen gesehen. 1844, im Jahr der von Miller vergeblich erwarteten Wiederkehr Christi, begann Christus demzufolge die letzte Phase seines Versöhnungsdienstes im Heiligtum, der insgesamt analog dem jüdischen Jahresfestkreis gesehen wird. Diese letzte Phase wird als endgültiger Versöhnungstag analog Lev. 16 verstanden, durch den die Sünde endgültig beseitigt wird. Das Opfer Christi ist jedoch am Kreuz schon vorweggenommen, so daß die Beseitigung der Sünde im Sinne eines Untersuchungsgerichts gesehen wird. In diesem Untersuchungsgericht wird erforscht, welche Menschen im Glauben an Christus gestorben sind. Es wird aber auch geprüft, „wer von den Lebenden Gemeinschaft mit Christus hat, an den Geboten Gottes festhält und den Glauben an Jesus bewahrt“[250]. Auch wenn betont wird, daß alle, die an Christus glauben, gerettet werden, erhält dieser doch die Rolle eines Untersuchungsrichters oder mehr noch Staatsanwaltes, die ich im Neuen Testament so nicht finden kann. Nach adventistischer Lehre ist die Vollendung und der Abschluß dieses Versöhnungsdienstes die Wiederkunft Christi auf Erden. Die Vorstellung eines bereits vor der Wiederkunft gesprochenen Urteils, das dann nur noch verkündet wird, läßt sich wegen der nicht einheitlichen Aussagen des NT[251] gerade noch vertreten. Auch wenn ich dabei die Analogie zum Versöhnungstag in Lev 16 und zum Jahreskreis nicht ganz nachvollziehen kann, so scheint es mir doch nicht ganz jeder Logik zu entbehren, auch den Tempeldienst in einem himmlischen Heiligtum als Vorbild des irdischen und diesem etwa analog zu sehen. Bis hierhin halte ich die adventistische Lehre noch mit viel gutem Willen als Element einer Heterodoxie akzeptierbar.

Die Jahreszahl 1844 aus der Heiligen Schrift herauszulesen halte ich jedoch für exegetisch unzulässig, auch wenn sie wie bei Miller ebenso von den STA mit Dan 7 begründet wird. Bei Miller liegt wohl auch der eigentliche Grund für diese Jahreszahl. Die STA gingen aus der Millerbewegung hervor, welche ihre große Enttäuschung über das Ausbleiben der Endzeit 1844 mit Hilfe der Heiligtumslehre zu überwinden suchte, indem sie dem Jahr 1844 durch Uminterpretation eine neue Bedeutung gab, die auf der Erde an sich nicht nachprüfbar ist.

Auch die Lehre vom Untersuchungsgericht und insbesondere die Verbindung mit der Jahreszahl 1844 wird aber unter heutigen STA in Deutschland nicht unkritisch gesehen. Pastor Gelke erzählte mir, daß das Untersuchungsgericht in Verbindung mit der Jahreszahl 1844 nichts sei, worüber er predigen würde. Er räumte ein, daß dieses Jahr, selbst wenn man es aus Dan 7 herleite, menschliche Spekulation bleibe. Diese veränderte Wertung wird dadurch bestätigt, daß nur noch 12 Prozent junger Adventisten die Akzeptanz der Heiligtumslehre in Bezug auf das Jahr 1844 als wichtige adventistisches Lehre sehen. Sie besitzt somit gegenüber anderen die geringste Wertigkeit.[252]

Trotzdem, noch ist das Jahr 1844 der Bestandteil adventistischer Lehre, der von den verschiedenen Kirchen keinesfalls akzeptiert werden kann. Sie müssen wie die Lutheraner, ablehnen, daß Christus als „Hohepriester zu einem bestimmten Zeitpunkt der neueren Geschichte in eine neue Phase seines Dienstes eingetreten sei“[253]. Das Jahr 1844 ist als Lehrbestandteil aber auch wichtiger Bestandteil adventistischer Identität, bindet es die STA doch an ihre Entstehungsgeschichte zurück. Es stellt die Verbindung zu den Milleriten als den „Uradventisten“ her. Andererseits läßt z.B. die Haltung von Pastor Gelke durchaus hoffen, daß die STA es dennoch schaffen, sich von dieser Jahreszahl, die sich im Umgang mit anderen Christen als Ballast erweist[254], als Bestandteil ihrer Lehre zu verabschieden und sie „nur“ noch als wesentlichen Bestandteil ihrer Geschichte zu begreifen. Da die Glaubensüberzeugungen der STA veränderbar sind, besteht in diesem Zusammenhang durchaus Hoffnung.

Aber auch andere christliche Religionsgemeinschaften müssen überlegen, wie sie mit dem „Ballast 1844“ in Bezug auf die STA verfahren und wie sie diesen im Verhältnis zu den vielen gemeinsamen, bzw. akzeptablen Lehren bewerten[255].

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